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Ein Mordkomplott: Das Gülen-Netzwerk und das Attentat auf Dr. Hablemitoğlu

Auftrag zur Ermordung des Akademikers kam von Gülen-Mitglied. Zum Mord am Akademiker Dr. Necip Hablemitoğlu gibt es nach Zeitungsberichten neue Erkenntnisse.

Dr. Necip Hablemitoğlu
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Ein Gastbeitrag von Kemal Bölge

Zum Mord am Akademiker Dr. Necip Hablemitoğlu gibt es nach Zeitungsberichten neue Erkenntnisse. NEX24 berichtete über die Festnahme von weiteren Verdächtigen, die in Kontakt zum mutmaßlichen Täter gestanden haben sollen.

Demnach hat der „Türkei-Imam“ des Gülen-Netzwerks, Mustafa Özcan den Auftrag zum Attentat auf den Gülen-Kritiker erteilt, der per Haftbefehl gesucht wird. In der Hierarchie des Gülen-Netzwerks gilt ein „Imam“ als Verbindungsperson, der Kontakte zu wichtigen Gülen-Mitgliedern in der Staatsbürokratie besitzt.

Enver Altaylı, der Strippenzieher hinter den Kulissen

Die Anweisung zur Ausführung der Tat wurde von Enver Altaylı übermittelt, einem ehemaligen Mitarbeiter des Nachrichtendienstes, der im November letzten Jahres von einem türkischen Gericht wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ sowie „politischer und militärischer Spionage“ zu mehr als 23 Jahren Haft verurteilt worden war. Altaylı, ein Freund des früheren CIA-Mitarbeiters Ruzi Nazar, arbeitete unter anderem an der US-Botschaft in Ankara und galt als Förderer von Altaylı.

Radio Free Europe beschrieb Nazar nach dessen Tod 2015 als „Central Asian Cold Warrior“, welch blumigen Worte möchte man meinen. Altaylı widmete zu Ehren seines Lehrmeisters ein Buch mit dem Titel „Ruzi Nazar – Der türkische Agent der CIA“. Nach Auffassung der 16. Großen Strafkammer zu Ankara gilt es als erwiesen, dass Altaylı Mitglied des Gülen-Netzwerks war, das in der Türkei als terroristische Vereinigung eingestuft wird.

Mordverdächtiger tauchte in der Ukraine unter

Für den Mord an Dr. Hablemitoğlu gilt nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft Ankara Nuri Gökhan Bozkır als dringend tatverdächtig. Nach der Ausstellung eines internationalen Haftbefehls (Red Notice) gelang es ukrainischen Polizei-Spezialkräften Bozkır am 10. Juli 2019 in Kiew festzunehmen. Ein ukrainisches Gericht ordnete drei Monate U-Haft gegen den Beschuldigten an und danach erfolgte ein elektronisch überwachter Hausarrest (Elektronische Fußfessel).

Weil nach ukrainischem Recht ein Hausarrest sechs Monate nicht überschreiten durfte, verfügte das Gericht die Aufhebung der Fußfessel. Der Strafverdächtige musste sich regelmäßig bei der Polizei melden und durfte die Hauptstadt Kiew nicht verlassen.
Die türkische Justiz stellte in der Zwischenzeit mehrmals einen Auslieferungsantrag bei den ukrainischen Behörden. Ein Gericht in Kiew lehnte am 8. Dezember 2020 den Asylantrag des unter Mordverdacht stehenden ab und am 16. Dezember stimmte die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft einer Auslieferung des Verdächtigen in die Türkei zu.

Eine Überstellung von Bozkır kam dennoch nicht zustande, weil seine Anwälte in Revision gingen. Bei der Berufungsverhandlung am 2. August 2021 war der Tatverdächtige wegen Erkrankung nicht anwesend. Nachdem der Angeklagte auch zu weiteren Verhandlungen nicht erschien, ordnete das Gericht die polizeiliche Vorführung des Beschuldigten an. Eine eingeleitete Fahndung der ukrainischen Polizei blieb erfolglos und deshalb wurde für den 11. Januar 2022 ein neuer Verhandlungstermin angesetzt.

Türkischer Geheimdienst spürt Tatverdächtigen in Ukraine auf

Offenbar hatte die Ukraine den türkischen Strafverfolgungsbehörden mitgeteilt, dass der wegen Mordes gesuchte Bozkır nicht auffindbar sei. Agenten des türkischen Geheimdienstes MIT gelang es, den Mordverdächtigen im Januar in der Ukraine aufzuspüren, festzunehmen und in die Türkei zu bringen. In dieser Angelegenheit ist es vorstellbar, dass der ukrainische und türkische Nachrichtendienst zusammengearbeitet haben.

Der türkische Präsident Erdoğan hatte in einem Fernsehinterview die Festnahme des mutmaßlichen Attentäters bekannt gegeben. Bozkır wurde am 28. Januar zur Vernehmung ins Präsidium der Anti-Terrorabteilung der türkischen Polizei gebracht und die Untersuchungshaft zunächst um vier Tage sowie am 3. Februar um weitere drei Tage verlängert.

Nach dem obligatorischen Gesundheitscheck übergab die Polizei den Tatverdächtigen der Justiz. Die zuständige Staatsanwaltschaft begann mit dessen Befragung. Anschließend erließ der diensthabende Ermittlungsrichter am Strafgericht des Amtsgerichts in Ankara wegen „Mitgliedschaft in einer bewaffneten Organisation“ und „vorsätzlicher Tötung“ gegen den Beschuldigten Haftbefehl.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Ankara konnte anhand der gesammelten Beweismaterialien, Zeugenaussagen und der Auswertung der Daten aus Mobiltelefonen feststellen, dass das Gülen-Mitglied Mustafa Özcan versucht hat, mit dem späteren Mordopfer Dr. Hablemitoğlu in Kontakt zu treten. Geholfen soll ihm dabei, so die Erkenntnisse der Anklagebehörde, der inhaftierte Ex-Nachrichtendienstler Enver Altaylı, der wiederum von Nizamettin Avsar Unterstützung erhielt.

Nach Medienberichten bestand die Attentatsgruppe aus sechs Personen, die von Nizamettin Avsar angeführt wurde. Aydın Köstem, ein dubioser Waffenhändler, stellte den Kontakt mit dem unter Mordverdacht stehenden Bozkır her, der damals bei den Spezialkräften diente und später unehrenhaft aus der Armee entlassen wurde. Der Tatverdächtige stand in Verbindung mit Mehmet Narin, Irfan Birkan, Birol Ercan und Nuri Gökhan, die sich ebenfalls in der Gegend aufhielten.

Attentatsgruppe besteht aus Mitgliedern des Gülen-Netzwerks

Eine Schlüsselzeugin und Nachbarin von Dr. Hablemitoğlu hatte gegenüber dem Gericht zu Protokoll gegeben, dass sie vor dem Attentat einen Pkw der Marke Tofaş Doğan S mit dem Kennzeichen 06 TBZ 08 beobachtet hätte. Die Polizei konnte anhand des Autokennzeichens die Fahrzeughalter zum Tatzeitpunkt ermitteln.

Der Pkw war auf Irfan Birkan und Birol Ercan zugelassen, die beide zum sechsköpfigen Attentatsteam gehörten und die Adresse des Universitätsdozenten vor dem Mord auskundschafteten. Anhand der Zeugenaussage wurden beide Tatverdächtigen von der Polizei befragt und die Ermittler fanden heraus, dass Birkan und Ercan eineinhalb Stunden nach der Befragung durch die Polizei den mordverdächtigen Bozkır angerufen hatten.

Nach dem Polizeiverhör wurde Nuri Gökhan Bozkır‘ Name in die Ermittlungsakten hinzugefügt. Das Ermittlerteam konnte ferner nachweisen, dass der Verdächtige Bozkır sein Mobiltelefon zwei Stunden vor dem Mordanschlag ausschaltete und bis zum nächsten Tag ausgeschaltet blieb. Er benutzte am Attentatstag die SIM-Karte seines älteren Bruders. Nachdem dieser sein Mobiltelefon wieder eingeschaltet hatte, benutzte er diesmal die SIM-Karte eines Unteroffiziers bei den Spezialkräften. Seine eigene SIM-Karte schaltete er erst einen Monat später ein.

Im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gelang es der Anti-Terrorabteilung der türkischen Polizei, die dringend Tatverdächtigen Irfan Birkan, Birol Ercan, Aydın Köstem, Nizamettin Avsar sowie Mehmet Narin festzunehmen und zum Mordfall zu befragen. Bei der Vernehmung sollen Birkan und Ercan ausgesagt haben, am Tag des Attentats nicht am Tatort gewesen zu sein, dem die Anklagebehörde keinen Glauben schenkte.


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar


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