NEX24: Sehr geehrter Herr Agdas, Ihre innerparteilichen Gegner bei den Grünen beschimpften Sie als „Salafist“ und „Antisemit“, ein Schläger beschimpfte Sie als „Sch***-Jude“, ehe er auf Sie losging. Können Sie es denn niemandem recht machen?
Agdas: Es steht völlig außer Frage, dass die Sicherheit Israels Teil der deutschen Staatsräson ist, wie es Bundeskanzlerin Merkel völlig richtig geäußert hat. Das nimmt uns aber nicht das Recht ab, die Politik Israels zu kritisieren. Ich habe feststellen müssen, dass viele mit dieser Differenzierung nicht zurechtkommen, leider auch aus der Politik nicht. Sowohl die einen als auch die anderen sind meines Erachtens zu einseitig und die Diskussion bewegt sich zudem nicht immer in sachlichen Bahnen. Ich möchte noch einmal ausdrücklich betonen, dass ich vom Siedlungsbau Israels nicht viel halte und eine Zwei-Staaten-Lösung für diese Region viel versprechend in Richtung Frieden finde. Wir müssen die Sicherheit Israels gewährleisten und die Gründung eines fähigen palästinensischen Staates unterstützen.
NEX24: Mittlerweile sind Sie wieder unter Beschuss bei den Grünen, nachdem Sie Ihren Parteikollegen Eyup Odabaşı gegenüber Maßregelungen vonseiten des Abgeordneten Volker Beck in Schutz genommen haben. Es ist – denkt man an die Affäre Nebahat Güçlü in Hamburg – nicht das erste Mal, dass man in dieser Partei versucht, kritische Einwanderer zu disziplinieren. Spitzenpolitiker wie Cem Özdemir und Claudia Roth üben regelmäßig scharfe Kritik an der türkischen Regierung, die immerhin das Vertrauen auch einer Mehrheit der Deutschlandtürken genießt. Ist die „Multikulturalität“, mit der die Grünen schon seit ihren ersten Wahlerfolgen werben, nur vorgeschoben?
Agdas: Die Begrifflichkeit „vorgeschoben“ würde ich nicht verwenden. Aber Cem Özdemir spricht in Interviews ganz offen von einer sogenannten „Bereinigung“, wenn Parteimitglieder, die nicht seiner Meinung sind, austreten und dafür Menschen eintreten, die seine Linie unterstützen. Ich habe dies in Form eines offenen Briefes angeprangert. Herr Özdemir ist noch nicht darauf eingegangen, dabei würde mich seine Antwort sehr interessieren.
NEX24: Sind der islamische Mainstream unter den Einwanderern und der türkische Präsident Erdoğan für die Alt-68er und ihre gelehrsamen Schüler bei den Grünen jetzt zum Ersatz für die Kriegsgeneration und die Politiker der Adenauer-Ära geworden, die man früher zum Feindbild erklärt hatte, die aber mittlerweile großteils nicht mehr am Leben sind?
Agdas: Das gilt aber nicht nur für den Islam! Die meisten Grünen haben grundsätzlich ein Problem damit, wenn jemand etwas spirituell ist und einer Religion angehört. Dem Naturschutz wird im Islam hohe Priorität eingeräumt, statt diese Gemeinsamkeiten hervorzuheben, geht man dem Dialog aus dem Weg. Zu Präsident Erdoğan kann ich nur sagen, dass auch er berechtigterweise kritisiert wird. Ob das in der Art und Weise, wie es die Grünen tun, richtig ist, das ist eine andere Frage. Wir dürfen nicht vergessen, dass er der gewählte Präsident eines demokratischen Staates ist, dieser Staat ist seit Jahrzehnten ein wichtiger Partner und Verbündeter und wird es auch bleiben, davon bin ich überzeugt.
NEX24: Aber hätte man das nicht ahnen können, bevor man den Grünen beitritt? Man kennt doch gerade aus der Grünen Jugend schon seit Jahr und Tag haarsträubende Auffassungen, vor allem in gesellschaftspolitischen Themen. Ich denke da etwa an die Forderung nach Abschaffung der Ehe, einer „geschlechterfreien Zukunft“ oder nach freier Entfaltung der Sexualität schon im Kindesalter, wie sie immer noch in Thesenpapieren angedeutet wird. Werden solche Vorstellungen gegenüber Mitgliedern aus der Einwanderercommunity nicht angesprochen?
Agdas: Sie können sich ja mal einen lustigen Abend machen und darüber recherchieren, welche Aufgaben die Politikerinnen und Politiker bei den Grünen einnehmen. Jenen mit Migrationshintergrund wird auch etwas in dem Bereich nahezu zugewiesen und die meisten Chancen, um politisch etwas zu bewegen, in Aussicht gestellt. Bis auf wenige Ausnahmen dürfen sich die Mitglieder aus der Einwanderercommunity mit den Migrations- und Teilhabefragen beschäftigen. Ich kann auch Wirtschaft, ich kann auch Europa, wenn man mir sagt „Du bist doch türkisch, mach‘ mal was zu Integration!“ etwas salopp ausgedrückt, dann empfinde ich das schon als rassistisch.
NEX24: Die grüne Führung nimmt derzeit im Besonderen Anstoß am Antiterrorkampf der türkischen Streitkräfte gegen die PKK. Resultiert die weit verbreitete, verharmlosende Haltung gegenüber dieser Terrororganisation eher aus bloßer Naivität und einer orientalistischen Betrachtungsweise, oder sind da gar ideologische Nähe bzw. alte RAF-Romantik aus den 1970er Jahren im Spiel?
Agdas: Sowohl als auch. Die Grünen kennen die türkische Kultur, die Betrachtungsweise der türkischstämmigen Menschen in Deutschland nicht. Wie denn auch, wenn man nie mit ihnen spricht? Jegliche Initiative meinerseits wurden immer geblockt, wenn ich ein Moscheebesuch angeregt habe oder die türkische Nachbarschaft zum ohnehin stattfindenden Grillen einladen wollte. Die RAF-Romantik ist natürlich noch vorhanden, völlig klar. Hans-Christian Ströbele und der ehemalige Grüne und Bundesinnenminister a.D. Otto Schily waren Rechtsanwälte der RAF-Terroristen. Eine völlig naive Haltung, wenn man tatsächlich glaubt, dass die Grünen keine romantischen Züge zu dieser Zeit pflegen.
NEX24: Ist die Affinität der Grünen zur türkischen HDP dadurch bedingt, dass die türkischen Grünen nie aus der völligen Bedeutungslosigkeit herausgekommen waren, oder steckt da mehr dahinter?
Agdas: Die Liebe der Grünen zur türkischen HDP sind geprägt von, wie sonst in vielen Fragen auch, großer Naivität. Die Grünen ignorieren die Nähe der HDP zur PKK und wünschen sich tatsächlich eine grüne politische Strömung in der Türkei, die Nähe wird dann gerne übersehen oder in Kauf genommen. Was die Grünen hierzulande aber vergessen, ist die Tatsache, dass der Vergleich zwischen den Linken in der Türkei und den Linken in Deutschland absolut daneben ist. Die linke Kultur ist in den Ländern ganz anders geprägt. Es spielt auch keine Rolle, was dahinter steckt, denn eine Partei in Deutschland hat unter keinen Umständen mit deutschen Steuergeldern türkische Parteien zu unterstützen. Da kommt sich doch jeder Steuerzahler dumm vor.
NEX24: Aus Parteien wie der Linken kommen sogar offene Forderungen nach einer Aufhebung des PKK-Verbots. Welchen Rückhalt hat eine solche Forderung bei den Grünen?
Agdas: Die Grünen fordern ganz klar das in Deutschland seit 1993 bestehende Verbot der Terrororganisation PKK aufzuheben. Natürlich wird auch offiziell gerne mal gesagt, dass man das Verbot lediglich „überdenken“ möge. Wenn es um Terror geht, überlege ich nicht, ob es ein guter oder schlechter Terrorismus ist. Der Terror ist, egal von welcher Seite und auf welchem Boden, immer schlecht und gehört gefunden, bekämpft und bestraft.
NEX24: Sie denken nun über einen Beitritt zur CDU nach. Ist denn das wirklich eine Alternative für türkische Einwanderer? Immerhin wurde Bundespräsident Wulff nach seinem Bekenntnis, der Islam gehöre zu Deutschland, vor allem auch aus den eigenen Reihen massiv angefeindet.
Agdas: Ich halte die CDU für die einzig wählbare Partei für die türkischstämmigen Menschen in Deutschland. Die CDU ist die Partei für den Mittelstand, wo wir die türkischstämmigen meist wirtschaftlich finden. Die CDU hat bereits früh eine Islamkonferenz einberufen, damals unter Wolfgang Schäuble, da hat dieser nur mit anderen Worten gesagt, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Es war übrigens Herr Wulff, der eine Frau mit Migrationshintergrund zur ersten Ministerin auf Landesebene gemacht hat. Die CDU öffnet sich immer weiter gegenüber den Menschen mit Migrationshintergrund. Ich beobachte diese Entwicklung bereits länger und vergleiche es auch mit der SPD und den Grünen. Glauben Sie tatsächlich, dass die Migranten bei den Grünen mit offenen Armen empfangen werden, gerade die muslimischen? Falls ja, dann irren Sie sich.
NEX24: Mustafa Yeneroğlu begründete seine Ablehnung eines Engagements bei der CDU damit, dass man „eine gewisse Haltung einnehmen“ müsse, um Karriere in der Politik machen zu dürfen, und dass die Abgeordnete Cemile Giousouf sich bereits für einen Besuch bei einer kurz zuvor von Brandanschlägen heimgesuchten Moschee rechtfertigen musste. Ein früherer türkischer CDU-Politiker aus Hamm bekam sogar ein Parteiausschlussverfahren, weil er in der Türkei die Idealistenbewegung unterstützt. Hat sich da tatsächlich etwas geändert?
Agdas: Die Aussage, man müsse „eine gewisse Haltung einnehmen“, finde ich bemerkenswert. Wir leben in einer Demokratie und müssen selbstverständlich Kompromisse eingehen. Dazu gehört eben, dass man stets einen gemeinsamen Nenner findet. Das hat nichts mit einer gewissen Haltung zu tun, sondern der Fähigkeit, sich für seine politischen Ideale stark zu machen. Der Fall Giousof ist mir weniger bekannt, aber wenn ich an die Besuche des ehemaligen Bundespräsidenten denke und den Umgang mit mir, kann ich mich persönlich nicht beschweren.
Bei Ihrem letzten Beispiel handelt es sich weniger um die Unterstützung des CDU-Politikers aus Hamm einer türkischen “Idealistenbewegung“, sondern vielmehr um die nationale Front der Türkei, der MHP. Mit dieser Zusatzinformation bekommt die Fragestellung eine ganz neue Deutung. Die CDU tritt gegen nationalistisches Gedankengut ein und wird hart daran arbeiten, ein buntes Deutschland erfolgreich in die Zukunft zu führen. Ich werde meinen bescheidenen Anteil dafür leisten.
NEX24: Gerade die CDU trat stets dafür ein, die Türkei nicht in die EU aufzunehmen. Gleichzeitig will sie mehr Befugnisse und Lösungen auf EU-Ebene, beispielsweise mit Blick auf die Flüchtlingsproblematik. Mehr Europa, aber ohne die Türkei: Halten Sie das für eine besonders glückliche Positionierung?
Agdas: Sie können bei allem Respekt die Aufnahme der Türkei in die EU nicht mit der Aufnahme eines Landes wie Kroatien vergleichen. Die EU funktioniert eben nach der Größe der Länder, je nach Einwohner bekommt dieses EU Mitglied mehr Mitbestimmung im EU-Raum und auch mehr Sitze im EU-Parlament. Die Türkei würde mit seinen über 70 Millionen Einwohnern das zweitgrößte Land im EU Raum werden. Es ist doch völlig klar, dass man sich bei der Größenordnung für eine Aufnahme länger Gedanken macht. Es gibt gute Argumente auf beiden Seiten. Die Türkei ist in einer besonderen Lage und diese muss beobachtet werden. Langfristig bin ich für die Aufnahme der Türkei, denn ich finde, dass die Türkei zu Europa gehört.
NEX24: Auch, was die Syrienpolitik anbelangt, vermisst man eine klare Position der deutschen Bundesregierung. Was erwarten Sie diesbezüglich von der CDU?
Agdas: Wir stehen aktuell vor der Herausforderung, dass viele Menschen aus diesem Land Zuflucht bei uns suchen. Diese Herausforderung mit den Flüchtlingen werden wir mit dem zivilgesellschaftlichen Engagement und den politischen Organisationsstrukturen im Einklang mit einer von der Bundesregierung bereits zugesprochenen finanziellen Unterstützung der Länder und Kommunen in Höhe von insgesamt 6 Milliarden Euro meistern. Was Syrien im Speziellen angeht, haben wir ein großes Interesse daran, dass dieses Land den Menschen vor Ort ihre Sicherheit gewährleisten kann. Die Voraussetzung dafür ist die Bekämpfung des IS. Meine grundsätzliche, außenpolitische Haltung ist die Vermittlerrolle der Bundesrepublik. Ich denke, dass gerade wir Deutschen aus unserer Geschichte heraus in der Frage eine besondere Rolle spielen und zwischen den Konfliktparteien vermitteln müssen.
NEX24: Inwieweit spielt der Druck aus der Wirtschaft eine Rolle bei der verhältnismäßig offenen Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel? Wird die CDU in der Lage sein, die Einwanderercommunity als künftiges wirtschaftliches Aufsteigerpotenzial wahrzunehmen?
Agdas: Wir wissen bereits, dass uns jedes Jahr 300.000 Fachkräfte fehlen werden. Hinzu kommt der demografische Wandel. Wir müssen die Menschen aufklären, dass wir globale Wettbewerbsfähigkeit und ökonomische Stabilität einerseits und keine Aufnahme von Flüchtlingen andererseits nicht werden realisieren können. Ich habe bereits erwähnt und stehe da auch voll hinter, wenn ich sage, dass die CDU die einzig wählbare Partei für die Einwanderercommunity ist. In Bezug auf ihre wirtschaftlichen und sozialen Interessen. Die CDU hat erkannt, welches Potenzial unsere Menschen unterschiedlicher Herkunft haben und stuft diese als Gewinn ein. Ich werbe um jede Stimme für die CDU.
Herr Agdas, wir bedanken uns für das Gespräch