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Fremdenfeindlichkeit
„Ich bin ein Mensch wie Du“: Der rassistische Mord an Ufuk Şahin

„Ich bin ein Mensch wie Du“. Das waren die letzten Worte von Ufuk Şahin, der vor 31 Jahren in Berlin Reinickendorf im Alter von 24 Jahren von einem Rassisten mit einem Messer ermordet wurde.

(Screenshot/Twitter)
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Ein Gastbeitrag von Kemal Bölge – kboelge@web.de

Ufuk Şahin und sein Kumpel Murat P. waren gut befreundet. An einem Frühlingsabend des 12. Mai 1989 tranken beide zunächst Tee und gingen dann im Märkischen Viertel in Berlin spazieren. Während des Spaziergangs begegneten sie Andreas S. und seiner Verlobten Sabine L. Als sie an dem Paar gerade vorbeilaufen, ruft Andreas S. lautstark „Seitdem diese Ausländer hier sind, gibt es keine Sicherheit mehr. Sieh mal da, zwei Kanaken.“

Ohne etwas gesagt zu haben, gehen Ufuk Şahin und sein Freund weiter. Auf dem Rückweg liefen sie in Richtung des Wohnblocks, wo Şahin wohnte und waren fast schon angekommen, bis sie schließlich wieder auf Andreas S. trafen und dieser beide mit den Worten „Ausländer raus!“, „Kanaken raus!“ und „Deutschland den Deutschen!“ anbrüllt. Ufuk Şahin stellt sich vor Andreas S. und fragte ihn, warum er das gesagt habe. Andreas S. zog daraufhin ein Messer und traf Şahin an der Leiste. Beim Angriff wurde eine Hauptschlagader von Ufuk Şahin getroffen, der noch vor Ort verblutete und starb.

Der mit seinen Eltern im Alter von fünf Jahren nach West-Berlin eingewanderte Ufuk Şahin wurde nur 24 Jahre alt und hinterließ eine Frau und ein zweijähriges Kind. Nach seiner Heirat mit seiner gleichaltrigen Frau bekamen sie zwei Jahre vor dem Tod von Şahin einen Sohn. Er machte seinen Realschulabschluss und absolvierte anschließend eine Ausbildung zum Schlosser, die er erfolgreich abschloss. Hauptberuflich arbeitete er bei der Berliner Firma Waggon-Union und bewirtschaftete nebenbei einen kleinen Imbiss. Mit den Eltern wohnte die junge Familie im Märkischen Viertel. Ein junger Mann aus dem Viertel beschrieb Şahin als „höflichen jungen Mann“ und eine alte Dame meinte, er sei „anständig und vernünftig gewesen und habe sachlich und vernünftig auf Jüngere eingewirkt, wenn die mal Quatsch“ gemacht hätten.

Die damalige ermittelnde Mordkommission der Kriminalpolizei sah keine Anhaltspunkte für ein fremdenfeindliches Motiv des Täters, obwohl dieser wegen Körperverletzung vorbestraft war, Nachbarn und Zeugen ihn als „Ausländerhasser“ beschrieben hatten, der zum Beispiel mit einem Luftdruckgewehr auf Migrantenkinder gezielt habe, militärisch salutiert und im Wald Wehrsportübungen durchgeführt habe. Nach dem rassistischen Mord an Ufuk Şahin veranstalteten verschiedene Gruppen Trauerkundgebungen, bei dem es zu Angriffen auf die Teilnehmer des Trauermarsches durch Neo-Nazis kam. In Schöneberg zeigten Rechtsextremisten den Trauernden den verbotenen Hitlergruß, wurden rassistisch beleidigt und mit Eiern beworfen.

Im Oktober 1989 wurde Andreas S. durch ein Berliner Gericht wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu fünf Jahren Haft verurteilt. Weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft konnten bzw. wollten Anhaltspunkte für ein rassistisches Motiv des Täters erkennen, wenn auch dieser „Ärger über all die Kanaken“ verlautbart hatte. Beim Märkischen Viertel handelt es sich um eine Plattenbausiedlung, die in den 70er Jahren entstand, um auch Bevölkerungsschichten mit niedrigem Einkommen eine Wohnmöglichkeit zu bieten. Das Märkische Viertel galt seinerzeit als zweitstärkste Hochburg der Partei „Die Republikaner“, die bei der damaligen Wahl im Januar 1989 ins Abgeordnetenhaus gewählt wurde.

Die Entscheidung des Gerichts ist leider kein Einzelfall, weil es sowohl vor der Wiedervereinigung wie in diesem traurigen Fall, als auch nach dem Mauerfall rassistische Angriffe und Mordanschläge auf Migranten gegeben hat und bei den Strafverfolgungsbehörden institutioneller Rassismus existiert. Es sage das deshalb, weil beispielsweise im Fall der NSU-Mordserie an acht türkischen, einem griechischen Kleinunternehmer und einer Polizistin dies ganz deutlich geworden ist.

Viele Jahre konnten die Terroristen des NSU ungehindert morden, weil bei den Ermittlungsbehörden niemand auf die Idee des Rechtsterrorismus gekommen war und stattdessen die Familien der Opfer jahrelang von der Polizei beschuldigt wurden mit den Morden etwas zu tun gehabt zu haben. Außerdem haben die Verfassungsschutzbehörden bei den Ermittlungen zur NSU-Mordserie in vielen Fällen ihr Wissen nicht mit den Ermittlungsbehörden geteilt.

Die Opferfamilien wurden kriminalisiert und gedemütigt, weil diese in den Augen der Ermittlungsbehörden „Täter“ und „Mitwisser“ waren. Bereits 2006 ging der bayerische Kriminalbeamte und Profiler Alexander Horn in seiner erstellten Fallanalyse über die NSU-Mordserie von einem rechtsextremistischen Hintergrund aus, aber niemand bei der ermittelnden Sonderkommission und auch anderen Behörden wollten die Fallstudie des renommierten Profilers ernst nehmen.

Nach dem Mord der NSU-Terroristen an Halit Yozgat in Kassel, demonstrierten in Kassel etwa 4.000 Menschen unter dem Motto „Kein 9. Opfer“ und auf Plakaten wurde Aufklärung über die „rassistischen Morde“ gefordert. Die deutsche Öffentlichkeit bekam von dieser Demonstration weitgehend nichts mit, weil es sich bei den meisten Demonstranten um türkischstämmige Migranten handelte. Ich möchte nicht behaupten, dass es keine Deutschen unter den Demonstranten gegeben hat, die hat es mit Sicherheit gegeben, aber die überwiegende Anzahl der Demonstranten waren Türken und über diesen Protest haben die Medien kaum berichtet.

Beim Nagelbombenanschlag des NSU in Köln, am 9. Juni 2004, wurden 22 Menschen verletzt, vier davon schwer. Bei den anschließenden Ermittlungen der Polizei haben Anwohner und Familien in der Keupstraße, wo die Bombe des NSU per Fernzündung zur Explosion gebracht wurde, unabhängig voneinander auf ein rassistisches Motiv hingewiesen. Allerdings haben die ermittelnden Strafverfolgungsbehörden es vorgezogen die Hinweise der Anwohner und Gewerbetreibenden nicht weiterzuverfolgen.

Die Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Deutschland einsetzt, geht von mindestens 208 Todesopfern rechter Gewalt seit 1990 aus und 13 weiterer Verdachtsfälle, wohingegen laut Stiftung die Bundesregierung von 94 Tötungsdelikten rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten ausgeht.

In Memoriam an Ufuk Şahin und alle anderen Opfer der rassistisch motivierten Morde in Deutschland!

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