Start Politik Ausland Gastkommentar Kairo setzt Teile der Sicherheitskooperation mit Israel aus

Gastkommentar
Kairo setzt Teile der Sicherheitskooperation mit Israel aus

Thomas: "Die Präsenz bedeutender Militärkräfte auf beiden Seiten der Grenze zwischen Gaza und Ägypten ist brandgefährlich."

Ägyptens Präsident Abd al-Fattah Said Husain Chalil as-Sisi,(Archivfoto: AA)
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Ein Gastkommentar von Michael Thomas

Es hat was von der großen Geschichte der alten Reiche Ägyptens: Oftmals, wenn sich dynastische Schwächen oder andere, größere Probleme um den Thron Ägyptens zeigten, fühlten sich Nachbarn häufig bemüßigt, anzugreifen.

Der derzeitige Diktator agiert wie ein Pharao, auch wenn ihm dazu einige Qualitäten fehlen.

Und nun gerät das ohnehin durch massive, wirtschaftliche Probleme unter hohem Druck befindliche Ägypten in eine neue, empfindliche und belastende Notlage:

Durch den Fluchtdruck, den Israel verursacht, drängen nun Hunderttausende von Menschen gegen Süden, auf die ägyptische Grenze zu Gaza zu. Steigen dieser Druck und das israelische Feuer weiter an, könnte es zu enenso herzzerreissenden wie entsetzlichen Szenen kommen – und die Menschen könnten versuchen, ihrer Vernichtung mit gewaltsamem Vordringen auf den ägyptischen Sinai zu entkommen.

Das wäre ein Szenario, das Israel ganz offensichtlich absichtsvoll plant. Ägypten bliebe nichts anderes übrig, als die Grenze entweder zu öffnen … oder die Menschen mit der Gewalt seiner Armee daran zu hindern.

Sowohl Israel, als auch die USA wissen ganz genau, dass Ägypten diese Lage weder militärisch, noch innen- oder außenpolitisch aushalten kann. Ein dramatischer Zuwachs an notleidender Bevölkerung sprengt in jeder Hinsicht Ägyptens Möglichkeiten; es kann sie unmöglich unterbringen, versorgen und davon abhalten, ihren Zorn auf Israel in die ägyptische Bevölkerung zu tragen, die sowieso schon längst lieber heute als morgen gegen Israel zur Waffe greifen würde.

Und genau darauf setzen beide

Erstens hat sich Ägypten gegen jeden friedlichen Umsiedelungsversuch in Verhandlungen bockig gezeigt und zweitens hat sich der neue Pharao enger an die arabische Phalanx gebunden und übt schärfste Kritik an Israel.

In der Konsequenz hat Ägypten bereits viel Militär im Sinai stationiert, der allgemein als sehr schwer kontrollierbar und noch schwerer zu regieren gilt. Der Sinai ist traditionell ein Rückzugsgebiet für regierungskritische Kräfte.

Der 1979 mit Israel geschlossene Friedensvertrag wurde damals vielleicht von der Regierung, niemals aber von der Bevölkerung ratifiziert, deren Zorn auf Israel schwelt ungebrochen bis heute. Auch Hosni Mubarak wusste, dass jeder Versuch, seinen Bürgern diesen Vertrag politisch verkaufen zu wollen, sinnlos war und drückte ihn mit brutaler Polizeigewalt einfach durch.

Nun aber denkt der Pharao recht unverhohlen über die Werthaltigkeit dieses Vertrages nach. Unbestritten ist längst, dass Israel ihn bereits mit seinen Militäroperationen nahe der Grenze, die vom Vertrag unmissverständlich verboten werden, empfindlich verletzt hat.

Die Präsenz bedeutender Militärkräfte auf beiden Seiten der Grenze zwischen Gaza und Ägypten ist brandgefährlich.
In der Vergangenheit kam es bereits zu einem von Israel fehlgeleiteten Beschuss auf ägyptische Soldaten, bei dem zwei von ihnen ums Leben kamen.

Um den Vorfall nicht eskalieren zu lassen, wurde seitens Ägypten damals alles unternommen, die Toten schnell, ohne Presse und Aufsehen, zu bestatten. Das könnte jetzt anders kommen.

Aus buchstäblich erster Hand weiß ich, dass im Falle einer ernsten Auseinandersetzung den ermüdeten, israelischen Bodenstreitkräften ein modern ausgestattetes, gut ausgebildetes und extrem motiviertes Heer gegenüberstünde.

Ein einzelner Funke würde genügen, das Pulverfass hochzujagen.
Al-Sisi wäre jede Möglichkeit der Deeskalation genommen; würde er ihn unternehmen, würde ihm das ganz sicher eine neue, landesweite Revolution der Wut bescheren. Ägypten würde implodieren. Die Gefahr ist durchaus real.

Auf Betreiben Israels und der USA, die offensichtlich weder an die Wehrhaftigkeit Ägyptens glauben, noch an die Motivation des unermesslichen Zorns seiner Bevölkerung, wird die Lage an der Grenze jeden Tag zunehmend unübersichtlicher, chaotischer und damit maximal gefährlich.

Sie könnte den Punkt erreichen, an dem der Pharao keine andere Chance mehr sieht, als auch den Rest jeder Kooperation mit beiden Staaten fahren und schießen zu lassen.

Schon jetzt hat Ägypten Teile der Sicherheitskooperation mit Israel ausgesetzt und der gesamte Friedensvertrag ist erklärtermaßen in Gefahr. Es könnte sehr bald der Punkt gekommen sein, an welchem Ägypten selbst den eigentlich dringend benötigten, gigantischen Erdgasdeal mit Israel fahrenlässt.

Erst vor wenigen Tagen deckte die Regierung einen Komplott israelischer Agenten im Land auf, die offenbar Angriffe auf ägyptischem Land gegen Hamas-Leute vorbereitet haben sollen.
Ob das stimmt oder nicht, weiß bei diesem Pharao niemand so genau .. aber der Vorfall ist nicht dazu angetan, den Zorn der Ägypter auf Israel zu mildern und vielleicht wurde dies zielgerichtet auch genau deshalb publik.

Denn soviel ist sicher: auch Al-Sisi könnte verlockt sein, seine eigene Macht für die Zukunft durch einen umfassenden Krieg zu sichern. Sobald er sich bereit dazu zeigt, gegen Israel die Waffen zu erheben, liegt ihm das Volk auf jeden Fall zu Füßen.

 


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.


Zum Autor 

Michael Thomas ist Privatier, Fotograf, leidenschaftlich an Ägyptologie und Literatur interessiert, mit der er vor vielen Jahren als Autor regional einige Beachtung fand. Er verfolgt interessiert das Weltgeschehen durch Beobachtung internationaler Presse. Seinen Fokus legt er insbesondere auf die Palästinafrage und auf die islamische Welt.

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