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Verfassungsreform in der Türkei
Referendum: Jetzt streiten sich die Deutschen auch noch in der Türkei

Das Referendum zur Verfassunsgreform in der Türkei beschäftigt schon seit Monaten die deutschen Medien und Politiker. Neben Analysen in Tageszeitungen und Wochenzeitschriften, debattieren auch in fast allen Talkshows Politiker und "Experten" drüber. Das gesamte Parteienspektrum vom äußersten linken bis zum tiefbraunen rechten Rand ist sich allerdings einig: Deutschland ist für "Hayir".

Mugla/Türkei (Foto: sarigermevilla)
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Dortmund (nex) – Das Referendum über die Verfassungsreform in der Türkei beschäftigt schon seit Monaten die deutschen Medien und Politiker. Neben Analysen in Tageszeitungen und Wochenzeitschriften wimmelt es auch von Talkshows im Fernseheh, in denen Politikern und „Experten“ über die anstehende Volksabstimmung diskutieren.

Allerdings ist sich das gesamte Parteienspektrum vom äußersten linken bis zum tiefbraunen rechten Rand einig: Deutschland ist für „Hayir“. Politiker wie Cem Özdemir von den Grünen werben sogar ganz offen für ein Nein und betreiben türkischen Wahlkampf auf deutschem Boden. Nun schwappen die deutschen Debatten über türkische Politik sogar in die sonnigen Urlaubsorte der Türkei über. Die seit vielen Jahren ohne Kopftuch und Schleier in der Türkei lebende Deutsche Marina Bütün beschreibt in einem Gastbeitrag ihr letztes Erlebnis mit einer deutschen Referendumsgegnerin.

Gastbeitrag von Marina Bütün

Heute saß ich mit meiner deutschen Freundin, die die Hälfte des Jahres in der Türkei und die andere Hälfte in Deutschland verbringt, in unserem „Osmanli Cafe“ in der Stadt.

Ich habe mich riesig gefreut, dass wir zum ersten Mal in diesem Jahr wieder Gelegenheit hatten, über Gott und die Welt zu reden. Normalerweise dauert es den ganzen Nachmittag, so bis 18 Uhr, bis wir fertig mit Neuigkeiten auf beiden Seiten sind, doch diesmal kam es ganz anders.

Denn „sich über Gott und die Welt unterhalten“ hieß, wir unterhielten uns – weil sie damit anfing – über die türkische Regierung und das Verfassungsreferendum. Ich vermeide es eigentlich tunlichst, mich mit guten Freunden, die die türkischen Nachrichten nicht verfolgen können, weil sie die Sprache nicht verstehen, über diese Dinge zu unterhalten.

Doch leider war es unvermeidlich, weil meine Freundin mir die neuesten „Fakten“ aus den deutschen Medien vorhielt. Wie schrecklich das doch wäre und „… Wer weiß was da kommt, und eine Ein-Mann-Regierung, das geht gar nicht! Der tut doch dann, was er will!“ Argumente meinerseits, dass sie leider keine türkischen Texte lesen kann und dass man sich jederzeit (auch via Internet) diese Gesetzesänderungen in türkischer Sprache im Volltext suchen kann – und das sowohl als Ja- wie auch als Nein-Wähler – und dass selbst ich diese Texte mit meinem Dreivierteltürkisch verstehen kann, also ein Türke diese sicherlich versteht, brachten sie erst mal zum Schweigen.

Ihre Einwände, dass es doch genug Menschen gebe, die gar nicht wüssten, was sie wählten, weil sie etwa von ihrem Ehemann beeinflusst würden, waren natürlich verständlich, denn die gibt es überall auf der Welt. „In keinem Land gibt es nur aufgeklärte Wähler, das ist sicherlich richtig“, erwiderte ich. „Aber das gilt sowohl für die, die mit Ja als auch für die, die mit Nein stimmen“, fügte ich hinzu. Auch dieses Argument hat ihr nicht gefallen, was ja logisch ist.

Es folgte der übliche Schlagabtausch zwischen deutscher Mainstreamleserin und mir, den ich von anderswo schon genau kenne. Auch bei ihrem Monolog über Atatürk, von dem sie sagte, dass es unter ihm keine Todesstrafe im Land gegeben habe, blieb ich ihr natürlich keine Antwort schuldig. Ich erzählte ihr vom „Hut-Gesetz“ welches am 25. November 1925 von der Großen Nationalversammlung der Türkei verabschiedet wurde, das sie, trotz türkischem Lebenspartner, nicht kannte.

Als wir dann noch vom EU-Beitritt über die angeblichen „Krawalle“ in Deutschland wegen des Referendums in der Türkei (von denen mir von 500 türkischen Facebook-Freunden aus Deutschland kein einziger etwas erzählt hat und auch in den deutschen Zeitungen nichts darüber zu finden war) zur doppelten Staatsbürgerschaft kamen, die sie absolut nicht richtig finde, weil man sich gefälligst für ein Land entscheiden müsse und ob man Türke oder Deutscher sei und nicht nur darauf aus sein dürfe, die Vorteile des Landes zu genießen, war ich wirklich ziemlich baff und schon fast böse. Denn ich habe auch beide, das weiß sie, und ich wollte mich nicht gegen das Land entscheiden müssen, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, aber auch nicht zum zweiten Abstand halten, obwohl ich in dem Land lebe.

Es ist doch keine Ehe, die man mit einem Land führt, sondern man kann sowohl Zugehörigkeit zu seinem Heimatland als auch zu dem Land fühlen, in dem man lebt. Was für ein Quatsch. Danach stand sie auf und wollte gehen. Sie fuhr mich nach Hause, und sie kam nicht noch auf einen Kaffee wie sonst bei mir herein. Und nun frage ich mich, wer jetzt schuld an dieser komischen Stimmung war – ich vielleicht, weil ich ihr zu viele beweisbare Fakten geliefert habe und sie falsch lag?

Etwas anderes hatte ich nicht getan. Ist es nicht traurig, was gerade passiert? Mich macht so etwas sehr betroffen, wenn man die Berichte von Freunden nicht akzeptieren möchte, und zwar nur, weil sie nicht die „richtigen“ Antworten geben oder dem beipflichten, was man in den deutschen Medien vorgesetzt bekommt – Freunde, die schon dreimal so lange in der Türkei leben wie man selbst und noch dazu das ganze Jahr.

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Auch erschienen bei unserem Kooperationspartner Türkis Magazin