Ein Gastkommentar von Michael Thomas
Der aufmerksame Beobachter muss eingestehen, dass Donald Trump in diesem Fall eine enorme Geschicklichkeit bewiesen hatte: es muss davon ausgegangen werden, dass nicht nur Irans Angriff auf den US-Stützpunkt in Qatar, sondern tatsächlich auch der US-Angriff auf Irans Nuklearanlagen im Vorfeld minutiös mit Teheran abgestimmt war.
Anders wäre nicht zu erklären, dass internationale Analysten und Experten aufgrund erster Berichte und Daten keine vernichtenden Zerstörungen in den Anlagen registrieren. Weder Natanz noch Fordow sind breit- oder großflächig vernichtet worden und alles relevante Material an bereits angereichertem Uran hatte die Anlagen vor- und rechtzeitig verlassen. Wie Trump selber zugab, konnte der US-Stützpunkt in Qatar durch die Vorankündigung der Raketenstarts durch Iran vor jedem Schaden bewahrt werden.
Im Rückblick kommt diese Entwicklung beinahe einem Geniestreich gleich und wirft gleichzeitig ein faszinierendes Bild auf Israel.
Schon vor einigen Tagen registrierte die israelische Armee einen sehr beunruhigenden Schwund an Munition für seine Luftabwehrsysteme Patriot, Davids Sling und Arrow. Es wurde bekannt, dass sie bei strenger Rationierung insgesamt vielleicht zwölf Tage reichen würden.
Mit dieser Entwicklung hatte der Iran offenbar gerechnet; in den ersten Tagen kamen im Vergleich kleinere Raketen in großer Zahl zum Einsatz, die von den Abwehrsystemen aufwendig abgefangen werden mussten und sie dabei ermüdeten. Es kam zu unangenehmen Zwischenfällen; einige der Abfangraketen waren schadhaft, verfehlten ihr Ziel und schlugen in die eigenen Städte ein.
Die Zahl der Raketensalven wurde einerseits gesteigert und andererseits setzte Iran zunehmend schwerere und kraftvollere Systeme ein, die zu verheerenden Schäden führten.
Hier muss man erwähnen, dass das gesamte Ausmaß der in Israel angerichteten Zerstörungen aufgrund der rigiden Zensur nicht ansatzweise bekannt ist. Berichten zufolge soll ein Drittel Tel Avivs in Flammen gestanden haben, während Iran mit jeder neuen Salve unter Beweis stellte, jeden beliebigen Punkt in Israel erreichen zu können.
Von Iran behauptet, von Israel verständlicherweise nicht umfänglich bestätigt, sind relevante Militärstützpunkte, relevante Infrastruktur wie Kommandozentralen, Kraftwerke, Flugplätze und Finanzzentren zum Teil vollständig zerstört worden. Die israelische Bevölkerung reagierte teilweise panisch, völlig entsetzt und in Teilen mit Fluchtversuchen, die die Regierung mit der Schließung der Grenzen zu verhindern suchte.
In diesen Verläufen liegt ein meiner Meinung nach überaus kraftvolles Indiz für Irans beständig wiederholte Äußerung, man wolle keine Atomwaffen – und man brauche auch keine. Iran gelang dies Ausmaß an Verwüstung mit rein konventioneller Bewaffnung.
Dazu war die Schlagkraft gewissermaßen „portionierbar“; wo eine Atomwaffe flächenmäßig zerstört und vergiftet hätte, erreichten die Raketen mit ihren zahlreichen, punktuellen Schlägen einen weitaus größeren Effekt.
Die israelische Führung verstand täglich besser, dass die Auswahl der jeweils gestarteten Angriffe auf die Verfügbarkeit der Luftabwehrsysteme abgestimmt wurde und jeweils unterschiedlich durch mal größere, mal kleinere Raketen und Drohnen zusammengesetzt war. Diese Strategie war höchst effizient. Sie traf sensible Bereiche – und den Nerv der Bevölkerung ins Mark.
Vermutungen zufolge hatte Iran bis zuletzt vielleicht vierzig Prozent seines Arsenals eingesetzt; eine Fortführung des Krieges hätte die Luftabwehr Israels vollständig erlahmen lassen und das gesamte Staatsgebiet hilflos den Raketen Irans ausgesetzt.
Eine schmachvolle Kapitulation wäre unvermeidlich gewesen.
Spätestens am Sonntag begann die israelische Führung mit zunehmender Verzweiflung einen Ausweg zu suchen. Sie äußerte die Absicht, den Krieg „bis zum Wochenende“ beenden zu wollen, da angeblich „alle Kriegsziele erreicht“ seien.
Eine beinahe bemitleidenswert ärmliche Aussage, die den vollständigen Gesichtsverlust aufgrund der unmittelbar bevorstehenden Niederlage vermeiden wollte:
Tatsächlich wurde kein einziges Kriegsziel erreicht. Weder wäre die iranische Atomenergieentwicklung zerstört worden, noch wurde ein Regimewechsel im Iran herbeigebombt. Im Gegenteil hat Israel nun lediglich erreicht, dass Iran aus dem Atomwaffensperrvertrag ausgetreten und dadurch nun in der Lage dazu ist, von mehreren dazu durchaus interessierten Mächten Atomwaffen „von der Stange“ zu kaufen.
Sowohl Russland, als auch China, Nordkorea und Pakistan haben als Atommächte mit eigenem Arsenal ein gesteigertes Interesse an lukrativen „Win-Win“-Verträgen mit Iran und haben bereits ihre Bereitschaft gezeigt, Iran nuklear zu bewaffnen.
Der völkerrechtswidrige Angriff hat die Bevölkerung um die iranische Fahne versammelt. Wenn Israel die Hoffnung gehegt hatte, durch seine Angriffe Unwillen und Aufstände entzünden zu können, ist auch hier das genaue Gegenteil eingetreten. Die iranische Regierung sitzt, gerade jetzt nach ihrem Sieg über Israel, fester im Sattel als je zuvor.
Und zu guter Letzt zeigt der Verlauf des Krieges eine weitere, überaus wichtige Erkenntnis:
Israels Militärführung prahlte geradezu vor einigen Tagen mit der Aussage, man habe sich „jahrelang“ mit der Planung für einen solchen Angriff auseinandergesetzt und minutiös für diesen Tag vorbereitet. Das wirft die Frage auf, wie es dann möglich sein kann, dass Israel dem Raketenhagel buchstäblich und tatsächlich hilflos gegenüberstand.
Das fatale Signal, das von der israelischen Niederlage in die Welt hinaus geht, ist, dass Israel seit Jahrzehnten offensichtlich vollständig überschätzt wurde. Der Nimbus der Unantastbarkeit, Unerreichbarkeit, Unverwundbarkeit und grenzenlosen Dominanz ist vollständig dahin.
Israel ist verletzlich, erreichbar und mit vergleichsweise erheblich geringerem Aufwand auch besiegbar. Das mag für den heutigen Tag noch weniger bedeutsam klingen, kann aber in der Zukunft einen interessanten Lerneffekt beherbergen.
Denn soviel ist auch klar: Donald Trump hat natürlich keineswegs wegen einer Abneigung gegen Kriege in der gehabten Form gehandelt, sondern aus reinen Sachzwängen heraus. Denn auch er selbst steht daheim einer wachsenden und täglich entschiedeneren Opposition gegenüber, der er nun auch noch einen neuen, möglicherweise extrem verlustreichen und kostenträchtigen Krieg nicht mehr hätte zumuten können.
Nicht nur bei den Demokraten, sondern auch bei den Republikanern mehren sich täglich Stimmen, die ihm maximale Zurückhaltung in der Nahostfrage abverlangen. Hinzu kommt eine vollständig desaströse Haushalts- und allgemeine Wirtschaftslage, die ohnehin in den nächsten Monaten in eine Katastrophe münden könnte.
Schon jetzt flüchtet internationales Kapital aus den USA, viele Staaten ziehen ihre Goldvorräte ab, US-Staatsanleihen werden zum besseren Klopapier und werden von großen Staaten wie Japan und China in großen Mengen auf den Markt geworfen, was ihren Wert dramatisch senkt.
Wirtschaftsexperten sehen, dass allein nur die Zahlung für die Zinsen der US-Schulden jährlich bereits etwa 800 Milliarden Dollar frisst und somit sogar das Budget für Militär und Rüstung übersteigt. Auch auf die konzertierten Aktionen der BRICS-Staaten findet Trump keine Antwort, was die Dominanz des Dollars schwer beeinträchtigt und langfristig zu dramatischen Verlusten an Absatzmärkten führen wird.
Er muss Netanyahu alleinlassen. Es mag ihm vielleicht nicht gefallen, aber er hat keine andere Wahl. Der US-Präsident steht vor einer schwächelnden Nation, die zunehmend mit sich selbst beschäftigt ist und alle Hände voll zu tun hat, den eigenen Absturz noch irgendwie verhindern zu können.
Das ist der berühmte „Tag X“, den der weltweite Zionismus so sehr gefürchtet hat. Die schmachvolle Niederlage gegen Iran ist ein Beweis für die Annahme, dass der Peak Israels nun überschritten und seine Bedeutung und Dominanz endgültig infrage gestellt ist.
Israels Lage ist erheblich verzweifelter als jemals zuvor. Die Beseitigung der materiellen Schäden reißt mit vielen Milliarden ein zusätzlich sehr tiefes Loch in die ohnehin längst leere Staatskasse, die Beseitigung der psychologischen Schäden könnte unmöglich werden.
Ob sich nun die israelische Mehrheit nach letzten Umfragen mit der generellen Politik der Regierung, sich mit maximaler Gewalt des Westjordanlandes und Gazas zu bemächtigen, einverstanden erklärt oder nicht, ist unerheblich. Die Bürger sehen gerade in den zurückliegenden Monaten eine erhebliche Einschränkung und Gefährdung ihres privaten und persönlichen Lebens, da bereits der Gaza-Krieg an der wirtschaftlichen Substanz Israels zehrte. Nunmehr stolpern sie im eigenen Land durch brennende Ruinen.
Verbündete Nationen, die ihrerseits so wie Deutschland waffentechnisch wie rhetorisch in Israels Krieg investiert hatten, haben massiv an Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit auch ihren eigenen Bürgern gegenüber eingebüßt. Bündnisse wie die EU schwanken und werden in naher Zukunft keine Möglichkeiten mehr haben, ihre Solidarität zu Israel in der gehabten Form aufrechtzuerhalten.
Wenn das Assoziierungsabkommen nicht jetzt fällt, dann wird es das fraglos in naher Zukunft tun. Das wird Israel zusätzlich massive, wirtschaftliche Schwierigkeiten einbringen, obschon es die bereits existierenden nicht mehr bewältigen kann. Seine Produktivität und Produktion sind auf Talfahrt. Die Steuereinnahmen sinken, da viele Reservisten den Betrieben nicht zur Verfügung stehen und diese schließen müssen, nicht selten für immer.
Dieser „Tag X“ markiert meiner Meinung nach einen dramatischen Wendepunkt.
Obschon die Verbündeten Israels in nahezu vollständig geeinter Front den begonnenen, fraglos völkerrechtswidrigen Krieg gesundgebetet hatten, war er nicht zu gewinnen. Nun stellt sich Israel sowohl politisch, als auch militärisch und wirtschaftlich als ein Fass ohne Boden dar, dass weitaus mehr Zuwendungen aller Art benötigt, als alle zusammen aufbringen können.
Die Hoffnung, mit einer raschen Zerstörung Gazas und einem schnellen Sieg gegen Iran könnten schnell vollendete Tatsachen geschaffen werden, hat sich grundgütig zerschlagen.
Wie zu hören ist, verschärft sich die innenpolitische Lage in Israel von Tag zu Tag. Da werden Demonstranten ohne konkrete Vorwürfe regelrecht von der Straße gefangen, zusammengeschlagen und zwangsweise nackt untersucht.
Da veröffentlichen Regierungsmitglieder entwürdigende Beleidigungskanonaden gegen Kritiker und außer verstörenden wie unwahren Stereotypen wie „Wir haben gesiegt!“ und „Wir sind die stärkste Nation!“ kommen offiziell keine wahrnehmbaren Sätze. Gerede der Opposition ist kaum ernstzunehmen, da ineffizient, wirkungslos und unglaubhaft, denn die Bürger ahnen, dass auch sie keine erlösenden Rezepte für die enorme Schieflage hat.
Der Premierminister Netanyahu hat sich furchtbar verrechnet. Weder die eigenen Streitkräfte konnten gegen Iran bestehen, noch konnte er sein Brecheisen in den USA erfolgreich ansetzen, um dort für einen mehr oder weniger totalen Krieg gegen Iran Flankenschutz zu erhalten.
Es gibt aber augenscheinlich keinen „Plan B“. Die Lage wirkt ein wenig wie im April 1945, als ein durch und durch frustrierter Hitler bellte: „Wenn die Deutschen nicht siegen können, nun, dann haben sie kein Weiterleben verdient!“
Er hat eine völlig verzerrte Version des jüdischen Glaubens in Form eines brutal-aggressiven Zionismus an den Rand des Abgrunds geschoben und somit den Juden der Welt die Möglichkeit gegeben, sich und diese Auswüchse kritisch zu hinterfragen.
Den faschistischen Zionisten droht ein Ragnarök, eine vielleicht sogar gewalttätige Implosion – aber genau diese Lage verschafft die Hoffnung auf ein neues, erneuertes Israel. Die Welt muss es nur wollen und zulassen.
Mit nicht wenig Berechtigung muss man den Spieß des Netanyahu umdrehen und in Israel einen Regime Change herbeiführen.
So, wie es ist, geht es jedenfalls nicht weiter.
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