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Sedat Peker – Ein Insider der auspackt?

Sedat Peker, der Pate einer kriminellen Vereinigung in der Türkei, wendet sich seit Mitte April auf YouTube an die Öffentlichkeit und erzählt angeblich pikante Details über bestimmte Personen in Regierungskreisen.

Sedat Peker (Screenshot/Youtube)
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Ein Gastbeitrag von Nabi Yücel

Sedat Peker, der Pate einer kriminellen Vereinigung in der Türkei, wendet sich seit Mitte April auf YouTube an die Öffentlichkeit und erzählt angeblich pikante Details über bestimmte Personen in Regierungskreisen. Bislang hat Peker den ehemaligen Innenminister Mehmet Ağar oder den aktuellen Innenminister Süleyman Soylu beschuldigt, u.a. Verbindungen zur Mafia zu unterhalten. Soylu bestreitet diese Anschuldigungen vehement, während Peker es bislang nicht weiter untermauern kann. Stattdessen zieht er weitere Kreise in die Schlammschlacht hinein, was für weitere Verwirrung sorgt.

Was war passiert?

Was ist eigentlich passiert, dass der Pate, der seit mehr als 500 Tagen außer Landes ist, seit dem 15. April aus den Vereinigten Arabischen Emiraten heraus in regelmäßigen abständen bislang 7 Videos auf YouTube gepostet hat?

Seit Anfang 2020 befand sich Sedat Peker außer Landes, vermutlich in Nordmazedonien und angestoßen durch Ermittlungen in der Türkei. Auf Gerüchte hin, Peker sei aus der Türkei geflohen, weil die Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft ihn geladen habe und weil gegen ihn ein Kapitaldelikt anhängig ist, meldete sich Sedat Peker am 3. Februar 2021 über Instagram zurück und verneinte die Gerüchte, das Land aufgrund von anhängigen Ermittlungen verlassen zu haben.

Stattdessen gab Peker an, er habe sich bis vor zwei Monaten freiwillig im Balkan aufgehalten, sei jetzt aber in Montenegro und habe dort ein Studium begonnen. Im Januar 2021 wurde jedoch bekannt, dass Peker von nordmazedonischen Behörden in den Kosovo abgeschoben wurde. Von da aus ging es laut bisherigen Informationen erst nach Marokko, wo er sich bis Anfang April in Casablanca aufhielt. Kurze Zeit später setzte sich Peker nach Dubai ab, von wo auch ab dem 15. April die ersten Videos über YouTube veröffentlicht wurden.

Darin zieht Peker vor allem gegen den türkischen Innenminister Süleyman Soylu und Mehmet Ağar zu Felde, während er sich zum Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan ausschweigt und kein Wort über ihn verliert. Paradoxerweise nimmt Peker Erdoğan sogar phasenweise in Schutz, während er gegen den Schwiegersohn Berat Albayrak heftig austeilt und dafür Soylu zur Verantwortung zieht, weil dieser für den Bruch mit Albayrak gesorgt habe. Ebenfalls unverständlich, zumal seit langem bekannt ist, dass Soylu und Albayrak sich spinne Feind gegenüber stehen.

Rückblick!

Ein Berufungsgericht in Istanbul verwarf am 5. April das Urteil über den ehemaligen Innenminister Mehmet Ağar auf, womit erneut der Weg zu weiteren Ermittlungen und der Neuaufnahme einer Gerichtsverhandlung der Weg geebnet wurde.

Das Haus von Sedat Peker in Istanbul wurde vier Tage später, also am 9. April, bei einer polizeilichen Razzia durchsucht. Laut Peker sei dabei die Tochter und die Ehefrau ungebührlich und über die Maßen hinaus von der Polizei bedrängt bzw. belästigt worden – mit ein, ja sogar der Hauptgrund für Peker – wie er selbst in den Videos stets unterstreicht – Tage später den Schlagabtausch mit Soylu, Ağar, Albayrak oder der sogenannten Pelikan-Gruppe über YouTube zu starten.

Laut bisher vorliegenden Informationen war diese Information in Regierungskreisen bis hin bis zum Staatspräsidenten, dem Justizministerium oder dem Innenministerium nicht durchgedrungen, dass das Urteil über Ağar vom Istanbuler Berufungsgericht verworfen und zur Neuverhandlung der vorigen Instanz zurück überwiesen wurde. Das wirft sogar mehr Fragen auf, als es Antworten liefern kann, zumal Mehmet Ağar stets im Mittelpunkt der oppositionellen Berichterstattung stand. Das heißt aber auch: Fast 48 Tage war in den Regierungskreisen laut verlässlichen Quellen auch nicht bekannt, welches Urteil über Mehmet Ağar gefallen war, dass dieser womöglich wieder hinter Gittern landen wird.

Erst mit Sedat Peker und dem ersten Video wurde bekannt, dass das Urteil längst gefällt worden war. Fest steht auch, dass die türkischen Ermittlungsbehörden ab diesem Datum ihre Bemühungen verstärkten, den Druck auf Sedat Peker zu erhöhen, das heißt, den Fahndungsdruck zu erhöhen, ohne dass die besagten Regierungskreise davon Wind bekamen. Gibt es also, wie türkische Medien erahnen wollen, noch immer eine Parallelstruktur innerhalb der Sicherheitsbehörden, vor allem in Ermittlungskreisen und der Justiz? Das werden die nächsten Wochen und Monate zeigen, wenn sozusagen die ersten Köpfe rollen.

Das wirft die Frage auf, ob Sedat Peker tatsächlich nur die zuvor genannten Personenkreise angreift und sie u.a. mit Drogen und mafiösen Strukturen in Verbindung bringt oder unbedarft und nichts ahnend die Spitze des Staates selbst, also Erdoğan, ins Visier nimmt. Schließlich berichteten westliche Medien nahezu im Gleichtakt über diesen sogenannten „Skandal der türkischen Regierung“, der Erdoğan vom Thron stürzen könnte.

Unverständlich bleibt z.B., weshalb Peker Erdoğan bislang außen vor lässt, während er seinen Innenminister weiterhin beschuldigt, ohne dafür konkrete Beweise liefern zu können. Mittlerweile geht man davon aus, dass diese Video-Sessions das Ziel hatten, Süleyman Soylu außer Gefecht zu setzen und damit Erdoğan zu isolieren. Und das geht am besten, in dem Soylu unter dem ständig vorherrschenden Druck und dem Ausbleiben der Solidarität seitens des Staatspräsidenten Erdoğan und des Koalitionspartners Devlet Bahceli, selbst das Handtuch schmeißt oder von Erdoğan zum Rücktritt bewegt wird.

Interessanterweise begangen bestimmte Kreise in den türkischen Medien, genau das vehement einzufordern, zuletzt während einer TV-Live-Aussprache des Innenministers Soylu in Haber Türk, wo mehrere Journalisten Fragen stellten und auf Antworten pochten. Sprich, sie forderten Soylu offen dazu auf, seinen Hut zu nehmen, um den Ermittlungen in diesem Zusammenhang – die überdies Soylu selbst losgetreten hatte – den Weg zu ebnen.

Dabei stützten sich dieselben Medien auch auf das bisherige Ausbleiben der Solidarität seitens der AKP- und MHP-Gremien, vor allem von Erdoğan und Bahceli. Am Dienstag nahm diese Erwartungshaltung dieser Kreise aber ein jähes Ende, als der Vorsitzende der MHP, Devlet Bahceli, neben Süleyman Soylu Position bezog und ihn unmissverständlich in Schutz nahm. Des Weiteren warnte Bahceli alle davor, diesem Theater auch nur ansatzweise Glauben zu schenken, weil das kein Angriff auf Einzelne sei, sondern ein Angriff auf die Republik selbst. Einen Tag später trat Erdoğan vor die Kameras, um dem Kabinettsmitglied entschieden beizustehen und dabei vor allem die Opposition für ihre bisherige „unsägliche Rolle“ scharf zu verurteilen.

Seither hört man von Sedat Peker geradezu nichts mehr, außer ein Paar wenige belanglose Tweets auf Twitter. Auch wenn dieselben wenigen medialen Kreise noch immer auf die Erzählungen von Sedat Peker mehr Wert legen als auf die strikten Dementis des Innenministers, hat sich das mediale Hauptaugenmerk in der Türkei gravierend verschoben. Mit ein Grund sind die wagen Verdächtigungen, die von Sedat Peker in den Raum geworfen wurden. Eine Person nach der anderen, die in diesen Verdächtigungen von Peker namentlich genannt wurden bzw. als Zeugen dienen sollen, wiegeln mit der Kontaktaufnahme von Journalisten und Investigativredakteuren entweder ab oder haben schlüssige Argumente, die das von Peker in den Raum Geworfene in Abrede stellen.

Ist Sedat Peker doch ein Opfer seiner selbst, nach dem er sich von bestimmten Kreisen instrumentalisieren ließ, nun ganz alleine da steht? Wer sind diese Kreise, die Peker über den halben Globus begleitet haben und mit einem Urteil aus Istanbul einen Feldzug gegen die türkische Regierung gestartet haben? Das sind die nun dringlichsten Fragen, die in den türkischen Medien behandelt werden. Dabei wirkt sich der derzeitige Aufenthaltsort für Sedat Peker selbst negativ aus, zumal die türkische Regierung mit den Vereinten Arabischen Emiraten (VAE) in mehreren Krisen direkt aufeinander prallen – sei es in Libyen, in Ägypten oder im Streit um das östliche Mittelmeer.

Türkische Medien fanden u.a. heraus, dass der Betreiber und Inhaber des Hotels in dem Peker in Dubai untergekommen sein soll, in Regierungskreisen der VAE hoch angesiedelt ist, Verbindungen zu inneren und äußeren Sicherheitsbehörden unterhält. Geht es also doch nicht um Mehmet Ağar, die Pelikan-Gruppe oder Süleyman Soylu, sondern schlicht und einfach um Erdoğan und seiner Regierung selbst? Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, was man davon zu halten hat.


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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