Start Politik Ausland Putins Geburtstag Kommentar: Wladimir Putin gab Russland seine nationale Würde wieder

Putins Geburtstag
Kommentar: Wladimir Putin gab Russland seine nationale Würde wieder

Am 7. Oktober feierte der russische Präsident Vladimir Putin seinen 66. Geburtstag. Putin ist der neben Erdogan in westlichen Medien meistgeschmähte und dämonisierte Politiker, und er steht noch dazu an der Spitze einer Supermacht.

Der russische Staatspräsident Wladimir Putin mit seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan (Archivfoto: AA)
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Von Prof. Dr. Hans-Christian Günther

Am 7. Oktober feierte der russische Präsident Vladimir Putin seinen 66. Geburtstag. Putin ist der neben Erdogan in westlichen Medien meistgeschmähte und dämonisierte Politiker, und er steht noch dazu an der Spitze einer Supermacht. Vielleicht ist sein Geburtstag ein Anlass, einmal vorurteilsfrei eine Bilanz seiner bisherigen Leistung zu versuchen.

Putin, ein ehemaliger KGB-Offizier, trat zunächst in die Administration Boris Jelzins ein und folgte diesem im Jahr 2000 ins Präsidentenamt. Seitdem dominiert er die Politik Russlands entweder als Premierminister oder Präsident bis heute. Erst im März diesen Jahres wurde er mit 76% der Stimmen wiedergewählt. Seine Amtsperiode wird bis 2024 dauern.

Wie hat nun dieser Mann, der seit fast 18 Jahren an der Spitze einer Supermacht steht, sein Amt verwaltet? Nach der Katastrophe des Zusammenbruchs der Sowjetunion (SU) und seiner Satellitenstaaten 1989 war überall zunächst einmal ein politisches Chaos und eine völlig in den Grund gefahrene Wirtschaft zu bewältigen. Die Bewältigung der wirtschaftlichen Probleme ist den meisten Ländern bis heute nicht völlig, ja oft überhaupt nicht geglückt. Russland wurde von diesen Ereignissen mehr als jedes andere Land gebeutelt.

Der Zusammenbruch der SU war im Grunde genommen der Zusammenbruch des letzten Kolonialreiches; die SU war ein kolonialer Flächenstaat. Solch ein Ereignis ist traumatisch. Man denke nur daran, wie schwer sich Frankreich von Algerien getrennt hat, das man als Teil Frankreichs zu sehen gewohnt war. Ich glaube, das russische Trauma versteht und würdigt die Welt bis heute nicht. Jedenfalls habe ich damals befürchtet, die Auflösung der SU würde zu noch weit mehr Blutvergießen führen, als das der Fall war. Dass das nicht geschah, ist das Verdienst Gorbatschows. Freilich Gorbatschows Nachfolger Boris Jelzin führte das Land in die wirtschaftliche Katastrophe: er folgte dem stupiden Rat des Westens, der glaubte, man müsse nur den Monetarismus und Neoliberalismus einführen, dann heile der Markt alles. Der Säufer Jelzin verscherbelte das Land an den Westen und neureiche Primitivlinge.

Das Land versank unter Jelzin in wirtschaftliches Chaos, freien Fall des BSP, Hyperinflation, Verarmung und politisch-militärischer Auflösung einer Supermacht in einen Schrottstaat der dritten Welt. Dem politischen Zerfall des russischen Einflussbereiches suchte Jelzin mit Gewalt zu begegnen. Mit Georgien, das die GUS verlassen wollte, kam es zum Konflikt. Nun muss man wissen, Georgien war immer ein Vielvölkerstaat. Seit 1989 versuchte der georgische Nationalismus, Minderheiten die georgische Sprache aufzuzwingen (lingua franca war bislang Russisch). Das und georgische Umsiedlungspläne brachte Konflikte in Abchasien und Süddossetien. 

Abchasien wurde von Russland besetzt und de facto zum unabhängigen Staat gemacht; in Südossetien fand man nach langen kämpfen einen Kompromiss. Separatisten in Tschetschenien versuchte Jelzin durch brutale Militärschläge, die das Land weitgehend verwüsteten, zu bekämpfen: angesichts seiner schrottreifen Armee und der Konzeptlosigkeit seiner Politik kam außer sinnlosem Blutvergießen nichts dabei heraus.

Ich war zur Zeit des zweiten Tschetschenienkrieges Jelzins in Georgien: damals sagte man dort: „Stalin war uns lieber, der hat uns wenigstens nur umgesiedelt, Jelzin bringt uns alle um!“

Als Putin Russland übernahm, stand er vor einem Scherbenhaufen. Er erreichte es, dass sich schon in seiner ersten Amtszeit das BSP um 76% erhöhte. Es stieg kontinuierlich, bis durch westliche Sanktionen wegen der Ukrainekrise 2015 die russische Wirtschaft in die Rezession gezwungen wurde.

Doch schon 2016 war letztere durch ein leichtes Wachstum überwunden. Putin ging in Tschetschenien nicht weniger brutal vor als Jelzin, aber er hatte ein Konzept und hat den Terror im wesentlichen beendet und Tschetschenien in Russland behalten. Die seit ihrer Einverleibung in das Zarenreich rebellischen muslimischen Tschetschenen und Dagestaner, mit ihrem großen legendären Führer aller Muslime des Kaukasus, dem Sufi Sheik Shamil, waren nicht mit bloßer Gewalt zu besiegen. Putin fand den einzig gangbaren Weg: er fand unter den Rebellen einen Führer, der bereit war, um den Preis innerer Autonomie sich Putin unterzuordnen.

Man mag nun diesen Mann, Ramsan Achmatowitsch Kadyrow, mögen oder nicht: eine andere Lösung gab es und gibt es für Tschetschenien nicht. Die Situation im muslimischen Kaukasus, auch in den Republiken Inguschetien und Dagestan, ist immer noch sehr fragil. Gerade neulich kam es auch zu Problemen zwischen Inguschetien und Tschetschenien. Die Verhältnisse sind zu komplex und zu wenig bekannt, um hier mehr zu sagen, aber insgesamt hat Putin eine Situation geschaffen, mit der Russland leben kann. Das ist nicht leicht.

Putin arbeitete auch zäh daran, der russischen Armee ihre Schlagkraft wiederzugeben. Er baute Russland nicht nur wirtschaftlich wieder auf, er gab dem Land den Status einer Supermacht zurück. Putin musste im Jugoslawienkonflikt noch darauf verzichten, Russlands Einfluss geltend zu machen. Auch in Afghanistan und Libyen hat er die USA und die NATO mit ihrer zugleich dummen wie verbrecherischen Politik gewähren lassen.

Zähne gezeigt hat er zum ersten Mal, als Georgien unter Michael Saakashvili so weit ging, amerikanische Truppen ins Land zu holen und NATO- und EU-Beitritt anzustreben – da hat Putin zum ersten Mal seine Zähne gezeigt, zugleich aber auch Besonnenheit: er hat zunächst den Status von Südossetien, wo 99% der Osseten nicht zu Georgien gehören wollen, vom Status des Kosovo abhängig gemacht.

Erst als Georgien offen den Status quo verletzte und Saakashvili glaubte, die Teilrepublik Südossetien militärisch annektieren zu können, griff Russland 2008 massiv ein.

Südossetien ist seitdem de facto unabhängig. Die von der EU eingesetzte Beobachterkommission (IIFFMCG) befand, Georgien habe durch seine Aggression den Konflikt ausgelöst, Russlands Verteidigung Südossetiens sei völkerrechtskonform, nur das Vordringen in georgisches Gebiet sei unverhältnismäßig gewesen. Diese Aktion Putins hätte dem Westen allerdings eine Lehre sein können, dass Russland mit Putin nicht mehr ein maroder Staat war, dessen nationale Interessen man schlichtweg ignorieren konnte. Russland war wieder ein mächtiges Land, das beanspruchen und durchsetzen konnte, auf der internationalen Bühne neben den USA seinen gleichberechtigten Platz zu haben. Diese Lektion hat man bis heute nicht gelernt.

Putin hatte schon kurz nach Amtsantritt bei einem Staatsbesuch im September 2001 (kurz nach 9/11) eine visionäre Rede in fließendem Deutsch im deutschen Bundestag gehalten und dem Westen eine Sicherheitspartnerschaft angeboten. 2010 hat er in Lissabon der EU eine eurasische Freihandelszone angeboten. Und all dies, obwohl der Westen seit 1999 mit der NATO-Osterweiterung begonnen hatte, das Gorbatschow anlässlich der deutschen Wiedervereinigung gegebene Wort zu brechen, keine NATO-Truppen in den Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes zu stationieren.

2004 hatte man zudem begonnen, osteuropäische Staaten in die EU aufzunehmen – sehr zum Schaden der europäischen Integration. Putin hat somit alles versucht, mit dem Westen – trotz seines Wortbruchs, seiner offenen Aggression, besonders in seinem widerwärtigen und völkerrechtswidrigen Krieg in Jugoslawien – friedlich zu kooperieren. Er wurde von westlicher Überheblichkeit und Kurzsichtigkeit zurückgestoßen. Die USA dachten noch immer, sie könnten, die Welt alleine dominieren. Kurz danach begann der Westen dann auch zunächst, den sogenannten ,Arabischen Frühling‘ 2011 zu nutzen, den einzigen, recht gut funktionierenden und deshalb missliebigen Staat Afrikas, das Libyen Gaddafis, in Schutt und Asche zu legen.

Russland legte kein Veto ein: freilich die NATO-Aktionen gingen weit über das Mandat des Sicherheitsrates hinaus und waren insofern völkerrechtswidrig. Als ob dies nicht genug wäre, begann man kurz danach auch noch ohne jedes Mandat sich in Syrien, ebenfalls ein missliebiges System, weil es Ansprüche an Israel hatte, das völkerrechtswidrig Gebiete Syriens – meist mir reichen Ölquellen – besetzt hielt, in einen inneren Konflikt einzumischen. Dass Syrien ein traditioneller Verbündeter zuerst der SU, jetzt Russlands war, scherte keinen. Eine Begründung hatte man natürlich in beiden Fällen: Gaddafi und Assad sind ,Tyrannen‘, die Aufstände des eigenen Volkes niederschlagen.

Anderswo war das bislang egal: das Suharto-regime etwa mit seinem Genozid hat im Westen nie jemanden gestört, in Lateinamerika hat man gar grausamste Militärregime eingesetzt, die nichts Besseres zu tun hatten, als das eigene Volk zu foltern, aber Assad und Gaddafi sind Tyrannen. Sicherlich waren beides repressive Systeme: nur war Libyen eben auch das best funktionierende Land Afrikas, Assads Syrien ein Staat mit guten Gesundheits- und Bildungssystem, unverächtlichen sozialen Bedingungen.

Und als ob das nicht genug wäre, 2014 provoziert man vor Russlands Nase einen Putsch in der Ukraine, verspricht Aufnahme in die EU samt Sicherheitspartnerschaft. Dass das nicht funktioniert, hätte man nach Georgien wissen müssen. Und Russland hat reagiert. Die mehrheitlich von Russen bewohnte Krim wurde nach einer Volksabstimmung über eine Sezession ohne einen Schuss annektiert. Im ebenfalls russischsprachigen Donbas hat man russische Rebellen unterstützt und destabilisiert das Land, ohne offen direkt einzugreifen. Die Ukraine mit ihrem korrupten Regime ist inzwischen schrottreif. Das alles war lange überfällig: in der Ukraine hat Putin dem jedes Maß an Unverfrorenheit überschreitenden Westen endlich die Tür ins Gesicht geschlagen und deutlich gemacht, wo die rote Linie liegt. 2015 hat er sich auch auf Einladung der Regierung Assad, d.h. in Einklang mit dem Völkerrecht, direkt in Syrien engagiert. Er hat auf Provokationen, wie den Abschuss einer russischen Maschine durch die Türkei nicht mit Gegengewalt reagiert und dadurch Eskalation provoziert, er hat die Türkei ohne militärische Gewalt zum Einlenken gezwungen und kooperiert heute mit der Türkei.

Auf die israelischen Luftschläge reagiert weder er noch der Iran. Warum auch? Warum sollte man alles, was man gewonnen hat, in einem direkten Konflikt mit einer Nuklearmacht riskieren? Russland hat seinen Fuß in Syrien, es hat darüber direkten Zugang zum Mittelmeer, Russlands lang ersehntes geopolitisches Ziel. Iran hat seinen Fuß auch in Syriern. Allzu viel Militär dort zu binden, ist weder für Iran noch für Russland sinnvoll. Also was jucken ein paar Luftangriffe? Selbst jetzt, wo wieder eine russische Maschine abgeschossen wurde, reagierte Putin besonnen: keine Gewalt, keine Eskalation. Er wird Israel anders dazu bringen, sein Vorgehen zu bereuen. Russland hätte in Ildib zuschlagen können und militärisch sicher gewonnen – zu einem hohen politischen Preis.

Putin hat den türkischen Vermittlungsvorschlag akzeptiert. Die USA gebärden sich als Supermacht, die jeden zur Botmäßigkeit zwingen, wenn nötig mit ihren Bomben, Putin geht mit anderen Staaten mit Respekt vor ihren legitimen Interessen um. Lässt sich auf vernünftige Kompromisse ein. Das ist Machtpolitik mit Augenmaß! Es ist eine Machtpolitik, die Früchte trägt, die den Interessen des eigenen Landes wirklich dauerhaft dient, es ist eine Politik des langfristigen Stabilität und des Friedens, nicht der Zerstörung. Putin hat seine Vision einer multipolaren Weltordnung, aufgebaut auf Interessenausgleich und Kompromiss mehrfach überzeugend dargelegt.

Eine solche Politik ist die einzige, auf deren Basis Frieden und Stabilität möglich sind. Selbstverständlich beruht diese Politik nicht auf Sentimentalität, sondern auf kühlem Kalkül: sie orientiert sich – wie Charles de Gaulle es immer wieder gesagt hat – daran, dass man Politik nicht auf der Basis dessen macht, was man sich wünscht, sondern auf der Basis der Realität. Putin ist nicht nur ein Staatsmann, der Russland seine nationale Würde, seinen gebührenden Platz in der Weltpolitik zurückgegeben hat, er ist, als der Staatschef einer Supermacht ein Segen für die Welt, eine Hoffnung auf den Sieg der Vernunft.

Und dieses Russland hat der Westen durch seine Verbohrtheit und Arroganz weggestoßen und in die Arme Chinas getrieben. Sicherheitspolitisch und wirtschaftlich kann man dümmer nicht sein. Es ist die Politik des Kindergartens, die Europa beherrscht. Und ich möchte noch einmal hervorheben: während der Westen sich schamlos über internationales Recht hinwegsetzt, hat Putin sich in Georgien und Syrien nur in Einklang mit internationalem Recht betätigt.

Die Aktionen in der Ukraine sind ebenfalls anders zu bewerten, als der Westen das uns weismachen will. Zu Beginn stand ein Coup d’état gegen die gewählte Regierung. Die Reaktion auf die Ungeheuerlichkeit, die Ukraine westlich zu besetzen und zur Ausbeutung durch die EU freizugeben und zum Hebel der Aggression gegen Russland umzufunktionieren, hat Putin meisterhaft gekontert. Es gab keine Besetzung der Krim, die überwiegend russische Bevölkerung hat die Sezession gewählt: sie wurde ohne eine Gewehrkugel vollzogen. Hier stand Selbstbestimmungsrecht der Völker gegen das der territorialen Integrität. Das gilt auch für die Ostukraine: die Bevölkerung dort wünscht in ihrer Mehrheit den Schulterschluss mit Russland. Putin hat dafür gesorgt, dass die Ukraine den Volkswillen im Donbas nie mehr wird ignorieren können.

Aber natürlich versucht man Putin analog zu Erdogan auch wegen seiner Innenpolitik zu dämonisieren. Er ist kein Demokrat. Er regiert autoritär und tötet und foltert seine Kritiker, lässt Oligarchen gewähren. Nun: Oligarchen ist so ein Wort, damit bezeichnet man reiche Leute mit politischem Einfluss in Osteuropa. Wieso eigentlich nur dort? Der Senat und Kongress der USA besteht ausschließlich aus solchen Leuten: Oligarchen. Und wer hat in Deutschland das Sagen? Frau Merkel? Wohl eher Burda, Bertelsmann und insbesondere Leute, deren Namen niemand kennt. Unter Jelzin regierten in Russland die Oligarchen, die ihr Land an den Westen verscherbelten. Die hat Putin beseitigt, die sind heute die vom Westen umjubelten Kritiker. Dass es natürlich auch heute in Russland reiche Leute gibt, die nah an den Quellen der Macht sitzen, und dass Putin nicht wie der heilige Franz von Assisi lebt, muss man wirklich sagen, dass das selbstverständlich ist?

Zum Schluss: ich gratuliere Vladimir Putin zu seinem Geburtstag und seiner bisherigen Lebensleistung aus ganzem Herzen. Ich hoffe, er wird noch lange zum Segen Russlands und der Welt an der Spitze seines großen und stolzen Landes stehen.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


Prof. Dr. Hans-Christian Günther

Lebenslauf

Geb. am 28.4.1957 in Müllheim / Baden

Professor für klassische Philologie an der Albert-Ludwigs-Universität. Zahlreiche Publikationen und Gastprofessoren. Lange Aufenthalte in der VR China. Im Bereich der Altertumswissenschaft besonderer Schwerpunkt auf der politischen Dichtung der Augusteer und allgemein der Reflexion antiker Autoren auf ihre gesellschaftliche Stellung und Verantwortung

Seit 2004 Tätigkeit im Bereich des Dialogs der Religionen und Kulturen mit zahlreichen Veröffentlichungen.