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Can Dündar reicht Klage gegen türkischen EU-Vertreter Esener ein

Der im Exil lebende Can Dündar hat mit Unterstützung von Reportern ohne Grenzen (ROG) in Straßburg eine Verleumdungsklage gegen den ständigen Vertreter der Türkei beim Europarat, Kaan Esener, eingereicht.

(Archivfoto: AA)
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Ein Gastkommentar von Nabi Yücel

Der im Exil lebende Can Dündar hat mit Unterstützung von Reportern ohne Grenzen (ROG) in Straßburg eine Verleumdungsklage gegen den ständigen Vertreter der Türkei beim Europarat, Kaan Esener, eingereicht. Offenbar soll Esener am 7. November 2019 während einer Veranstaltung in Straßburg unter dem Motto „Sicherheit von Journalisten“, Can Dündar als „Verbrecher“ und „Flüchtiger“ bezeichnet haben.

Esener sagte im Wortlaut: „Ich bin der ständige türkische Vertreter im Europarat. Ich möchte nur eine Bemerkung über die Teilnahme eines Verbrechers als Diskussionsteilnehmer machen und ich muss protestieren. Can Dündar ist ein Flüchtiger vor der Justiz. Er hat die Aufgabe, Staatsgeheimnisse zu beschaffen und diese unter Anweisung eines Sektenführers zu verbreiten, um der türkischen Nation und dem türkischen Staat zu Schaden.“

(Archivfoto: Screenshot/Twitter)

Worum geht es? Can Dündar hatte am 29. Mai 2015 unter der Überschrift „İşte Erdoğan’ın yok dediği silahlar“ („Hier sind die Waffen, die Erdoğan leugnet“) in der Tageszeitung Cumhuriyet über mutmaßliche Waffenlieferungen des türkischen Nachrichtendienstes (MIT) berichtet und zunächst angegeben, diese würden in Syrien an islamistische Milizen geliefert werden.

Im späteren Verlauf wurde diese Meldung von europäischen Medienhäusern umgewandelt in: „Hier sind die Waffen an die IS [Islamischer Staat], die Erdoğan leugnet“. Dündar selbst unternahm gegen diese in Europa falsch aufgestellten Behauptungen nichts, schlimmer, er benutzte die europäische Wiedergabe, um die Regierung in diesem Zusammenhang mit weiteren Streitschriften in Bedrängnis zu bringen.

Laut der darauffolgenden Anklage hatte Dündar nicht nur Staatsgeheimnisse verraten, sondern auch die Medien dazu benutzt, diese Geheimnisse preiszugeben. Das Urteil gegen Can Dündar vom 6. Mai 2016 mit 5 Jahren und 10 Monaten wurde aber vom Kassationshof nach fast 2 Jahren am 9. März 2018 gekippt – da war Can Dündar längst ausgebüxt. Der Grund: zuvor hatte das Verfassungsgericht die Pressefreiheit betont und Can Dündar zumindest in diesem Zusammenhang vom Vorwurf der Pressemanipulation befreit. Deshalb und weil das erstinstanzliche Urteil wegen Fristablauf (4 Monate nach dem Urteil) nicht mehr zurückgereicht und neu verhandelt werden konnte, kippte das Kassationshof schlichtweg das Urteil. Im Grunde ist Can Dündar in diesem Zusammenhang jedenfalls kein verurteilter – was die anderen Verurteilung jedoch nicht berührt.

Aber, das Kassationshof sagte 2018 nicht, dass das erstinstanzliche Urteil insgesamt falsch und Dündar von allen Vorwürfen freizusprechen ist. Nein, es befand sogar, dass das Strafmaß im Anklagepunkt „Spionage und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ zu niedrig angelegt sei, ferner die Anklage auf „Beschaffung und Weitergabe von Militär- wie Staatsgeheimnisse“ ausgeweitet werden müsse. Damit beauftragte das Kassationshof das erstinstanzliche Gericht ausdrücklich damit, die Anklage erneut neu aufzurollen und ein Strafmaß zwischen 15 bis 20 Jahren zu fordern. Dem wurde inzwischen nicht nur Folge geleistet, der ermittelnde Generalstaatsanwalt erwirkte gar laut türkischen Medienberichten einen Fahndungsaufruf, der in der sogenannten türkischen „Roten Liste“ unter „Terrorismus“ aufgenommen worden sein soll.

Nun, Can Dündar hat in diesem Punkt recht, wenn er sich gegen den Vorwurf des ständigen Vertreters der Türkei beim Europarat, Kaan Esener, zur Wehr setzt. Und Esener hat mit dieser unüberlegten Steilvorlage diesem Schwindler und Flüchtigen auch noch für Mau ein Grund gegeben, wieder die Opferrolle auszukosten. Manchmal frage ich mich ernsthaft, was für hitzköpfige Burschen wir als Diplomaten haben, die uns in der Welt vertreten sollen.

Auf der anderen Seite: Can Dündar mag zwar in diesem Punkt gegenwärtig eine reine Weste haben, aber der Fall ist noch offen und die Forderung des Kassationshofs schwingt über Dündar wie ein Damoklesschwert. Wäre Dündar nicht in Revision gegangen und hätte die Strafe mit der linken Po-Backe abgesessen, wäre er in der Türkei längst wieder ein freier Mann – auch in der Türkei gibt es die vorzeitige Haftentlassung wegen guter Führung bzw. die Zweidrittel-Regelung. So aber muss er nun befürchten, zwischen 15 bis 20 Jahren aufgebrummt zu bekommen und er wird danach weiterhin gesucht und diesmal zurecht als Krimineller bezeichnet werden.

Zudem, der Entzug vor einem bis 2018 bestehenden aber nicht rechtskräftigen Urteil durch eine Flucht ins Ausland, noch bevor die Revision abgeschlossen ist, hinterlässt einen faden Beigeschmack. Als ob das nicht ausreicht, verklagt Dündar nun einen türkischen Diplomaten. Die Immunität von Diplomaten ist im Wiener Übereinkommen von 1961 geregelt. Demzufolge genießen nicht nur ausländische Diplomaten in der Türkei, sondern auch türkische Diplomaten im Ausland Schutz – unabhängig davon, in welcher Institution er die Türkei vertritt. Dieses Übereinkommen wird von Gerichten in jedem Land höher bewertet als mögliche Rechtsverletzungen gegen Einzelne.

Deshalb frage ich mich ernsthaft, wie es um das Wissen über die Immunität von Diplomaten, bei Can Dündar oder den ROG bestellt ist. Sind die nur strunzdumm oder denkt man nur pragmatisch und will den Personenkult um Can Dündar wiederbeleben sowie seinen Leumund wiederherstellen?

Ich habe jedenfalls nicht vergessen, wie er während der damaligen Berichterstattung über die Waffenlieferungen und bei seinen nachfolgenden Streitgesprächen mit Erdoğan, irreführend und absichtlich die IS erwähnte, aber im Exil dann während einer Gesprächsrunde in Brüssel kleinlaut zugab, die Waffen seien nicht an die IS, sondern vermutlich an syrische Rebellen geliefert worden. Und während der ZDF-Talkshow „Lanz“ vom 26. Juni 2018 berichtigte Can Dündar ausdrücklich die Frage des Moderators O-Ton:

„Zunächst mal darf ich sie [Markus Lanz] korrigieren, wir konnten nicht belegen, dass Waffen an den IS gesendet worden sind.“

Der Übersetzer des ZDF hatte aber offenbar eine andere und von Can Dündar aufgeschnappte Meinung dazu, weshalb dieser den Einwand von Dündar entschärfte:

„Erstens haben wir nicht belegen können, dass der IS diese Waffen bekommen hat.“

Damit wollte der Übersetzer nur klarstellen, dass die Waffen zwar auf dem Weg zur IS waren, aber nie dort ankamen – eben weil die türkische Gendarmerie zuvor den LKW-Konvoi davon abhielt. So funktioniert Medien- und Massenbeeinflussung und das funktioniert auch, wie man es an der Arbeit des Übersetzers feststellen kann. Übrigens, Kaan Esener verwendete den Begriff „Sektenführer“ in Zusammenhang mit Fethullah Gülen.

Der verantwortliche Gendarmeriechef, der die LKWs anhielt sowie der Staatsanwalt, der die Durchsuchung veranlasst hatte, wurden wegen Mitgliedschaft in der Gülen-Sekte verurteilt. Esener wollte nur unterstreichen, dass die Gülen-Bewegung diesen Coup bis ins kleinste Detail geplant hatte und Dündar mittendrin war.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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