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Kommentar: Medien trugen zu Islamfeindlichkeit bei

Antimuslimischer Rassismus, Türkenfeindlichkeit und Rechtsterrorismus: Wer Mitschuld an Hanau trägt und was wir dagegen tun können.

(Symbolfoto: pixa)
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Ein Gastkommentar von Yasin Baş

Nach dem rassistischen und muslimfeindlichen Terroranschlag von Hanau werden die Gründe nach der abscheulichen Tat diskutiert. Dabei rückt die Alternative für Deutschland (AfD) immer näher in den Fokus. Politikerinnen und Politiker rufen nach einer konsequenten Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz.

Einige gehen noch weiter und fordern, dass die Partei gar ganz verboten wird. Doch ist es nicht zu einfach und auch zu billig, die Schuld einer einzigen Partei für dieses gesamtgesellschaftliche Problem des antimuslimischen Rassismus zu delegieren? Seien wir ehrlich: Haben wir überhaupt keine Mitschuld daran, dass wir uns jetzt an diesem Tiefpunkt befinden?

Rolle der Medien und die Verwechslung von Integrations- mit Sicherheitspolitik

Ein Großteil unserer Berichterstattung, unserer Kommentare und die ausgewählten Bilder in unseren Medien, gerade nach dem 11. September 2001, haben ebenso dazu beigetragen, dass Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus so tiefgründig und umfassend gedeihen konnten.

Dass die Ausländer- und Integrationspolitik sowie die Eingliederung der Muslime in Deutschland stets als eine Sicherheitsfrage behandelt wurden, sind weitere Faktoren, die zu einer Vergiftung unserer Gesellschaft beigetragen haben.

Die Themen Integration und Islam wurden und werden teilweise noch immer als eine Frage der inneren Sicherheit behandelt; sie sind in vielen Bundesländern und auf der Bundesebene noch immer im Innenressort angesiedelt. Selbst die Deutsche Islamkonferenz (DIK) wurde lange Jahre als eine Sicherheitskonferenz begriffen und geführt.

Die Initiative Sicherheitspartnerschaft (ISP) des damaligen Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU) ist nur als ein Beispiel für diese Entgleisung zu nennen. Muslime waren und sind auch teilweise noch heute keine vollwertigen Mitglieder unserer Gesellschaft. Wir betrachten sie teilweise noch immer als ein Sicherheitsproblem. Genau das führte zu der psychischen Labilität. Dieses Gift, wie es auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel genannt wurde, hat uns alle, einige mehr andere weniger, infiziert.

Auch demokratische Parteien müssen sich fragen, was sie gegen Extremisten tun können

Wenn wir uns die etablierten demokratischen Parteien wie die CDU, CSU und FDP anschauen, dann ist zu konstatieren, dass diese sich nicht ausreichend gegen den Rechtsextremismus, Türkenfeindlichkeit, Islamhetze und antimuslimischen Rassismus in den eigenen Reihen stellen. Selbst in der SPD haben geistige Brandstifter wie Thilo Sarrazin und sein treuer Weggefährte Heinz Buschkowsky Stimmung gegen Muslime und Migranten bestärkt.

Sarrazin durfte fast ein Jahrzehnt in der SPD sein Gift verbreiten. In der Linkspartei gab und gibt es ebenso migrantenfeindliche und flüchtlingskritische Töne, die u.a. durch den ehemaligen Parteichef Oskar Lafontaine oder Sahra Wagenknecht zur Sprache gebracht werden. Auch bei den Grünen gibt es Ministerpräsidenten, Bürgermeister oder Parteifunktionäre wie beispielsweise jüngst in Hamburg, die mit pauschalisierenden Aussagen gegen Migranten, Muslime und Türken auffallen. Von der AfD ganz zu schweigen, die fast täglich mit Entgleisungen ihre populistische, muslimfeindliche und rassistische Politik fortführt.

Härter und entschiedener Durchgreifen gegen Rechtsextremisten, Türken- und Muslimfeinde

Die Tradition des langen Beobachtens hat sich möglicherweise beim Rechtsextremismus und bei der Islamfeindlichkeit sowie dem antimuslimischen Rassismus nicht bewährt, sondern ins Gegenteil verkehrt, weil dies zu sehr dem Erstarken und Vernetzten der rechten Szene beigetragen hat. Die Befugnisse und Möglichkeiten der Nachrichtendienste und Sicherheitsorgane sind beträchtlich und reichen aus.

Sie müssen nicht erweitert, sondern nur angemessen angewandt werden. Deshalb ist es richtig, dass Innenminister Horst Seehofer (CSU) bei der Bundespressekonferenz am Freitag keine Ausweitung weiter Paragraphen verlangte, sondern von der ordentlichen Nutzung der derzeitigen Möglichkeiten gesprochen hat.

Man sollte fragen, ob Teile der Sicherheitsbehörden gerade bei Rechtsextremen zu lange beobachten und zu spät in den Prozess der Radikalisierung eingreifen. Verwunderlich ist darüber hinaus, warum auch Polizeibeamte, Sondereinsatzkräfte, Soldaten der Bundeswehr und Verfassungsschützer in der rechtsextremen und rassistischen Szene permanent Anschluss finden.

„Racial Profiling“ oder das sogenannte „schwarz-weiß-Denken“

Zudem ist das sogenannte „Racial Profiling“, auch „Ethnisches Profiling“ genannt und von Menschenrechtsinstitutionen stark kritisiert, in Deutschland nicht unüblich. Als „Racial Profiling“ wird das auf Stereotypen und äußerlichen Merkmalen basierende Handeln von Polizei-, Sicherheits- und Grenzschutzbeamten beschrieben. Demnach werden Personen nicht aufgrund konkreter Verdachtsmomente, sondern anhand von Kriterien wie Aussehen, „Rasse“, ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder nationaler Herkunft als verdächtig eingeschätzt, kontrolliert, verhört oder gar vorläufig festgenommen.

Teile der Sicherheitsorgane anfälliger für rechte Gedanken?

Wie kann es sein, dass Teile der Sicherheitsbehörden eigene Mitarbeiter gerade an die rechte Szene verlieren, sie unterstützen oder relativieren? Sie haben doch die Aufgabe, die Menschen vor diesen Gruppierungen zu schützen. Es muss daher debattiert werden, wie eine Person wie Hans-Georg Maaßen über Jahre hinweg einem der wichtigsten Sicherheitsorgane unserer Republik vorstehen konnte und führen durfte.

Die Rolle der Inlandsgeheimdienste in Baden-Württemberg, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen oder Hessen, die bei den Morden des rassistischen und ebenfalls türken- und muslimfeindlichen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) eine unrühmliche Rolle gespielt haben, sind nicht vergessen.

Die offiziell versprochene Aufklärung, allen voran von der Bundeskanzlerin, hat es bis heute nicht gegeben. Im Gegenteil: Zeugen oder V-Leute verstarben plötzlich. Akten wurden geschreddert, vernichtet oder für Jahrhunderte [sic!] weggesperrt. NSU-Opferanwälte und Nebenkläger/innen erhielten noch vor kurzer Zeit, auch durch Unterstützung von einigen Polizeibeamten, Morddrohungen von Organisationen, die sich zum Beispiel als „NSU 2.0“ bezeichneten. Wie viele Innen- und Justizminister oder Ministerpräsidenten sind nach diesen Skandalen zurückgetreten?

Kann Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier Konsequenzen ziehen?

Wer hat bis jetzt Verantwortung übernommen? Gerade in Hessen, wo der damaligen Innenminister und heutige Ministerpräsident einem Verfassungsschützer beistand, der bei dem Mord an dem Kasseler Halit Yozgat mindestens anwesend war, wird eine politische Verantwortung vermisst.

Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke ist ebenso unter der Regierung von Volker Bouffier (CDU) geschehen. Hat Bouffier jemals daran gedacht Konsequenzen zu ziehen und sein Versagen beim Rechtsextremismus, Türkenhass sowie antimuslimischen Rassismus anzuerkennen? Nach alldem was in den letzten Jahren im Land Hessen passiert ist und weiterhin passiert, sollte Bouffier wenigstens jetzt den Anstand besitzen und zurücktreten.

Virtuelle und persönliche Netzwerke

Als mitverantwortlich für das Ableiten in die Radikalität wird zudem oft das Internet benannt. Die terroristischen Netzwerke bilden sich nicht mehr nur persönlich und lokal, sondern immer mehr virtuell und global. Die Radikalisierung spielt sich im Schutze der vermeintlichen Anonymität im Netz ab. Das ist sicherlich wahr.

Jedoch müssen wir uns auch fragen, wie weit unser persönliches Umfeld von dieser Radikalität, vom Rassismus, von Muslimfeindlichkeit und Islamhass befallen ist. Forschungen zeigen, dass rechtsextreme, islamkritische, muslimfeindliche, rassistische und menschenverachtende Gedanken und Überzeugungen immer weitere Teile der gesellschaftlichen Mitte erfassen. Wenn wir bedenken, dass wir diese sogenannte Mitte der Gesellschaft bilden, sind wir dann nicht gleichfalls von diesen Ansichten und der Geisteshaltung betroffen?

Der mutmaßliche Täter von Hanau war ja nicht komplett isoliert. Er war Mitglied von Vereinen und hatte ein großes Umfeld. Diese Verbände, in denen er sich aufhielt, benötigen ebenso eine genauere Beobachtung. War Tobias Rathjen in seinem Fußballclub oder in dem Schützenverein, bei dem er sich engagierte, der einzige, der solche antimuslimische, rassistische und islamfeindliche Einstellungen besaß? Diese Ereignisse zeigen uns deutlich, dass wir größere Anstrengungen unternehmen müssen, um unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft zu schützen.

Wie weit ist unser Umfeld und sind wir persönlich entfernt von Intoleranz und Hass?

Ist es nicht möglich, dass auch unter unseren Nachbarn, Vereinskammeraden, Arbeitskollegen, Verwandten und Familienmitgliedern islamfeindliche, rassistische, menschenverachtende, antimuslimische, antisemitische, homophobe oder rechtsradikale Einstellungen existieren? Wie weit sind wir selbst und wie weit sind unsere Gedanken von Hass, Angst vor dem Fremden (Xenophobie) und Intoleranz infiziert?

Kennen wir möglicherweise Menschen, oder gehören auch wir vielleicht selbst zu denen, die wie beispielsweise die sogenannten Prepper dazu, die von einem Untergang der Ordnung und von chaotischen Zuständen ausgehen und deshalb für diesen angeblichen Tag X Vorkehrungen treffen, indem sie Waffen, Munition, bestimmte Chemikalien und Nahrung horten, um die, wann auch immer, gestürzte staatliche Ordnung selbst in die Hand zu nehmen? Ich hoffe nicht.

Reichsbürger, Identitäre, Prepper. Das sind nur drei Gruppen, über die wir vor zwanzig Jahren höchstwahrscheinlich nie etwas gehört haben. Fragen wir uns, in welche Richtung sich unsere Dorfgemeinschaft, unsere Stadt, unser Bundesland oder Deutschland bewegt?

Diversität kommt nicht voran

Selbst die Vielfalt und interkulturelle Öffnung von Behörden und Unternehmen, von der oftmals die Rede ist, besitzt Glaubwürdigkeitsdefizite, allen voran vor dem Hintergrund von Forschungsergebnissen, die zu Tage fördern, dass Personen mit deutsch klingenden Namen bei gleicher Qualifikation eher zu Bewerbungsgesprächen eingeladen und eingestellt werden als vermeintlich „fremd“ klingende Namen. So zeigt sich erneut, dass ein „wir“ und „ihr“ in vielen Köpfen fortbesteht, ja oft gar schon zementiert ist. Ähnliche Defizite existieren auf dem Wohnungsmarkt.

Einheit, Respekt, Toleranz und Pluralismus für ein weltoffenes Deutschland

Unsere Erinnerungskultur, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg in allen Bereichen hoch halten, leben und weitergeben, scheint sich nicht bewährt zu haben. Sie ist zu eng gestreut und muss erweitert, ja reformiert werden. Fast hundert Jahre nach dem Genozid an den Juden, dem Holocaust, müssen wir unseren Horizont erweitern.

Nicht nur allein Antisemitismus ist ein Problem, ein Gift in Deutschland. Dieses Gift trägt auch den antimuslimischen Rassismus, Islamfeindlichkeit und Türkenhass in sich. Wir alle müssen unsere liberale Ordnung beschützen. Unser demokratisches und pluralistisches System darf nicht den Radikalen überlassen werden.

Mit all unserer Vielfalt und Verschiedenheit stehen wir gemeinsam für Eintracht, Rechtstaatlichkeit und Freiheit. Was wir aus Hanau lernen sollten, ist eine Einheit zu sein. Eine Einheit gegen Extremismus. Eine Einheit für Respekt, Toleranz, Pluralismus, Demokratie und Freiheit. Eine plurale Einheit gegen Hass, Gewalt und Ausgrenzung.

Das ist das weltoffene Gesicht Deutschlands. Damit wird Deutschland auch in Zukunft erstrahlen. Hoffentlich. Den Worten müssen Taten folgen, damit aus Worten nicht Taten werden!


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


Yasin Baş

Yasin Baş ist Politologe, Historiker, Autor und freier Journalist. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?”, „nach-richten: Muslime in den Medien” sowie „Muslime in den Medien 2018″.