Start Politik Ausland Militäroffensive in Syrien Erdogan: Adana-Abkommen von 1998 erlaubt Offensive in Syrien

Militäroffensive in Syrien
Erdogan: Adana-Abkommen von 1998 erlaubt Offensive in Syrien

Die USA und EU bezeichneten den Einmarsch der Türkei in Nordsyrien völkerrechtswidrig und als Invasion. Ankara wurde aufgefordert die türkischen Streitkräfte abzuziehen. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat am Mittwoch erneut - wie zuvor auch sein russischer Amtskollege Wladimir Putin - auf das Adana-Abkommen zwischen Ankara und Damaskus hingewiesen. Dieses Abkommen erlaube der Türkei eine Intervention in Syrien.

(Archivfoto: AA)
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Das Abkommen von Adana

Von Nabi Yücel

In Europa und in den USA wird die Militäroperation „Friedensquelle“ als völkerrechtswidrige Handlung betrachtet. Politiker fordern den sofortigen Stop der militärischen Intervention. Der türkische Präsident Erdogan hat erneut darauf hingewiesen, dass die türkische Armee nicht weichen wird und beruft sich dabei auf das Adana-Abkommen.

Die Türkei befindet sich seit Anfang des Jahres im Sicherheitsmodus und beruft sich dabei einerseits auf die UN-Konvention Art. 51 sowie auf das Adana-Abkommen. Das bedeutet, dass die Türkei ihre Staatsdoktrin „Ya Istiklal, ya ölüm! – Entweder Unabhängigkeit oder Tod!“ anwendet, ein Zitat die Atatürk zu Beginn des Befreiungskrieges in Sivas vor der neugegründeten Nationalversammlung erklärte. Am Mittwoch wiederholte der türkische Präsident Erdogan dieses Zitat und unterstrich damit, dass die Militäroperation in Nordsyrien keineswegs beendet wird, bis die Gefahr beseitigt ist.

Der erneute heftige Deutungsstreit in Europa und in den USA um die Militärintervention der Türkei in Zusammenhang mit der Militäroperation „Friedensquelle“ in Nordsyrien will nicht abreißen. Erst Anfang des Jahres, während des Treffens zwischen Erdogan und seinem russischen Amtskollegen Putin, hatte der russische Präsident das Abkommen von Adana angesprochen und der Türkei insofern nach geltenden internationalen Verträgen zur letzten Operation in Afrin, die zwischen Januar 2018 und März 2018 durchgeführt wurde, Recht gegeben. Wie jetzt auch, hatte schon damals das syrische wie russische Außenministerium die türkische Intervention auf syrischem Territorium verurteilt. Die Türkei ließ sich damals davon nicht beeindrucken.

Die Türkei hat bislang mehrmals in Syrien interverniert. Mit der militärischen Operation „Schutzschild Euphrat“ begann die Intervention im syrischen Bürgerkrieg, die nun mehr seit acht Jahren andauert. Lange zuvor hatte die Türkei mit einer diplomatische Intervention, die mit Androhung einer militärischen Operation einherging, den damals syrischen Machthaber Hafiz al-Assad gezwungen, den Forderungen nachzugeben. Die Türkei erreichte 1998, dass der Vater des heutigen Regimemachthabers Baschar al-Assad das Abkommen von Adana unterzeichnete.

Die Folge war, dass der damalige syrische Machthaber die Führungsebene der Terrororganisation PKK, die über Syrien Terroranschläge in der Türkei koordinierte, aus dem Land herauswerfen musste. Zudem ließ Hafiz al-Assad unter den Argus-Augen der Türkei, Terroristen verhaften und vor Gericht bringen, die mit Attentaten in der Türkei in Verbindung gebracht wurden.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wird seit der „Operation Olivenzweig“ nicht müde, die gegenwärtige Operation mit einem bilateralen Abkommen aus dem Jahr 1998 zu verteidigen. Dieses erlaubt auch nach Ansicht des ehemaligen türkischen Diplomaten und CHP-Abgeordneten Onur Öymen der Türkei, syrisches Territorium bei einer bestehenden Bedrohung für die Türkei, militärisch zu intervenieren.

(Screenshot/Milliyet/1998)

Nicht nur Öymen sprach in diesem Zusammenhang von einer „Staatsdoktrin“, die die Türkei bis zum äußersten Treiben würde, auch viele europäischen Politiker und Regierungsvertreter, haben inzwischen verstanden, dass die Türkei an dieser Doktrin, eine Terrororganisation an seinen Landesgrenzen nicht zu dulden, festhalten wird. Es spielt insofern auch keine Rolle, wer derzeit die Regierungsspitze anführt.

Wenn die türkischen Sicherheitsinteressen auf syrischen Territorium mit einer von den USA unterstützten sogenannten autonomischen Behörde mit einer Terrororganisation angegriffen werden, schaltet sich das Selbstverteidigungsmodus ein. Das war den USA bewusst, als sie die Terrororganisation YPG kurz nach Beginn des syrischen Bürgerkrieges in „Syrischen Demokratischen Kräfte“ umbenannten. Wenn die USA, die NATO oder Europa diese Interessen der Türkei ernster genommen hätten, gebe es diese Militäroperationen nicht.

Im europäischen Gemengelage ist diese verständliche Reaktion der Türkei also auf das Chaos im Zuge einer territorialen Neuordnung Syriens zurückzuführen.

Wladimir Putin:

„Bis heute gilt das Abkommen zwischen Syrien und der Türkei aus dem Jahr 1998, in dem es gerade um den Kampf gegen den Terror geht“, so Putin. „Ich glaube, das ist eine Grundlage, die sehr viele Fragen hinsichtlich der Gewährleistung der eigenen Sicherheit durch die Türkei an ihren Südgrenzen deckt.“

Das Abkommen von Adana vom 20. Oktober 1998 zwischen der Türkei und Syrien regelt die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Terrorismus. Der Vertrag wurde aufgrund der damaligen Terrorbedrohung durch die PKK, die über Syrien in die Türkei sickerten, unterzeichnet und am 21. Dezember 2010 in 23 Punkten erneuert und um die Terrororganisation Kongra-Gel, erweitert.

Syrien hatte in diesem ersten Abkommen der Türkei zugesichert:

  • Abdullah Öcalan und Mitglieder sowie Funktionäre der PKK nicht im Land zu beherbergen.
  • Mitglieder oder Funktionäre die mit Verbrechen beschuldigt werden, der Justiz zu überführen.
  • Der PKK nicht mehr zu gestatten, gegen die Türkei zu agitieren.
  • Die PKK als Terrororganisation einzustufen.

Laut Onur Öymen hat sich Syrien verpflichtet, den Terrorismus im Land, vor allem in Nordsyrien zu bekämpfen bzw. bei Bedarf Unterstützung anzufordern. Die wichtigste Bestimmung in diesem Abkommen beruft sich dabei auf die Wahrung der Unabhängigkeit und Souveränität sowie territorialen Integrität Syriens.

Öymen zufolge habe Putin das Abkommen angesprochen, um Ankara davon zu überzeugen, sich mit Damaskus wieder an den Tisch zu setzen und eine Verständigung sowie eine einvernehmliche Lösung zu finden. 1998 habe sich Damaskus mit Ankara auf diplomatischem Wege verständigt und zugesichert, den PKK-Terrorismus, der aus Nordsyrien in die Türkei hineingetragen wurde, abzustellen. Ferner habe Damaskus der Forderung zugestimmt, den PKK-Führer Abdullah Öcalan aus dem Land zu verweisen, was auch danach geschehen sei.

Derzeit seien laut Öymen 33 Prozent des nordsyrischen Territoriums noch immer unter der Kontrolle der Partei der Demokratischen Union (PYD, einem syrischen Ableger der PKK) sowie des syrischen Regimes. Erstere sei völkerrechtswidrig auf diesem Territorium und verstoße somit gegen das Adana-Abkommen. Jedoch betont Öymen weiter, müsse das Abkommen zuerst unter dem Aspekt der friedlichen Beilegung durchgesetzt werden, ehe man auf militärische Intervention zurückgreife. Es gebe hierzu mehrere Möglichkeiten, einen friedlichen Weg zu finden, das syrische Regime davon zu überzeugen, die Kontrolle über Nordsyrien nicht der PYD zu überlassen.

Ob dieser Weg von Ankara gegangen worden sei, um dann fruchtlos die Möglichkeit der militärischen Intervention in Erwägung zu ziehen, entziehe sich seiner Kenntnis. Es habe aber 1998 gezeigt, dass der diplomatische Weg damals gefruchtet habe.

Die Bundesregierung hält sich mit einer völkerrechtlichen Einordnung der türkischen Kampfeinsätze in Syrien bislang zurück. Eine Expertise des Bundestags zu „Operation Olivenzweig“ hingegen besagt, dass die Türkei im „Lichte betrachtet“ völkerrechtswidrig in Nordsyrien vorgegangen ist. Das wissenschaftliche Gutachten wurde von der Linksfraktion an den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags in Auftrag gegeben.

Der Weg zum Adana-Abkommen

Die damalige Regierung unter Ministerpräsident Mesut Yilmaz (Mutterlandspartei) sowie Staatspräsident Süleyman Demirel (Gerechtigkeitspartei) hatte in einem Treffen des Nationalen Sicherheitsrat am 24. Juli 1998 festgestellt, dass der Terrorismus der PKK aus Syrien entfacht werde.

Am 16. September 1998 erklärte der damalige Heeresgeneral Atilla Ateş in Hatay, dass die Geduld gegenüber Syrien nicht endlos sei, dass die Erwartungen gegenüber Damaskus bislang nicht erfüllt worden seien und sie mit einer militärischen Intervention rechnen müsse. Ateş erklärte des Weiteren, dass das ein Kriegsgrund sei.

Ende September 1998 kam der Nationale Sicherheitsrat erneut zusammen, um Damaskus vor einer militärischen Intervention zu warnen. Man dürfe die Entschiedenheit der Türkei nicht auf die Probe stellen.

Unter Vermittlung des ehemaligen Präsident Ägyptens Husni Mubarak begangen die Verhandlung zwischen Ankara und Damaskus in Adana. Am 20. Oktober 1998 wurde das Abkommen von Ankara dann ratifiziert.

Konsequenzen nach dem Abkommen

Am 9. Oktober 1998 flüchtete der Führer der Terrororganisation PKK, Abdullah Öcalan, aus Syrien, versuchte während der Flucht erst in Zypern, dann in Griechenland und Russland Asyl zu bekommen. Am 12. November reiste Öcalan in Begleitung eines italienischen Abgeordneten aus Moskau weiter nach Italien, wo er aufgrund eines deutschen Haftbefehls festgenommen wurde. Nachdem die Bundesregierung am 23. November aber erklärt hatte, dass auf ein Auslieferungsgesuch verzichtet wird, wurde Öcalan im Dezember 1998 aus dem Hausarrest entlassen. Versuche Öcalans, in Europa politisches Asyl und Unterstützung für eine politische Lösung zu erhalten, schlugen fehl. Im Januar 1999 verließ der PKK-Führer Rom.

Am 15. Februar 1999 wurde Öcalan in Kenia nach dem Verlassen der griechischen Botschaft vom türkischen Geheimdienst aufgegriffen und in die Türkei gebracht. Er trug einen zyprischen Pass bei sich, der auf den Namen „Lazaros Mavros“ ausgestellt war.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.