
Von Çağıl Çayır
Als im Frühjahr 1915 die Alliierten – vor allem britische, französische, australische und neuseeländische Truppen – an der Dardanellenfront landeten, ahnten nur wenige, dass sich hier eines der härtesten Kapitel des Ersten Weltkriegs abspielen würde.
Die Schlacht um Gallipoli, die in der Türkei bis heute als Çanakkale Zaferi (Sieg von Çanakkale) erinnert wird, wurde zu einem Symbol für Mut, Opferbereitschaft und internationale Waffenbrüderschaft.
Doch ein Kapitel dieser Geschichte ist in Deutschland nahezu in Vergessenheit geraten: der Einsatz deutscher Offiziere und Soldaten, die Seite an Seite mit den Osmanen kämpften und fielen – die „vergessenen deutschen Märtyrer“.
Deutsche Berater und Kämpfer an der Seite der Osmanen
Seit Beginn des Ersten Weltkriegs standen das Deutsche Reich und das Osmanische Reich in enger militärischer Allianz. Schon vor 1914 hatten deutsche Offiziere wie Colmar von der Goltz das osmanische Heer modernisiert.
Mit Kriegseintritt 1914 kamen zahlreiche deutsche Offiziere, Ingenieure und Spezialisten in die Türkei, um die Dardanellen zu befestigen und das Heer in modernen Taktiken zu schulen.
Eine Schlüsselrolle spielte General Otto Liman von Sanders, der als Befehlshaber der 5. osmanischen Armee die Verteidigung der Gallipoli-Halbinsel organisierte. Unter ihm dienten deutsche Offiziere in Stäben, in der Artillerie und im Pionierwesen. Sie standen nicht nur beratend zur Seite, sondern befanden sich auch mitten im Kampfgeschehen.
Opfer im Schatten der Geschichte
Während die Namen von Mustafa Kemal Atatürk oder Liman von Sanders in den Geschichtsbüchern stehen, sind die Opfer unter den einfachen deutschen Offizieren und Soldaten kaum bekannt. Einige starben beim Minenlegen in den Dardanellen, andere fielen in den Gräben oder wurden von alliiertem Feuer getroffen.
Ihre Gräber lagen verstreut auf der Halbinsel, manche wurden später nach Istanbul überführt. Auf dem Gelände der heutigen deutschen Botschaft in Istanbul befindet sich ein Ehrenfriedhof, auf dem an diese Männer erinnert wird.
Märtyrer einer vergessenen Front
In der türkischen Erinnerung gelten sie als Märtyrer – Kämpfer, die ihr Leben für eine gemeinsame Sache opferten. Doch in Deutschland wurde ihre Geschichte bald vom Schatten der Westfront, von Verdun und der Somme, überdeckt.
Die Opfer an den Dardanellen passten nicht in die große nationale Erzählung, die sich um die Helden der Heimatfront und die Massenopfer an der Westfront drehte. So gerieten die deutschen Toten von Gallipoli in Vergessenheit.
Gedenken und historische Verantwortung
Heute, mehr als hundert Jahre später, wächst das Bewusstsein für diese deutsch-türkische Waffenbrüderschaft. Projekte wie die Gedenkseite „gallipoli1915.de“ erinnern an jene Männer, die in der Fremde kämpften und starben. Sie waren Teil eines Weltkriegs, der Millionen Leben forderte, doch ihre Geschichte zeigt auch: Völker, die sich sonst fremd waren, standen hier in Treue und Solidarität nebeneinander.
Die vergessenen deutschen Märtyrer von Gallipoli verdienen es, in die europäische und türkische Erinnerungskultur zurückgeholt zu werden – nicht als Verherrlichung des Krieges, sondern als Mahnung, dass selbst in den dunkelsten Stunden Geschichte von gegenseitiger Loyalität und Opferbereitschaft geprägt sein kann.
Zum Autor
Çağıl Çayır studierte Geschichte und Philosophie an der Universität zu Köln und ist als freier Forscher tätig. Çayır ist Autor von „Runen in Eurasien. Über die apokalyptische Spirale zum Vergleich der alttürkischen und ‚germanischen‘ Schrift‘“ und ist Gründer der Kultur-Akademie Çayır auf YouTube. Seine Arbeiten wurden international in verschiedenen Fach- und Massenmedien veröffentlicht.
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