Start Meinung Kommentar Zum ersten Mal seit 2008: Amerikanische Zentralbank muss am Repo-Markt eingreifen

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Zum ersten Mal seit 2008: Amerikanische Zentralbank muss am Repo-Markt eingreifen

In einem wichtigen Teilbereich des US-Finanzsystems ist es in der vergangenen Woche zu heftigen Turbulenzen gekommen. Zum ersten Mal seit 2008 musste die amerikanische Zentralbank Federal Reserve am sogenannten Repo-Markt eingreifen – und das an vier aufeinanderfolgenden Tagen in einem Umfang von insgesamt 278,2 Milliarden Dollar.

(Symbolfoto: pixa)
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Ein Kommentar von Ernst Wolff

In einem wichtigen Teilbereich des US-Finanzsystems ist es in der vergangenen Woche zu heftigen Turbulenzen gekommen. Zum ersten Mal seit 2008 musste die amerikanische Zentralbank Federal Reserve am sogenannten Repo-Markt eingreifen – und das an vier aufeinanderfolgenden Tagen in einem Umfang von insgesamt 278,2 Milliarden Dollar.

Der Repo-Markt ist ein Teil des US-Anleihenmarktes, auf dem sich US-Banken und Hedgefonds mit frischem Geld versorgen. Repo steht für Repurchase Operation, zu deutsch: Rückkaufgeschäft. Finanzinstitute, die für Transaktionen Geld brauchen, leihen es sich nicht einfach, sondern verkaufen über Nacht Wertpapiere, insbesondere US-Staatsanleihen, um diese am folgenden Tag wieder zurückzukaufen. 

Der US-Repo-Markt bewegt sich in einer Größenordnung von etwa 2,2 Billionen Dollar und hat seit den letzten Turbulenzen im Rahmen der Weltfinanzkrise weitgehend reibungslos funktioniert. Wer US-Staatsanleihen hielt und frisches Geld brauchte, konnte es sich durch einen befristeten Verkauf über Nacht besorgen. Umgekehrt konnten die Institute, die über genügend Geld (im Fachjargon „Liquidität“ genannt) verfügten, durch einen befristeten Aufkauf von Staatsanleihen Zinsen kassieren. 

In der vergangenen Woche ist dieser Handel abrupt und selbst für viele Insider überraschend ins Stocken geraten, weil die Nachfrage nach Staatsanleihen zu gering war.

Da das zu erheblichen Folgen im Anleihenhandel und bei der Kreditvergabe, vor allem im Interbankenhandel, geführt hätte, griff die FED ein und versorgte das System ab Dienstag mit „Liquidität“. Das heißt: Sie trat selbst als Käufer auf und sorgte so für eine Senkung der vorübergehend in die Höhe geschossenen Zinsen sowie einen weitgehend reibungslosen Ablauf der Transaktionen.

Weil die Probleme nach dem ersten Eingriff am Dienstag weiter bestanden, sah sich die FED gezwungen, den Handel auch an den drei folgenden Tagen mit jeweils 75 Milliarden Dollar zu stützen. 

Auffällig war die Reaktion der Medien: Während über die ersten beiden Eingriffe der FED noch recht ausführlich berichtet wurde, wurden der dritte und vierte nur noch am Rande erwähnt. Außer den Medien versuchten auch die Großbanken, die Ereignisse herunterzuspielen. Sie verwiesen darauf, dass es sich um ein technisch bedingtes, kurzfristiges Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage handle, ausgelöst unter anderem durch eine Geldknappheit der Unternehmen wegen der am Montag fälligen vierteljährlichen Steuervorauszahlung und wegen kurz zuvor getätigter umfangreicher Staatsanleihenkäufe. 

Diese Version der Ereignisse aber zerplatzte spätestens am Freitag Nachmittag, als die FED ankündigte, sie werde bis zum 10. Oktober mit mindestens $ 75 Milliarden pro Tag in den Repo-Markt eingreifen und außerdem den notleidenden Banken (die namentlich nicht genannt werden) drei 14-tägige Repo-Operationen von jeweils mindestens 30 Milliarden US-Dollar anbieten.

Die Ausweitung der Eingriffe auf fast drei Wochen zeigt mehr als deutlich, dass es sich hier nicht um einen Bagatelleinsatz handelt, sondern dass die FED wegen einer drohenden Katastrophe zu einem Großeinsatz ausrücken muss.  

Zu den genauen Ursachen der Entwicklung lassen sich zur Zeit nur Vermutungen anstellen. 

Die mangelnde Nachfrage nach Staatsanleihen deutet jedenfalls auf einen Markt hin, auf dem die Alarmzeichen schon seit einiger Zeit blinken. Seit Jahresbeginn ist der Gesamtwert der globalen negativ verzinsten Staatsanleihen von $ 8,3 Billionen auf $ 17 Billionen gestiegen – eine Fieberkurve, die das weltweite Finanzsystem in seiner gesamten Geschichte noch nicht erlebt hat. 

Außerdem zeigt sich immer deutlicher, dass Investoren nach einer Fortsetzung der Politik des billigen Geldes lechzen und dass die in den letzten drei Jahren versuchte Rückkehr der Federal Reserve von ihrer ultralockeren zu einer normalen Geldpolitik gescheitert ist. 

Vor allem aber beweist die Tatsache, dass die Verantwortlichen der FED von den Ereignissen der vergangenen Woche überrascht wurden, dass der Repo-Markt inzwischen nicht mehr von ihnen kontrolliert wird, sondern eine Eigendynamik entwickelt hat, auf die sie nur noch mit Notmaßnahmen reagieren können.

Wie lange diese Notmaßnahmen noch verhindern werden, dass der Repo-Markt vollkommen aus den Fugen gerät, wird sich in den nächsten Tagen und Wochen zeigen. Sollte der bis zum 10. Oktober projektierte Noteinsatz der FED misslingen, kann man davon ausgehen, dass wir in der vergangenen Woche genau das Beben erlebt haben, das die nächste große Welle im globalen Finanztsunami auslösen wird.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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Ernst Wolff

Ernst Wolff ist freier Journalist und Autor des Buches Finanz-Tsunami: Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht“.

Wolff, geboren 1950, aufgewachsen in Südostasien, Schulzeit in Deutschland, Studium in den USA. Der Journalist und Spiegel-Bestseller-Autor (»Weltmacht IWF«) beschäftigt sich seit vierzig Jahren mit der Wechselbeziehung von Politik und Wirtschaft. Sein Ziel ist es, die Mechanismen aufzudecken, mit denen die internationale Finanzelite die Kontrolle über entscheidende Bereiche unseres Lebens an sich gerissen hat: »Nur wer diese Mechanismen versteht und durchschaut, kann sich erfolgreich dagegen zur Wehr setzen.«