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Organspende: Unzureichende Maßnahmen müssen auf den Prüfstand

Die Situation bei der Organspende in Deutschland ist unverändert schlecht. In einem offenen Brief fordern verschiedene Initiativen von der Politik, weitere Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um das Sterben auf der Warteliste zu beenden.

(Symbolfoto: pixa)
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Hamburg – Die Situation bei der Organspende in Deutschland ist unverändert schlecht. In einem offenen Brief fordern verschiedene Initiativen von der Politik, weitere Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um das Sterben auf der Warteliste zu beenden.

Sie kritisieren die bisher verabschiedeten Gesetze als unzureichend. „Die Zahl der postmortalen Organspenden ist weiter zurückgegangen. Basierend auf den Erfahrungen anderer Länder ist zu befürchten, dass auch das geplante Organspende-Register die Situation nicht wesentlich verbessern wird“, sagt Mario Rosa-Bian von der I.G. Niere NRW. [1] Ein solches Register soll in Deutschland ab März 2022 an den Start gehen. Ob dieser Termin gehalten werden kann, ist fraglich. Zuletzt wurde über Probleme bei der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern berichtet. [2]

Weiterer Zeitverzug für Betroffene nicht hinnehmbar

„Für die Betroffenen ist ein weiterer Zeitverzug nicht hinnehmbar“, betont Zazie Knepper von der Initiative „Menschen auf der Warteliste bei Eurotransplant“. „Mehr als 9.500 PatientInnen warten auf ein Spenderorgan, davon 7.400 auf eine Niere. Die Wartezeit auf eine Niere beträgt in Deutschland mittlerweile 8 bis 11 Jahre. In anderen Ländern sind es weniger als vier“. „Abgänge“, wie es im Jahresbericht der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) heiße, erfolgten, weil PatientInnen aufgrund eines sich verschlechternden Gesundheitszustands von der Warteliste genommen werden müssen oder sterben, bevor das lebensrettende Organ da ist. Bei Nieren-PatientInnen sei das jede/r fünfte. [1] Knepper weist darauf hin, dass im europäischen Vergleich in Deutschland überproportional viele PatientInnen mit Dialyse behandelt werden statt durch eine Organtransplantation. Letztere sei aber mit einer deutlich längeren Lebenserwartung verbunden. [3]

Forderungen an die neue Regierung

Die Initiative hat an die Abgeordneten im Rahmen der Koalitionsverhandlungen im Bereich Gesundheit folgende Forderungen:

  1. Evaluation der verabschiedeten Gesetze. Das 2019 verabschiedete „Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende“ habe bisher nicht zu einer Trendwende geführt. Es sei zu befürchten, dass auch das 2020 verabschiedete „Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“ die Situation nicht wesentlich verbessern wird. [4] Daher müssten beide Gesetze in der neuen Legislaturperiode evaluiert, angepasst und ergänzt werden.
  2. Rahmenbedingungen an Pandemie anpassen. Um die anhaltend schlechten Zahlen zu relativieren, werde vielfach auf die Corona-Pandemie hingewiesen. Dies sei als Begründung inakzeptabel. Vielmehr müsse die Politik Rahmenbedingungen so anpassen, dass die Transplantationsmedizin nicht noch weiter beeinträchtigt wird. Die Verfasser weisen darauf hin, dass sich das Problem durch die Pandemie noch weiter zuspitzen werde. Mediziner gehen davon aus, dass die Zahl der PatientInnen mit bleibenden Organschäden, besonders an den Nieren, infolge einer Covid-Erkrankung zunimmt. [5]
  3. Transparenz hinsichtlich des Online-Registers. Die Initiativen gehen davon aus, dass das beschlossene Online-Register den Notstand nicht wirksam und schon gar nicht kurzfristig beheben werde. In der Schweiz habe sich gut ein Jahr nach der Initiierung des Registers gerade einmal 1% der Bevölkerung eingetragen. [6] Gefordert werden transparente Informationen, wie die Abläufe in Deutschland konkret ausgestaltet werden sollen und wer dafür verantwortlich ist.
  4. Opt-out-Regelung, wie in den meisten europäischen Ländern. Die Verfasser weisen darauf hin, dass sich die Abgeordneten mit der Ablehnung einer doppelten Widerspruchregelung im Januar 2020 über die mehrheitliche Überzeugung der Bevölkerung, der Empfehlung der Ärzteschaft und medizinischer Fachgesellschaften hinweggesetzt haben. Die jüngsten Ergebnisse im Rahmen der Abstimmung21 bestätigten erneut: 70% sprachen sich für eine Widerspruchsregelung aus. Notgedrungen würden politische Bestrebungen jetzt vermehrt dahingehen, mehr Lebendspender zu acquirieren. Dadurch entstehe verstärkt Druck auf Familienangehörige. Dieser Druck könne um einiges schwerer wiegen als der, eine Entscheidung über eine potentielle Organspende nach dem Tod abzugeben.
  5. Perspektivisch europäische Regelung. Die Abgeordneten werden aufgefordert, die Initiative für eine gesamteuropäische, solidarische Regelung der Organspende zu ergreifen. Dann wären PatientInnen in Deutschland nicht mehr auf andere Länder angewiesen, in denen die Organspende erfolgreicher geregelt ist.

Zum vollständigen Offenen Brief:

Initiative ProTransplant

https://www.pro-transplant.de/

Quellen

[1] Jahresbericht 2020 der DSO; https://dso.de/SiteCollectionDocuments/DSO-Jahresbericht%202020.pdf (Abruf am 3.11.2021)

[2] Organspende: Zuständigkeitsprobleme könnten Onlineregister verzögern; Ärzteblatt online: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/127112/Organspende-Zustaendigkeitsprobleme-koennten-Onlineregister-verzoegern

[3] Stel VS, et al. Kidney Int. 2021;100(1):182-95

[4] Harter P, et al. Int J Gynecol Cancer. 2011;21(2):289-95

[5] Pressemeldung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie e.V. (DGfN) vom 2.6.2021; https://idw-online.de/de/news770034

[6] Ein Jahr nach dem Start des Online-Registers: Nationales Organspenderegister – wo stehen wir heute? Schweiz Ärzteztg. 2020;101(04):94-97 (Abruf am 6.11.2021)