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"Dann geht doch nach Hause!"
Türkei-Deutsche widersprechen Serdar Somuncu: „Wir sind schon länger als eine Woche hier“

Der deutsch-türkische Comedian und Erdogan-Kritiker Serdar Somuncu wirft in Deutschland lebenden Anhänger des türkischen Präsidenten Ahnungslosigkeit vor. Sie würden niemals freiwillig selbst in der Türkei leben wollen oder es dort auch nur für eine Woche aushalten. Einige Leser widersprechen dieser Einschätzung.

(Foto: Privat)
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Dortmund (nex) Im Vorfeld des Referendums über die Verfassungsreform in der Türkei und in den darauffolgenden Tagen hat sich der Comedian Serdar Somuncu mit harscher Kritiker an der türkischen Einwanderercommunity hervorgetan. Insbesondere nahm er dabei Anstoß daran, dass unter den türkischen Einwanderern ein überdurchschnittlich hoher Anteil für die Einführung des umstrittenen Präsidialsystems votierte und Präsident Recep Tayyip Erdogan eine hohe Autorität genießt.

In einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ erklärte Somuncu jüngst unter anderem, die Deutsch-Türken, die von Deutschland aus ihr Wahlrecht in der Türkei zu Gunsten Erdogans ausüben, würden „nicht eine Woche in der Türkei leben können“. Hinsichtlich dieser Behauptungen haben sich einige Leser und vor allem Leserinnen an die Redaktion gewandt, die aus Deutschland stammen oder dort aufgewachsen sind und bereits seit längerer Zeit in der Türkei leben:

 

Anke Demirkıran
(Foto: Privat)

Ich lebe nun schon gute zehn Jahre in der Türkei. Also sogar schon etwas länger als eine Woche. Mich hat niemand gezwungen, ein Kopftuch zu tragen oder meinen Namen zu ändern.

 

Petra Steiniger Aladag
(Foto: Privat)

Ich lebe seit sechs Jahren in der Türkei. Ich habe mich hier noch nie eingeengt gefühlt oder erlebt, dass man mir was aufzwingen will. Ich fühle mich hier freier als in Deutschland.

Manuela Klöpfel Fidan
(Foto: Privat)

Ich lebe seit 15 Jahren in der Türkei. Meine Schwägerin ist Türkin, sie ist in Deutschland geboren und dort über 28 Jahre aufgewachsen. Ich darf ganz offen lachen, in Restaurants Bier oder Raki mit meinem Mann und Freunden trinken, ich dürfte auch jederzeit mit kurzem Rock oder Hose an die Öffentlichkeit gehen, wenn mir danach wäre.

Petra Canan
(Foto: Privat)

Ich lebe seit über 11 Jahren mit meinem Mann, einem in Deutschland geborenen Türken, und unseren beiden Jungs (12 und 15 Jahre alt) in Antalya. Manche denken ja immer noch, in der Türkei gäbe es keinerlei Luxus und wir schöpfen unser Wasser noch aus Wasserlöchern. Das sind dann diejenigen, die ihre Augen nicht mehr zukriegen, wenn sie mal hier waren. Alles schon erlebt… Der einzige Unterschied: Ich könnte mir den gleichen Luxus in Deutschland niemals leisten.

Seit Jahren setze ich mich schon gegen Falschmeldungen der deutschen Medien ein, aber was gerade passiert, ist einfach nur noch traurig und es macht mich sprachlos, wie gegen die Türkei gehetzt, gelogen und alles falsch dargestellt wird. Ich bin sehr dankbar, hier leben zu dürfen und bereue keine Sekunde.

Gaby Subaşı
(Foto: Privat)

Ich bin schon seit 24 Jahren mit türkischem Ehemann eingetürkt, lebe seit 14 Jahren in der Türkei und fühle mich hier sehr wohl. Ich lebe hier ohne jeglichen Zwang und Unterdrückung, selbst ein Kopftuch hat man nicht versucht, mir aufzuzwingen. Wenn ich die jungen Leute hier ansehe, die laufen super modern und gestylt durch die Gegend und keiner stört sich daran. Es ist so interessant, wenn man etwa zwei junge Mädels sieht, dicke Freundinnen, die hier Arm in Arm laufen, die Eine im Minirock, die andere mit Kopftuch. Es geht doch auch so, wie man sieht. Leben und leben lassen.

Marina Bütün
(Foto: Privat)

Ich bin nun seit 14 Jahren permanent in der Türkei und habe vor mehr als 25 Jahren in der Türkei geheiratet. Ab 1990 bin ich zwischen den Ländern gependelt… Mein türkischer Mann, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, hat genau wie ich dieselbe Einstellung, nämlich, dass wir in der Türkei unsere Heimat gefunden haben und wir hier lieber leben als in Deutschland.

Natürlich fehlt mir meine Familie in Deutschland sehr, aber das würde mich nicht dazu bewegen, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Wir haben uns hier eine Existenz aufgebaut, eine Baufirma, und leben in einer traditionellen Stadt 15 Kilometer von der Küste in der Provinz Muğla entfernt, in der kaum Ausländer wohnen. Wenn ich will, laufe ich im Sommer mit kurzer Hose und im Top. Wenn ich will, gehe ich – zum Entsetzen meines Mannes – auch schon mal mit der Şalvar mit Blümchen (traditionelle Pumphose Anm. Redaktion) in die Stadt in den Supermarkt und meine türkischen Nachbarinnen finden es lustig. Im nächstgelegenen Stadtteil am Meer leben Christen und Muslime zusammen und keiner stört sich am anderen. Ja, sogar an der traditionellen Weihnachtsfeier am Strand nehmen auch die Türken teil und bringen Gebäck mit. Wer sagt, man kann hier nicht leben, der lügt oder hat keine Ahnung. Die, die wieder nach Deutschland zurückkehren, haben meistens private Gründe – wie Beziehungsprobleme, ein falsches Geschäftskonzept oder eine Änderung der Lebensplanung. Nur mal nebenbei: In der gesamten Türkei leben 50 000 Deutsche und das sind nicht nur Rentner, sondern auch solche, die hier leben und arbeiten und ich kenne keinen, der sagt, sie haben ein qualvolles Leben.

Steffi Nissel
(Foto: Privat)

Ich heiße Steffi Nissel und lebe mit meinen Mann Gerhard Maucher seit 09/2011 in Ilica/Antalya. Ich bin Rentnerin und uns geht es hier gesundheitlich viel besser.

Wir wurden hier wie Freunde aufgenommen und wir fühlen uns hier angekommen.

Mein Mann hatte vor einem Jahr einen Herzinfarkt und da ich beruflich aus den Gesundheitswesen komme, kann ich es sehr gut einschätzen, ob ein Gesundheitssystem gut ist oder nicht.

Ich bin sehr, sehr positiv überrascht gewesen .Hier wird schnell geholfen und mir ist aufgefallen, dass man hier teilweise weiter ist als in Deutschland.

Was mich seit einiger Zeit sehr ärgert ist, dass man sieht, wie die deutschen Medien die Türkei spalten möchten. Es kommen ständig entweder Falschmeldungen oder verdrehte Meldungen.

Da wir noch Kinder und Enkelkinder in Deutschland haben, fliegen wir im Sommer sowie Weihnachten nach Deutschland. Dort spüre ich ganz deutlich, wie die Einstellung zur Türkei ist. Es tut mir im Herzen weh, wenn man über ein Land urteilt, obwohl man da nicht lebt!

Für mich ist die Türkei ein stolzes Land und ich bin dankbar und glücklich hier leben zu dürfen. Wollen wir doch ehrlich zu uns sein, es gibt kein Land wo alles perfekt ist. Wir haben in Deutschland genügend Baustellen um die wir uns kümmern müssen ! Wir hoffen, dass Deutschland einmal einen vernünftigen und ehrlichen Weg findet , wieder mit der Türkei zusammen zu arbeiten. Schließlich kann man nur durch Einigkeit denn Terror bekämpfen. Wir haben alle nur ein Leben und eine Welt und wir sind alle Menschen, egal ob schwarz oder weiß, egal welche Religion !

Henriette Wild
(Foto: Privat)

Als wir uns nach mehreren Rucksackreisen durch Anatolien dazu entschlossen, für längere Zeit in der Türkei zu leben, wussten wir noch nicht, wie diese Entscheidung unser gesamtes Leben umkrempeln würde.

Wie sagte schon Franz Kafka: „Wege entstehen dadurch, dass man sie geht“.

Mit diesem Leitmotto zogen wir, eine normale deutsche Familie, 1989 mit unseren vier Jungs in die Türkei. Für die damalige Zeit total ungewöhnlich, dementsprechend waren auch die Kommentare unseres direkten Umfeldes. Teilweise wurden wir als verantwortungslos bezeichnet. Nur ganz wenige konnten unseren neuen Weg nachvollziehen. Aber genau weil wir uns unserer großen Verantwortung bewusst waren, haben wir uns für diesen Schritt entschieden.

Zum einen wollten wir unseren Kindern zeigen, dass man auch Wege gehen kann, die noch nicht vorgefertigt sind, sondern die man selber bereitet.

Zum anderen war es uns wichtig, den Kids aufzuzeigen, dass Zufriedenheit und Glück nicht vom materiellen Wohlstand abhängig sind. Sie sollten selbst erfahren, was den Menschen ausmacht, dass man ihn nicht an seinen Markenklamotten misst, sondern an seinen Werten. Gleichzeitig war es ein Weg zurück zu den Wurzeln. Wir wählten ganz bewusst eine einfache Lebensweise.

Heute kann ich mit Stolz sagen, diesen Weg zu gehen, das war eine gute Entscheidung.

Obwohl wir in den 90iger Jahren wieder für eine gewisse Zeit nach Deutschland zurück mussten, war für uns die Türkei zur zweiten Heimat geworden. Es war ein ständiges Reisen zwischen den Kontinenten. Wir wussten, dass der Tag wieder kommen würde, an dem wir zu Deutschland „Tschüs“ sagen werden und uns für immer in der Türkei niederlassen werden. Heute ist dieser Tag schon lange dagewesen. Mittlerweile wohnt die Hälfte der Kinder hier bei uns in der Türkei und der Rest der mittlerweile erwachsenen Kinder verstreut sich in der Welt. Die Jüngste, ja, es kamen noch mehr Kinder dazu, studiert derzeit an einer türkischen Uni. Auch für sie gibt es keine Alternative mehr zur Türkei. Für uns ist das Land zwischen Orient und Okzident zur Heimat geworden.

Für mich, als Autorin und Texterin ist es wichtig, dass ich in einem Umfeld in Ruhe und Sicherheit arbeiten kann. Wir leben an der nördlichen Ägäis und fühlen uns hier absolut sicher und geborgen. Geborgen in einer türkischen Gemeinschaft, die ihresgleichen sucht. Geborgen in einem Lebensgefühl der Sicherheit, Akzeptanz, Freundschaft und Zufriedenheit.

Im empfehle jedem, vor allem denen, die dem Land, dem Volk und seiner Regierung kritisch gegenübersstehen und die ihre Informationen nur aus den deutschen Medien kennen: Besuchen Sie die Türkei, reden Sie mit den Leuten auf der Straße (es können genug deutsch), machen Sie sich Ihr eigenes Bild von diesem wunderschönen Land. Und machen Sie es wie ich, lernen Sie bei der Mitarbeit im dörflichen Alltag Kultur und Traditionen kennen. Hoşgeldiniz Türkiye !

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