Start Panorama Ausland Gastkommentar Rakı – Warum die türkische Trinkkultur weltweit einzigartig ist

Gastkommentar
Rakı – Warum die türkische Trinkkultur weltweit einzigartig ist

Çayır: "Rakı ist weit mehr als ein alkoholisches Getränk. Es ist ein kulturelles Ritual, ein sozialer Raum und ein Stück kollektiver Erinnerung."

(Symbolfoto: pixabay)
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Ein Gaastkommentar von Çağıl Çayır

Rakı ist weit mehr als ein alkoholisches Getränk. Es ist ein kulturelles Ritual, ein sozialer Raum und ein Stück kollektiver Erinnerung. Während andere Mittelmeerregionen ihre eigenen Spirituosen haben – Ouzo in Griechenland, Pastis in Frankreich, Arak im Libanon – erreicht keine von ihnen die gleiche Tiefe, Atmosphäre und emotionale Bedeutung wie die türkische Rakı-Kultur.

Im Zentrum steht nicht die Flasche, sondern die Rakı-Tafel. Diese Tafel ist kein gewöhnlicher Essenstisch, sondern ein Ort, an dem Menschen sich Zeit füreinander nehmen. Man spricht, hört zu, reflektiert über das Leben und hält inne. Rakı wird langsam getrunken; Hektik gilt als unangemessen. Die Kultur lebt von Gelassenheit, Gesprächskunst und Respekt.

Zu dieser besonderen Atmosphäre gehört auch die türkische Musik – von klassischer Fasıl-Musik bis zu modernen Balladen. Viele literarische Werke, Gedichte und Lieder sind an der Rakı-Tafel entstanden. Schriftsteller wie Attilâ İlhan oder Orhan Veli machten sie zu einem festen Bestandteil der modernen türkischen Kultur. Die Rakı-Tafel verbindet Genuss mit Nachdenklichkeit, Humor mit Melancholie.

Was diese Trinkkultur besonders macht, ist die Balance aus Essen, Gespräch und Gefühl. Rakı ist kein Getränk für nebenbei, kein schneller „Shot“, keine bloße Ergänzung zu einem Gericht. Es ist ein soziales Ritual, das in dieser Form weltweit einzigartig ist. Hier entsteht eine eigene Ethik des Umgangs miteinander: Man verletzt niemanden, man hört zu, man teilt das Brot – und man teilt das Herz.

In Zeiten globaler Hektik erinnert die Rakı-Kultur daran, wie wertvoll es ist, gemeinsam zu sitzen, zu sprechen und menschliche Nähe zu pflegen. Sie ist ein Stück türkischer Identität – offen, einladend und tief emotional.

Aktuell kam der Rakı wieder ins Gespräch, weil Alperen Şengün, Profi-Basketballspieler beim Houston Rockets und A-Nationalspieler der Türkei, in einem Interview die Rakı-Kultur als einen Teil der typisch türkischen Lebensart bezeichnete.

Wichtig ist dabei: Dieses Statement war keine Werbung für exzessiven Alkoholkonsum, sondern kann als Hinweis auf einen verantwortungsbewussten und ritualisierten Umgang mit Alkohol verstanden werden. Denn in seiner Darstellung betonte Şengün nicht das schnelle Trinken, sondern die Gemeinsamkeit, das Innehalten, die Kultur eines respektvollen Beisammenseins.

Damit macht er deutlich: Rakı-Tafeln sind nicht Bühne für „viel trinken“, sondern Ort für Gespräch, Genuss und Gemeinschaft – und können somit ein Vorbild sein für einen reflektierten Umgang mit Alkohol in einer modernen Gesellschaft.

Gleichzeitig kann diese Haltung als Vorbild für andere Nationen gelesen werden. Während in vielen Ländern Alkohol entweder verharmlost oder tabuisiert wird, zeigt die türkische Rakı-Kultur eine dritte, viel reifere Möglichkeit: den achtsamen, kontrollierten und gemeinschaftlichen Genuss.

Wenn ein international bekannter Sportler wie Alperen Şengün diese Form des Umgangs hervorhebt, sendet er ein wichtiges Signal – nicht zur Werbung für Alkohol, sondern für Verantwortung, Maß und Kultur. Gerade Sportler, die junge Menschen weltweit inspirieren, sind die besten Vorbilder dafür, wie man mit Alkohol bewusst, langsam und respektvoll umgehen kann. In diesem Sinne steht Rakı auch für die vielleicht schönste und vernünftigste Art, Alkohol zu genießen: nicht allein, nicht im Übermaß, sondern im Rahmen von Gemeinschaft, Essen, Musik und guter Unterhaltung.

Man könnte sogar so weit gehen, Alperen Şengün als eine Art kulturellen Botschafter zu würdigen. Ein junger, erfolgreicher Sportler, der fernab nationalistischer Klischees offen über einen Teil der türkischen Alltagskultur spricht, erfüllt eine Rolle, die sonst meist Künstlern oder Intellektuellen zufällt.

Ihn für diesen Beitrag öffentlich zu loben oder mit Kulturpreisen auszuzeichnen, wäre ein Signal: dass man nicht nur sportliche Leistungen, sondern auch kulturelle Vermittlung anerkennt. Manche mögen es ungewöhnlich finden, einen Athleten mit Rakı in Verbindung zu bringen – doch gerade seine reflektierte, ruhige Haltung bietet einen positiven Impuls.

Wenn Persönlichkeiten wie Şengün öfter über Rakı als Ritual des Maßhaltens, des Gesprächs und der Gemeinschaft sprechen, kann dies tatsächlich dazu beitragen, weltweit ein Bewusstsein für vernünftigen, verantwortungsvollen Alkoholkonsum zu fördern. Die Idee ist deshalb nicht nur mutig, sondern auch zeitgemäß: Sie setzt auf Bildung, Vorbildfunktion und Kultur statt auf Verbote oder Verharmlosung.

Die Wirkung solcher kulturellen Impulse reicht jedoch weit über den Alkoholkonsum hinaus. Denn das Benehmen an der Rakı-Tafel – Respekt, Zuhören, Gelassenheit, Maßhalten, Rücksicht auf die Stimmung der anderen – ist nicht nur ein Trinkritual, sondern ein allgemeines kulturelles Verhaltenstraining.

Es lehrt, wie man miteinander spricht, wie man Konflikte vermeidet, wie man Gefühle ausdrückt, ohne zu verletzen. Wenn eine Persönlichkeit wie Şengün diese Werte international sichtbar macht, fördert das nicht nur einen vernünftigen Umgang mit Alkohol, sondern auch soziale Intelligenz, Höflichkeit und gemeinsame Lebenskunst.

Genau deshalb kann die Rakı-Kultur weltweit bereichernd wirken: Sie zeigt, wie ein Getränk nicht Chaos, sondern Kultur, nicht Kontrollverlust, sondern Kommunikation hervorbringen kann. Diese Haltung ist universell – und weit wertvoller als eine Diskussion, die sich nur auf Alkohol beschränkt.

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Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.


Zum Autor

Çağıl Çayır hat sich als Kölner Geschichtsstudent auf historisch-vergleichende Kulturwissenschaft und Wissenschaftsgeschichte spezialisiert und studiert aktuell Philosophie im Master an der Universität Wuppertal.

Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf Wissenschaftstheorie und Seinsphilosophie. Seine Arbeiten erscheinen international in renommierten Fach- und Populärmedien.Er engagiert sich wissenschaftlich wie gesellschaftlich für eine intellektuelle Völkerverständigung. Außerdem ist er stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Türkischen Gesellschaft Bonn sowie Gründer der Kultur-Akademie Çayır und der Çayır Kultur Akademisi auf YouTube.Seine größte Weisheit lautet: „Liebe ist die Lektion der Geschichte.“


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