Kommentar
    Bundestagswahl: Minderheiten sind von der 5-Prozent-Hürde befreit

    Das Geheimnis der drei Direktmandaten oder wie zieht man trotz fehlender 5 Prozent in den Bundestag ein.

    (Foto: pexels)
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    Ein Gastbeitrag von Hakan Işık

    Gleich nach der Wahl sofort zu kommentieren, ist zumeist nicht förderlich und sinnvoll. Es fehlen noch empirische Daten – auch am Folgetag der Wahl – und abhängig vom Ergebnis ist es angeraten generell zu warten. Gewöhnlich beginnen die Masken zu fallen, die unterdrückten Stimmen und Meinungen erfahren aus der Sache der Natur eine Hochkonjunktur. Aktuell sehen wir, wie das politische Theater die Range von Tragödie, Drama, Komödie und Schmierentheater abdeckt.
    Dieses Treiben verdeckt aber zugleich essentielle Erkenntnisse über diese Wahl und die Entwicklungen in den letzten Jahren in der hiesigen politischen Kultur.

    Team Tödenhöfer ist eine Studie für die Interessenvertretung der Deutschtürken und Migranten gewesen

    Bereits am Wahlsonntag mit der ersten Prognose verlauteten die Skeptiker dieser Partei ihren Unmut über das Ergebnis, erblickten sie doch das Team Todenhöfer nicht in der Leiste der Parteien, welche im Bundestag die 5%-Hürde nahmen. Auch unter der Rubrik „Sonstige Parteien“ stach das Team Tödenhöfer nicht hervor.

    Umso mehr wurden in den Sozialen Medien bleiern und dumpf die allzu schnellen Eindrücke und Reaktionen über das Ergebnis Ausdruck verliehen. Durchaus sind diese Erkenntnisse, wie hoch die generelle Anzahl der wahlberechtigten Deutschtürken ist ausschlaggebend, dass die Gesamtheit der Deutschtürken nicht unweigerlich das Team Todenhöfer wählen wird, ist auch kein Geheimnis und eine Partei, die nicht flächendeckend angetreten ist, beeinflusst zudem auch das Ergebnis und das Abschneiden bei der Wahl. Diese Faktoren waren für uns und für mich als Politikwissenschaftler nicht das zentrale Anliegen. Nein sie waren nicht zentral, das zentrale Anliegen war, teilnehmend diese Wahl und das Team Todenhöfer zu beobachten.

    Teilnehmend heißt, diese Partei zu promoten und editorial zu begleiten, ohne in ihrem Dienste zu stehen, wie sie sich trotz der Hürden und Handicaps durchsetzen werden. Das stand vordergründig im Raum – keine 9% oder 7% wurden tatsächlich erwartet, lediglich mehr als 0,1%. Kleine Parteien erreichen leider sehr oft diesen Wert. Das Ergebnis dieser Partei, ohne politische Beratung, trotz der fehlenden Bekanntheit, digitalen sowie der klassischen Reichweite und der jungen Gründungsphase, liegt bundesweit bei 0,5% laut Bundeswahlleiter. Dieses Ergebnis ist daher eine Studie, welche für die Zukunft als Blaupause dienen wird. Erfolgt zusätzlich eine Flächenabdeckung und die kommunale Ausrichtung dieser Partei, in den Flächenländern gilt keine 5%-Hürde; in den Stadtstaaten wie Berlin liegt sie bei 3%, wird diese Partei in den kommenden Jahren eine andere politische Performanz darbieten. Selbst bei einer Auflösung dieser Partei, bei einem Ableben des Jürgen Todenhöfers oder einer Umbenennung, wurden durch den Antritt zur Bundestagswahl sehr wichtige Erfahrungen für die Zukunft und politischer Interessenvertretung gesammelt. Richtet sich der Fokus auf Berlin mit 1,1% oder Köln III mit 1,25% jenseits des bundesweiten Ergebnisses von 0,5%, ergeben sich analytisch die zukünftigen Potenziale:

    Prozess orientierte 3-Direktmandate-Strategie statt das Ziel 5%-Hürde

    Der Einzug der Die Linke erfolgte rein durch die drei gewonnen Direktmandate. Die 4,9% sicherten ihnen trotzdem den Einzug in das Parlament, da laut Statut drei Direktmandate die 5%-Hürde außer Kraft setzen. Letztendlich vertreten nun aufgrund der prozentualen 4,9% 39 Abgeordnete ihre Partei und die Interessenpolitik ihrer Wähler. Eine andere Partei sicherte sich ebenfalls den Einzug ohne die Sperrklausel in den Bundestag. Dem Südschleswigschen Wählerverband SSW obliegt keine Sperrquote von 5%, diese Partei ist eine Minderheitenpartei der Dänen und Nordfriesen. Minderheiten sind von der Hürde befreit.

    Beiden Wegen in den Bundestag gilt besonderes politische Interesse zu bekunden. Ergebe sich ein Minderheitenstatus ist die Interessenvertretung ohne Hürde möglich. Diese Variante ist verbunden mit Konflikten und Herausforderungen, eher ein Instrument für das Social Engineering und daher gegenwärtig ein suboptimaler Weg. Social Engineering belassen wir einfach umkommentiert, die angesprochen Kreise kennen das Wesen dieses Instrumentes im Westen. Jedoch ist das Streben nach drei Direktmandaten politischer effektiver, selbst bei Werten von 3% oder weniger, wie wir oben gesehen haben, kommen dann noch weitere Abgeordnete aufgrund der prozentualen Stimmen hinzu. Somit wäre der Einzug einer authentischen Interessenvertretung möglich. Wer also übereilig nur seinem Skeptizismus frönt, missachtet alle Regeln des politischen Wesens und ist nicht willens den Wandel in der Parteienlandschaft und politischer Kultur zu vernehmen.

    Die beiden großen Parteien CDU und SPD firmierten in der jüngeren Geschichte der hiesigen Republik rein als Volksparteien. Dieser Firnis Volkspartei ist endgültig abgebröckelt, schon allein aus diesem Kontext heraus werden zukünftige Parteien und bisherige Parteien vor neuen Herausforderungen stehen und aus dieser Tatsache heraus werden ganz neue politische Inhalte in den Vordergrund hervortreten. Zugleich wandeln sich die Gesellschaften und politische Partizipation, das Team Todenhöfer ist der Vorreiter solch einer Veränderung. Warum das Team Todenhöfer nicht in den Bundestag eingezogen ist, lässt sich nunmehr analysieren. Anhand einer Analyse bestimmt sich die zukünftige Ausrichtung und Arbeit für das Team Todenhöfer oder einer anderen Partei mit der Zielgruppe Migranten.

    Politische Geographie und Kartographie sind die Stützen der drei Direktmandate

    Gilt es konstruktive Kritik zu äußern nur in dieser Hinsicht. Eine Partei, welche sich November 2020 gegründet hat und erst April zur Wahl zugelassen wurde, kann sich strukturell nicht zeitnah adäquat etablieren und daher sind Kritiken als übereilt zu sehen. Was sich konstruktiv festhalten lässt ist, warum sich das Team Todenhöfer z.B. zur Kommunalwahl September 2020 in Köln über „Sonstige Politische Vereinigung“ nicht aufgestellt hat? Vorab zur Bundestagswahl hätten sich über diesen Weg als sonstige politische Vereinigung festere Strukturen ergeben können und zugleich hätte die Bekanntheit des Unternehmens früher forciert werden können.

    Plant das Team Todenhöfer weiterhin eine politische Arbeit als Partei, ist daher das Studium der politischen Geographie des politischen Raumes unabdingbar. Hierfür sind die politischen Räume plastisch abzubilden, wie hoch ist der Migrantenanteil, wie sehen die sozioökonomischen Faktoren aus, welche Parteien sind in welchen Bezirken, mit welchen Politikern treten diese Parteien in den Wahlkreisen zur Wahl an und das Erfassen weiterer Kennzahlen und Störgrößen sind unumgänglich um die Höhen und Vertiefungen der politischen Geographie kartographisch zu erfassen. Anhand dieses Kartographierens, damit ist das Festhalten dieser Werte und Größen gemeint, ist dann die politische Infrastruktur zu legen.

    Kartographisch, weil dadurch plastisch Gefahren, Risiken, Potenziale und Chancen sichtbar werden. Hierdurch können effizienter Direktkandidaten aufgestellt werden, welche charismatisch sind, die die Schwächen ihrer politischen Kandidaten kennen sowie werden hiernach politische Inhalte, gezielter zu den Zielgruppen adressiert.
    Gilt es Direktmandate in den Bundestag anzustreben, sind die nächsten 4 Jahre voller Arbeit. Ohne die Unterstützung von politischen Beratern, Politikwissenschaftlern und größeren Spenden gestaltet sich allerdings ein Einzug in den Bundestag und in die Landesparlamente über die 3 Direktkandidaten schwieriger. Dies sollte auch festgehalten werden.

    Als Fazit ist festzuhalten: Eine Strategie der 3 Direktmandate ist der Vorzug zu geben, die Kommunalparlamente sind nicht minder wichtig. Die Volksparteien können die politischen Bedürfnisse der diversen Interessenpolitiken nicht authentisch abbilden, insbesondere die Interessenpolitik der Migranten bleiben unberücksichtigt oder werden nicht adäquat artikuliert. Die zwei anderen Unter-20%-Parteien streben nach ihren Partikularinteressen, die Endzeitpolitik der Grünen brachte auch nicht den ersehnten Erfolg. Nun wollen sie alle als Koalition zusammenkommen – das politische Marketing Armageddon ist verstummt, sie ist der angestrebten Zitruskoalition aus Gelben und Grünen scheinbar nicht förderlich.
    Ohnehin ist ungewiss, selbst wenn die Vorbedingung Zitruskoalition zustande kommt, wie lange dies auch anhalten wird. Wir werden sehen, ob sauer tatsächlich lustig macht.

    Die Menschen brauchen aber eine authentische und ehrliche Politik.
    Das Potenzial für eine ehrliche politische Partei ist durchaus vorhanden – gerade für Migranten! Mit einer politisch-geographischen Karte in der Hand, ist dieses Ziel auch erreichbar.


    Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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