Ein Gastbeitrag von Nabi Yücel
Zwei inzwischen international bekannte Haftinsassen sorgen seit Wochen regelmäßig für Schlagzeilen. Jetzt aber überschlagen sich die Ereignisse um den Kulturmäzen Osman Kavala und Wikileaks-Gründer Julian Assange.
Im Berufungsverfahren um Julian Assange, der seit April 2019 im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in Einzelhaft einsitzt, kommt Bewegung hinein. Das Berufungsverfahren vor dem High Court findet nächste Woche am 27. und 28. Oktober statt. Dabei wird darüber entschieden, ob man der Berufungsklage der USA stattgibt oder ob die Entscheidung des Westminster Magistrates Court, Assange an die USA aufgrund der bis zu 175-jährigen Haftandrohung nicht auszuliefern, Bestand hat. Bis heute hat sich zum Fall Julian Assange kein einziger westlicher Botschafter, geschweige denn mit weiteren Botschaftern, je öffentlich geäußert oder nahm/nahmen an den Verfahren in London teil. Wieso das von Bedeutung ist, darauf komme ich noch!
Am 18. Oktober wurde der Prozess um Osman Kavala fortgesetzt, der seit Oktober 2017 – mit einer Unterbrechung im Oktober 2020 – in Untersuchungshaft sitzt. Zahlreiche Prozessbeobachter, darunter Menschenrechtler, Journalisten sowie Botschafter von 10 westlichen Staaten waren wie immer erneut anwesend.
Die Anwesenheit von zehn westlichen Botschaftern, darunter dem deutschen Botschafter Jürgen Schulz, führte an und für sich nicht zum Eklat, der heute die Schlagzeilen füllt. Es war der öffentliche Appell der zehn westliche Botschafter, der vor Prozessbeginn in sozialen Netzwerken über die botschaftseigenen Kanäle öffentlich gemacht wurde. Darin forderten die zehn Botschafter die Türkei in einem knackigen Einzeiler auf, den 64-jährigen Osman Kavala sofort freizulassen. Es war daher nur eine Frage der Zeit, wann die türkische Regierung auf diese massive Einmischung in innere Angelegenheiten reagiert. Wenige Tage später griff der türkische Präsident Erdogan Botschafter Jürgen Schulz und neun seiner Kollegen, darunter auch den Botschafter der USA und weiterer NATO-Verbündeter, erstmals an. Türkische Medien zitierten den Staatschef mit den Worten, die an die Botschafter gerichtet war: „Wer seid Ihr überhaupt? Steht Euch das denn zu, der Türkei eine Lektion zu erteilen?“
Am Freitag gab Präsident Erdogan laut Medienberichten dem türkischen Außenministerium die Anweisung, die zehn Botschafter zu „persona non grata“ zu erklären. Sprich, die Botschafter, die am 18. Oktober diesen Appell an die Türkei gerichtet haben, sind im Land unerwünscht. Ob dieses auch offiziell an die besagten Länder notifiziert wurde, ist nicht bekannt. Laut dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen [Artikel 9, Absatz 1] kann ein Empfangsstaat [hier die Türkei] dem Entsendestaat [hier den zehn Staaten] jederzeit ohne Angabe von Gründen mitteilen, dass der Botschafter oder ein Mitglied des diplomatischen Personals ihm nicht genehm ist.
Wenn man in diesem Zusammenhang einen konkreten Bezug zu Osman Kavala herstellen will, kann im Übereinkommen der Artikel 41, Absatz 1 herangezogen werden. Darin heißt es, dass der Botschafter und Mitglieder des diplomatischen Personals die Gesetze und Rechtsvorschriften des Landes zu beachten haben. Sie verpflichten sich ferner, sich nicht in dessen innere Angelegenheiten einzumischen. Das heißt unterm Schlussstrich, dass die Türkei sich im Grunde gar nicht erst begründen muss, wenn sie ein Mitglied der Botschaft eines Landes zur persona non grata erklärt. Es ist schlichtweg ihr gutes Recht, eine Person nicht im Land haben zu wollen; weil einem die Nase nicht gefällt, der schlechte Ruf vorauseilt oder schlechte Manieren hat.
Nach dieser öffentlichen Schelte durch Erdogan, müssten die Botschafter nun von alleine ihre Koffer packen, wenn sie denn Rückgrat besitzen. Schließlich hat Erdogan sie hinauskomplimentiert. Der Botschafter von Dänemark hatte zusammen mit KollegInnen aus Deutschland, Frankreich, Neuseeland, Kanada, Finnland, Schweden, Norwegen und den Vereinigten Staaten medienwirksam und öffentlich die sofortige Freilassung von Osman Kavala gefordert. Was hat nun Osman Kavala, was Julian Assange nicht hat? Was macht Osman Kavala so wertvoll als Julian Assange?
Seit 2010 wurde Assange geradezu verfolgt, 2012 verschanzte er sich als politischer Flüchtling in Ecuadors Botschaft in London. Im April 2019 wurde Assange in der ecuadorianischen Botschaft von der britischen Polizei festgenommen und zu einer Haftstrafe von fünfzig Wochen verurteilt, da er sich durch seine Flucht in die Botschaft der Justiz entzogen habe. Die fünfzig Wochen sind längst vorüber, Assange ist seitdem aber weiterhin im Hochsicherheitsgefängnis! Kein westlicher Botschafter hat sich zur Inhaftierung von Assange geäußert. Kein westlicher Botschafter hat bis heute ein Appell an die Gerichte in London gerichtet, geschweige denn, war bei einer Verhandlung von Assange zugegen. Kein einziger westlicher Botschafter hat dabei öffentlich auf Menschenrechte gepocht, konnte sich bislang auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) oder einen Appell des Europaparlaments berufen. Man hat also die diplomatischen Geflogenheiten penibel eingehalten, ja sogar stillschweigen geübt.
Wer von den 27 EU-Mitgliedsstaaten sowie der USA, Kanada oder Neuseeland diesen Weg verlässt, um für einen Eklat zu sorgen, hat in der Diplomatie nichts zu suchen und kann seine Koffer packen. Übrigens ist es doch bemerkenswert, dass nur 10 Botschafter sich dazu hinreißen ließen, sich öffentlich in innere Angelegenheiten eines Landes einzumischen. Wieso hat man also keine Handhabe im Fall Julian Assange? Was hat Osman Kavala, was Julian Assange nicht hat?
Kavala eignet sich sehr gut, um politisch Druck auf die Türkei auszuüben, die türkische Regierung zu destabilisieren, die türkische Justiz ins schlechte Licht zu rücken. Julian Assange wäre Zündstoff für die eigene westliche Zivilisation an sich. Diese Heuchelei ist unerträglich! Die Entscheidung, die zehn Botschafter zu persona non grata zu erklären, ist richtig. Denn, eine Forderung, ein Einknicken, schon werden die nächsten Forderungen gestellt, bis irgendwann vielleicht auch Abdullah Öcalan freigelassen wird. Atatürk hat diese Manöver der westlichen Länder von Anbeginn an verhindert und dem Grenzen gesetzt, um die Souveränität der Türkei sicherzustellen. Damals war es richtig, heute ist es umso wichtiger es richtig zu stellen!
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.
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