Ein Gastbeitrag von Çağıl Çayır
Die Kuppel der Moschee ist weit mehr als ein architektonisches Detail. Sie ist das sichtbare Abbild des Himmels selbst – Symbol für Vollkommenheit, Einheit und göttliche Gegenwart. Wer unter ihr steht und den Blick hebt, sieht nicht nur Stein und Ornament, sondern das Echo einer uralten Beziehung zwischen Mensch und Himmel.
Der Himmel als göttlicher Ursprung
Diese Vorstellung führt weit zurück – in die spirituelle Welt der Nomaden, insbesondere in den Tengrismus, die alte Himmelsreligion der Turk- und Mongolenvölker.
Der Himmel – Tengri – war dort nicht nur Naturraum, sondern göttliches Prinzip: Ursprung des Lebens, des Schicksals und der Ordnung. Kök Tengri, der „Blaue Himmel“, galt als höchster, allsehender Gott, der über Mensch und Natur wachte.

Vom Himmelszelt zur Moscheekuppel
In der islamischen Architektur lebt diese uralte Himmelsverehrung fort – in neuer Form, aber mit derselben symbolischen Kraft.
Die Kuppel erinnert an das Himmelszelt der Nomaden, an die runde Öffnung des Zeltes (tünglük), durch die das Licht in das Innere fiel. Sie verbindet Erde und Himmel, das Irdische mit dem Göttlichen.
Der Raum unter der Kuppel ist ein Ort der Transzendenz: Hier erhebt sich das Gebet, hier erklingt das Wort Gottes, hier fällt das Licht wie eine Offenbarung von oben herab. Besonders in der seldschukischen und osmanischen Architektur verschmilzt diese Symbolik: Die blauen und goldenen Ornamente, die Sterne und Kreise, erinnern an den endlosen Himmel, aus dem alles stammt.

Das Gedächtnis des Himmels
So wird die Moschee zu einem Gedächtnis des Himmels – zu einer Erinnerung an jene Zeit, in der der Mensch den Himmel nicht nur betrachtete, sondern ihn ehrte und anrief.
In der Kuppel begegnet uns der Ursprung des Glaubens an den Himmel: die uralte Sehnsucht, das Irdische mit dem Ewigen zu verbinden.
Wie der Himmel sich über alle Menschen spannt, so wölbt sich die Kuppel über den Betenden – als stilles Zeichen, dass Gott eins ist und überall derselbe.
Zum Autor
Çağıl Çayır studierte Geschichte und Philosophie an der Universität zu Köln und ist als freier Forscher tätig. Çayır ist Autor von „Runen in Eurasien. Über die apokalyptische Spirale zum Vergleich der alttürkischen und ‚germanischen‘ Schrift‘“ und ist Gründer der Kultur-Akademie Çayır auf YouTube. Seine Arbeiten wurden international in verschiedenen Fach- und Massenmedien veröffentlicht.
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