Ein Gastbeitrag von Kemal Bölge – kboelge@web.de
Der vorliegende Aufsatz setzt sich zunächst mit dem Thema der Verhaftung eines türkischen Rechtsanwalts auseinander, der nach deutschen und türkischen Medienangaben für die deutsche Botschaft in Ankara gearbeitet haben soll.
In einem weiteren Schritt geht es um die Berichterstattung in den deutschen Medien über die terroristische Gülen-Organisation. Hierzu erfolgt eine kurze Erläuterung über die Person Gülen und seines Werdegangs. Darüber hinaus wird anhand eines Schaubilds die Organisation an sich und der strukturelle Aufbau des Gülen-Netzwerks beschrieben. Vor einigen Tagen berichteten deutsche Medien über die Verhaftung eines Rechtsanwalts, der für die deutsche Botschaft in Ankara gearbeitet haben soll. Der Jurist habe bei türkischen Behörden angefragt, ob gegen Personen, die in Deutschland als Asylsuchend gemeldet sind, in der Türkei Gerichtsverfahren anhängig sind und ob ihnen bei einer eventuellen Rückkehr die Verhaftung droht.
Der Personenkreis, um den es hier geht, sind Sympathisanten/Mitglieder der Terrororganisation PKK und Fetö (Fetullahistische Terrororganisation). Das Auswärtige Amt als auch das Bundesinnenministerium hätten nach ARD Informationen diese Methode als „europaweit gängige Praxis“ bezeichnet.
Nach Medienberichten werfen die türkischen Strafverfolgungsbehörden dem Anwalt Spionage vor. Sollte das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium tatsächlich dies als „europaweit gängige Praxis“ bezeichnet haben, ist dies per se schon falsch, weil Informationen über Personen in deren Herkunftsländern, das wäre der international übliche Weg, das Auswärtige Amt beim dortigen Außenministerium stellen muss und keinen Rechtsanwalt hierzu einschalten darf. Die Frage wäre, wie ein Anwalt, der keinen Vertretungsauftrag (Mandat) des Asylsuchenden besitzt, bei den Behörden Informationen erhält.
Gemäß dem Fall, ein in Deutschland zugelassener Rechtsanwalt würde, ohne im Besitz eines Mandats zu sein, bei den deutschen Behörden nach Informationen über deutsche Asylsuchende in der Türkei erfragen. Würden die deutschen Behörden diesem Anwalt Informationen über die angefragten Asylsuchenden geben? Die Antwort ist ganz klar nein, weil kein Gericht und keine Polizeidienststelle in Deutschland derartige personenbezogene Daten an einen Anwalt ohne Vertretungsauftrag mitteilen würde. Der besagte Rechtsanwalt, der im Auftrag der deutschen Botschaft in Ankara bei den türkischen Behörden um Auskunft zu Asylsuchenden gebeten hat, kann also de jure auf legalem Wege diese Informationen nicht erhalten haben.
Wenn er die Informationen unrechtmäßig bzw. illegal erhalten haben sollte, könnte er dies mit Bestechung erreicht haben. Da sein Auftraggeber die deutsche Botschaft in Ankara war, wäre in diesem Fall der Tatbestand der Anstiftung zu einer Straftat bzw. Korruption und Spionage erfüllt. Sollten die Anschuldigungen gegen den Anwalt zutreffen, kann er sich nicht auf seine Tätigkeit als Rechtsanwalt berufen und auch nicht auf den Schutz der beschlagnahmten Akten pochen.
Ein anderer Aspekt ist die politische Bewertung der Asylanträge durch die deutsche Seite, obwohl der gewaltsame Putschversuch durch Mitglieder der Gülen-Terrororganisation ein strafrechtliches Merkmal aufweist. Trotz der strafrechtlichen Bewandtnis die verfassungsmäßige Ordnung der Türkei mit Waffengewalt durch die Gülen-Terrororganisation beseitigen zu wollen, kooperieren die deutschen Behörden nicht bei der Auslieferung von Gülen-Mitgliedern an die türkischen Strafverfolgungsbehörden. Einer der mutmaßlichen Drahtzieher des Putschversuchs von 2016, Adil Öksüz, der von den türkischen Strafverfolgungsbehörden mit Haftbefehl gesucht wird, hält oder hielt sich in Deutschland auf. Nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau wurde Öksüz nach Bekanntwerden seines Aufenthaltsortes von Personenschützern des Berliner Staatsschutzes an einen „sicheren Ort“ gebracht.
Am 19. November war in einigen Medien eine Meldung über Ermittlungen der türkischen Justiz gegen vermutete Mitglieder der Terrororganisation von Fetullah Gülen bei der Armee und der Polizei zu lesen. Bei der Berichterstattung in den Medien hierzulande wird unisono der Eindruck erweckt, der in den USA lebende Terroristenchef Gülen sei ein friedfertiger harmloser Prediger und die radikalen Mitglieder seiner Organisation Anhänger einer verfolgten Religionsgemeinschaft. Selbst als seine Mitglieder in der türkischen Armee 2016 einen bewaffneten Putschversuch gegen die verfassungsmäßige Ordnung in der Türkei durchführten und über 248 Zivilisten dabei ihr Leben verloren sowie 2.196 verletzt wurden, war dies für die meisten deutschen Medien kein Grund ihre Einstellung gegenüber dieser Terrororganisation zu hinterfragen.
Man stelle sich einmal vor, deutsche Kampfflugzeuge würden das deutsche Parlament, den Reichstag, bombardieren, Kampfhubschrauber wahllos das Feuer auf Zivilisten eröffnen, den Generalinspekteur der Bundeswehr und mehrere seiner Generäle würden von Putschisten festgesetzt, die Kommandozentrale der Bundeswehr und der Polizei wäre von Verschwörern besetzt, ein Fernsehsender würde eine Meldung über die Absetzung der gewählten Regierung verlesen und wichtige Flughäfen und Autobahnen wären durch Soldaten besetzt. Wie groß wäre der Aufschrei in Deutschland und im Ausland insgesamt?
Man möchte sich so etwas gar nicht vorstellen, aber genau das ist 2016 in der Türkei passiert und die Regierung von Präsident Erdoğan sowie die Menschen kämpfen noch immer mit den Folgen des Putschversuchs. In der Gesellschaft hat der bewaffnete Umsturzversuch ein kaum abschätzbares Trauma hinterlassen, über das kaum berichtet wird. In der Putschnacht haben sich die Menschen in den Städten auf Plätzen und Straßen versammelt und sich mit heldenhaftem Mut, mit ihren bloßen Händen gegen die mächtigen Panzer und gepanzerten Fahrzeuge der Verschwörer gewehrt. Unvergessen ist eine Szene, in der ein Mann sich fast schon heroisch vor einen heranrollenden Panzer stellt, von der Besatzung des Panzers aufgefordert wird zur Seite zu gehen und als dieser sich weigert, überfährt der Panzer diesen Zivilisten, der aber zum Glück unverletzt bleibt.
Die türkische Zivilgesellschaft hat am 15. Juli 2016 Geschichte geschrieben, denn sie hat sich mit Beherztheit und Tapferkeit gegen die bewaffneten Verschwörer gestellt und sich für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufopferungsvoll eingesetzt. Statt über den Kampf der türkischen Gesellschaft gegen die Putschisten vom 15. Juli zu berichten, thematisieren die meisten deutschen Medien lieber über „willkürliche Festnahmen“ oder über einen „völkerrechtswidrigen Angriff“ auf Syrien.
Im Folgenden soll eine kurze Erläuterung zur Person von Gülen und im Anschluss die Organisationsstruktur der von ihm gegründeten Vereinigung dargestellt werden. 1962 wurde in der ostanatolischen Stadt Erzurum ein „Anti-Kommunismus-Verein“ gegründet und zu den Gründungsmitgliedern des Vereins zählte auch Fetullah Gülen. Die Vereinigten Staaten unterstützten im Zuge der damaligen sowjetischen Bedrohung die Gründung solcher Vereine in denjenigen Staaten, die sich in direkter Nachbarschaft zur Sowjetunion befanden und als Außenposten betrachtet wurden. Im Jahre 1966 begann Gülen bei einer Moscheegemeinde in Izmir als einfacher Prediger zu arbeiten, wurde allerdings 1971 wegen seiner „sektiererischen Umtriebe“ gegenüber Schülern und der Gemeinde aus dem Dienst entlassen.
Trotz dieses Rückschlags, verstand es Gülen, mit seinen Freunden eine Gruppe um sich zu scharen. Vor allem Schüler bzw. Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren waren die Zielgruppe seiner Indoktrination. Seine Reden wurden damals auf Kompakt- und Videokassetten verbreitet.
Es fanden regelmäßige Gesprächsseminare und Sommercamps statt, die vor allem junge Leute ansprechen sollten. Die sogenannten Lichthäuser (Işık evleri) von Gülen galten als Indoktrinierungszentren zur Anwerbung neuer Mitglieder und wurden in der gesamten Türkei aufgebaut. Bei der Organisation von Fetullah Gülen handelt es sich um keine „religiöse Bewegung“ im eigentlichen Sinne, sondern um eine geheim operierende hierarchisch strukturierte esoterisch-kultartige Vereinigung. Zum besseren Verständnis über die Organisationsstruktur des Gülen-Netzwerks bietet das folgende Schema aus der Zeitung Milliyet einen Überblick.
In der Hierarchie steht Gülen an erster Stelle. Seine Anweisungen werden von oben nach unten weitergereicht und sind zu befolgen. Ihm direkt unterstellt sind die sogenannten „Mullahs“, ein Personenkreis, der Gülen selbst gefördert und ausgewählt hat. Der „Büroleiter“ („Özel Kalem“) arbeitet auf Veranlassung von Gülen und steht in Kontakt mit den „Imamen“, die in Austausch mit wichtigen Bürokraten sind. Diese Bürokraten sind Mitglieder des Gülen-Netzwerks, das aber den Behörden, wo diese Bürokraten arbeiten oder gearbeitet haben, nicht bekannt ist bzw. war.
Bei einem „Imam“ handelt es sich um eine Verbindungsperson, der Kontakt zu wichtigen Gülen-Mitgliedern im Staatsapparat hat. Zum besseren Verständnis: Als Bürokrat ist eine Person zu verstehen, die als Offizier oder General bei den Streitkräften, bei der Polizei als Kommissar, als Richter an einem Gericht, als Landrat oder als Gouverneur beschäftigt ist. Die „Imame“ treffen sich in regelmäßigen Zeitabständen mit den erwähnten Bürokraten und erhalten von diesen Informationen über ihren Arbeitsbereich und die Institution. Unter dem „Beratergremium“ („İstişare Heyeti“) gibt es den „Türkei-Verantwortlichen.“ Dem „Beratergremium“ angeschlossen sind die Verantwortlichen für die einzelnen Kontinente und Länder.
Das Gülen-Netzwerk ist eine global agierende Organisation, die Bildungseinrichtungen, private Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen (NGO´s) betreibt. Ferner gibt es ein „Beförderungsgremium“ (Tayin Heyeti), indem wichtige Entscheidungen zur Beauftragung oder Beförderung von „Imamen“ in den Kontinenten, wie in den einzelnen Ländern getroffen werden. Bei der Organisationsstruktur des Gülen-Netzwerks ist es von großer Bedeutung zwischen legalen und illegalen Strukturen zu differenzieren.
Legale Strukturen
Bei den legalen Strukturen sind diese nach den Bereichen Finanzsystem, Medien, Bildung, Nichtregierungsorganisationen (NGO´s) und Gesundheitswesen aufgeteilt. Nach dem Putschversuch 2016 in der Türkei durch Mitglieder der Gülen-Terrororganisation, wurden Banken, Institutionen, Medien, NGO´s etc. der Organisation durch Gerichte verboten.
Illegale Strukturen
Hier geht es um rechtswidrige Strukturen in den Städten und Gemeinden, in öffentlichen Behörden und im Privatsektor. Die Koordination erfolgte durch regionale Verantwortliche und in den Zuständigkeitsbereich fielen auch die Lichthäuser (Işık evleri), die, wie bereits dargelegt, als Indoktrinierungszentren genutzt wurden.
In seinen Schulen wird Gülen als „Religionsgelehrter mit messianischen Zügen“ beschrieben. „Seine Anhängerschaft sieht in Gülen einen Messias, der mit Gott und dem Propheten Mohammed (s.a.v.) gesprochen“ hätte. Alles, was Gülen sage, habe einen verborgenen Sinn und müsse, ohne hinterfragt zu werden, umgesetzt werden.
In der Öffentlichkeit stellte sich die Gülen-Gruppe stets als „Cemaat“ (Gemeinde), „Hizmet Hareketi“ (Dienst der Bewegung) oder auch als „Camia“ (Gemeinschaft) dar. Gülen selbst wird als „Prediger“ beschrieben, der „islamische Werte und Moralvorstellungen“ vertritt und den Ideen von Said Nursi (eigentlich Said-i Kürdi) nahestehe. Durch Spendengelder wurden Nachhilfezentren sowie Schulen im In- und Ausland eröffnet. In eben jenen Schulen rekrutierten seine Leute neue Mitglieder, quasi „Human Resources“, die später bei der systematischen Unterwanderung des türkischen Staatsapparates eingesetzt werden sollten. Das Gülen-Netzwerk unterwandert bzw. unterwanderte nicht nur den Staat, sondern auch die Gesellschaft insgesamt.
Die Infiltrierung von strategisch wichtigen Institutionen erfolgte nicht von heute auf morgen, sondern in mehreren Schritten und war unter anderem abhängig von den politischen Machverhältnissen im Land. Eine Botschaft bzw. ein Grundprinzip bei diesem Gebilde besteht darin „sich nie zu outen, bis das endgültige Ziel, die Eindringung in die Systemadern, erreicht“ sei.1 Mit Systemadern meint Gülen den Staatsapparat an sich. Das bedeutet, Gülen-Mitglieder führen oder führten in der Öffentlichkeit ein Doppelleben. Sie ließen sich nichts anmerken, verhielten sich unauffällig, kleideten sich wie die anderen Arbeitskollegen und tranken in der Öffentlichkeit oder auch zu Hause alkoholische Getränke.
Gülen pflegte stets Kontakt zu den Regierenden, wie zum Beispiel die Generäle des Militärcoups vom 1980. Unter anderem mit Unterstützung der Politik gründeten seine Unterstützer später Nachhilfezentren für Schülerinnen und Schüler. Es folgten Schulen, soziale Einrichtungen und später auch Schulen im Ausland. Doch damit nicht genug. Seine Gruppe gründete Unternehmen, Banken und publizierte Zeitungen und Zeitschriften als auch Fernsehsender. Gülen galt als Reformer, der konservative Strukturen aufbrach. Die Zeitschrift „Sızıntı“ („Infiltration“) galt als die Propaganda-Zeitschrift für Mitglieder schlechthin.
Daneben gab es auch Zeitungen wie die „Zaman“ („Die Zeit“), die täglich herausgebracht wurden. Es gab Journalisten, die der Publicity wegen gegen Honorar engagiert wurden und für Publikationen des Gülen-Netzwerks Artikel schrieben. Auch Journalisten und Dozenten aus dem Ausland publizierten Artikel oder Bücher, die die Gülen-Gruppe in einem positiven Licht erscheinen ließen. Obwohl Gülen seine wahren Absichten immer gut zu verschleiern wusste, wurden damals Details aus einem vor seiner eigenen Gefolgschaft gedrehten Video publik.
Die Generalstaatsanwaltschaft in Ankara erhob gegen Ende der 1990er Jahre Anklage gegen ihn. Unter dem Vorwand einer medizinischen Untersuchung gelang Gülen 1999 die Flucht in die Vereinigten Staaten. Schon vor dieser Zeit versuchte seine Organisation den türkischen Staat mit eigenen Mitgliedern systematisch zu unterwandern. Insbesondere bei der Polizei sowie Armee und auch in anderen Bereichen. Vor Prüfungen für Polizeianwärter wurden Gülen-Mitgliedern die Prüfungsfragen zugespielt. Dieser offensichtliche Betrug wurde nicht nur bei der Polizei, sondern auch in anderen Behörden und Einrichtungen angewandt. Mit großer krimineller Energie hat die Gülen-Organisation zwischen 2002 und 2013 systematisch die Prüfungsunterlagen der Hochschulzulassungsbehörde (ÖSYM) entwendet, damit Mitglieder der Gülen-Organisation an den Hochschulen studieren konnten.
Fast täglich gibt es Festnahmen im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen mutmaßliche Mitglieder des Gülen-Netzwerks bei den türkischen Streitkräften und anderen Einrichtungen. Die Gülen-Organisation weist von ihrem Aufbau her strukturelle Ähnlichkeiten mit anderen Terrororganisationen wie die PKK, IS, DHKP-C usw. auf. In ideologischer und struktureller Hinsicht ähnelt es der „Scientology-Organisation“, die sich in der Öffentlichkeit als „Kirche“ bezeichnet, aber nach einem Bericht des deutschen Verfassungsschutzes in der politischen Zielsetzung eine „Gesellschaft ohne allgemeine und gleiche Wahlen“ anstrebt.
Eine Gesellschaft ohne allgemeine und gleiche Wahlen anzustreben, bedeutet nichts anderes als auf ein diktatorisches System hinzuarbeiten. Ebenso agiert das Gülen-Netzwerk, das seine illegalen Aktivitäten in der Öffentlichkeit unter dem Deckmantel einer Nichtregierungsorganisation für „Inter-Religiösen-Dialog“ oder „Bildungs- oder Sozialverein“ etc. missbraucht. Es ist für die Ermittlungsbehörden nicht einfach Gülen-Mitglieder eindeutig zu identifizieren, weil diese, je nachdem wo sie eingesetzt werden, als sogenannte „Schläfer“ im Staatsapparat oder auch bei privaten Unternehmen jahrzehntelang unerkannt bleiben können und erst auf Anweisung der Verbindungsperson der Gülen-Gruppe in Erscheinung treten.
Trotzdem haben die Ermittlungsbehörden Möglichkeiten Gülen-Mitglieder zu enttarnen. Nach dem Putschversuch von 2016 wurde unter anderem bekannt, dass Gülen-Leute untereinander mit einem Messenger-Programm namens „By-Lock“ untereinander kommuniziert hatten. Aber allein das reicht für eine Festnahme eines Gülen-Mitglieds nicht aus. Um eigene Spuren zu verwischen, hatte das Netzwerk von Gülen vor dem Putschversuch Tausenden von ahnungslosen Bürgern einen Virus auf deren Smartphones gesendet, in dem das Programm „By-Lock“ enthalten war. Die türkische Polizei nahm nach dem Putschversuch aufgrund gerichtlicher Anordnung Tausende von Bürgern fest, in der Annahme, dass es sich bei den festgenommenen um Gülen-Mitglieder handelte, weil diese auf ihren Smartphones das Programm „By-Lock“ installiert hatten. Erst als Informatiker das Komplott bemerkten und dies den Gerichten als Beweis vorlegten, wurden die festgenommenen Personen wieder freigelassen.
Bei der Einstellung für Offiziersanwärter der Armee wurden beispielsweise die geheimen Prüfungsunterlagen Gülen-Mitgliedern zuvor mitgeteilt. Offiziersanwärter, die die Prüfung bestanden hatten, aber nicht der Gülen-Organisation nahestanden, wurden von Gülen-Gefolgsleuten in der Armee systematisch gemobbt, gefoltert und bedroht.
Bei der Luftwaffe wurden Kampfpiloten, die gesund waren und ihren Dienst ohne Probleme verrichten konnten, von Ärzten, die Gülen bzw. Fetö-Mitglieder waren, vom Dienst suspendiert, weil diese den Piloten ein Flugunfähigkeitsattest ausgestellt hatten. Diese Ärzte haben also den Piloten gegen ihren Willen Krankheiten attestiert, die es in Wirklichkeit überhaupt nicht gab. An Stelle dieser Piloten wurden Mitglieder der Gülen-Organisation als Piloten ausgebildet und nahmen die Aufgaben der vorherigen Kampfpiloten wahr.
Welch ein großes und gefährliches Sicherheitsrisiko die neuen Piloten waren, zeigte sich in der Putschnacht, als Gülen-Gefolgsleute mit F-16 Kampfflugzeugen das türkische Parlament in Ankara, die Zentrale von Spezialeinheiten der Polizei und Armee bombardierten sowie Kampfhubschrauber in Istanbul und Ankara wahllos auf wehrlose Zivilisten schossen sowie Ziele mit Raketen angriffen. Fetö-Mitglieder stellen und stellten für die türkische Armee ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Das Gleiche gilt auch für die Polizei, die Nachrichtendienste und andere wichtige Einrichtungen des Staates. Die Türkei ist Mitglied der NATO seit 1952 und es ist unverständlich, warum mit Haftbefehl gesuchte Verdächtige, die am Putschversuch beteiligt waren, Asyl in den westlichen Partnerstaaten erhalten.
Bei Kritik versteht die Gülen-Organisation keinen Spaß. Auf das Konto dieser Terrororganisation gehen nach Angaben des Internationalen Zentrums für Terrorismus- und Sicherheitsforschung (UTGAM) zahlreiche Morde an Journalisten und Akademikern in der Türkei. Die Forscher berichten in ihrer Studie vom Mord am Akademiker Dr. Necip Hablemitoğlu, von der Universität Ankara, der 2002 vor seinem Haus ermordet wurde. Er galt als einer der ersten Akademiker, der vor der Gefährlichkeit dieser Organisation eindringlich gewarnt hatte. Er verfasste dazu zahlreiche Schriften. Kurz vor der Fertigstellung seines Buches „Köstebek“ (Der Maulwurf), wurde Hablemitoğlu getötet. Sein nicht fertig gestelltes Buch erschien dennoch postum.
Ein weiterer Mord, bei dem die Forscher des Forschungsinstituts der türkischen Polizeiakademie das Gülen-Netzwerk dafür verantwortlich machen, ist der Journalist Haydar Meriç. Der investigative Journalist recherchierte über Gülen sowie seine Organisation und wollte darüber ein Buch publizieren. Am 31. Mai 2011 wurde Meriç als vermisst gemeldet. Sein lebloser Körper wurde am 18. Juni 2011 gefesselt im Meer gefunden.
Mord an Hrant Dink
Auch der Mord am türkisch-armenischen Publizisten Hrant Dink geht nach Ansicht der Wissenschaftler auf das Konto dieser Terrororganisation. Diese Aussage wird auch vom Journalisten Nedim Şener bestätigt, der monatelang über den Mord an Hrant Dink recherchierte und anschließend darüber ein Buch geschrieben hat.
Nach Meinung von Şener handelt es sich bei Fetö (Fetullahistische Terrororganisation) sowohl um einen Nachrichtendienst als auch eine Terrororganisation. Das Buch schlug nach der Veröffentlichung 2011 hohe Wellen, denn Şener hatte darin das Mordkomplott gegen Dink aufgedeckt. Der Journalist wurde nach Erscheinen seines Buches festgenommen und saß 375 Tage unschuldig im Gefängnis.
Für seine Verhaftung war das Gülen-Netzwerk verantwortlich, das über seine „Bürokraten“ wie Staatsanwälte, Richter und Gefolgsleuten bei der Polizei eine derartige Aktion durchführen konnte. Auch die Redakteure der Online-Nachrichtenplattform Odatv gerieten durch ihre Berichterstattung über das Netzwerk ins Visier der Gülen-Organisation. Die Journalisten Soner Yalçın, Doğan Yurdakul, Ahmet Şık, Mümtaz İdil, Ayhan Bozkurt, Barış Pehlivan sowie Barış Terkoğlu saßen jahrelang im Gefängnis, weil sie kritisch über die Gülen-Organisation berichtet hatten.
Die Sicherheits- und Justizbehörden in der Türkei haben nach dem Putschversuch von 2016 durch viele Festnahmen und Verurteilungen von wichtigen Gülen-Mitgliedern im In- und Ausland die Handlungsfähigkeit der Terrororganisation deutlich geschwächt, aber es gibt noch immer viele nicht enttarnte Angehörige, die bei den staatlichen Behörden, bei der Armee und Polizei, in der Privatwirtschaft, in den Medien, bei den politischen Parteien sowie in den Nichtregierungsorganisationen (NGO) tätig sind.
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