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Kommentar: Wieso müssen wir unbedingt die ethnische Herkunft von Tatverdächtigen erfahren?

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat angekündigt, die Nationalität von Tatverdächtigen grundsätzlich öffentlich machen zu wollen. Reul sieht dies als Beitrag zur Transparenz. Fachleute halten dagegen wenig davon. Politologe Yasin Bas kommentiert für NEX24.

(Symbolfoto: nex24)
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Wie reaktionär ist die Nennung der Nationalität von Straftätern?

Von Yasin Baş

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat angekündigt, die Nationalität von Tatverdächtigen grundsätzlich öffentlich machen zu wollen. Reul sieht dies als Beitrag zur Transparenz. Fachleute halten dagegen wenig davon. Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, hält einen grundsätzlichen Hinweis der Nationalität bei Tatverdächtigen nicht für geeignet. Auch der Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat (BZI) spricht sich gegen die Pläne aus.

Wieso eigentlich müssen wir unbedingt die ethnische Herkunft von Tatverdächtigen erfahren? Können wir nicht anders als in biologisch-antropologischen „Rassekategorien“ denken? Die soziale, politische, wirtschaftliche Herkunft ist kaum der Rede wert. Warum?

Das Themenfeld Einwanderung, Ausländer und Kriminalität gehört traditionell zu den politischen und ideologischen Minenfeldern des gesellschaftlichen Diskurses. Es polarisiert, kann leicht missbraucht werden und eignet sich wie kaum ein anderes zur politischen Verunsicherung der Bevölkerung“, sagt der Wissenschaftler Frank Gesemann in der wissenschaftlichen Publikation „Berliner Forum Gewaltprävention“ und legt den Finger in eine Wunde, die in bestimmten Zeitabständen immer wieder auseinander klafft.

Es geht um soziale Herkunft

Medien und Politiker/innen betonen des Öfteren, dass Kriminalität und Gewalt unter Migranten ein weitaus größeres Problem sei als unter autochtonen Deutschstämmigen. In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass die Startbedingungen sowie Entwicklungschancen von Menschen ganz unterschiedlich sind.

Etwas Wesentliches muss hier angefügt werden: Es geht in der Diskussion nicht um ethnische Kategorien wie „Migrant“ (Nordafrikaner, Araber, Chinese, Russe etc.) und „Nichtmigrant (Deutscher, Bayer, Thüringer)“. Es geht vielmehr um die Kategorie der „sozialen Herkunft“, der Schicht- und Milieuzugehörigkeit sowie der Bildung und Ausbildung. Wenn es demnach beispielsweise ein Gewaltproblem unter Jugendlichen geben sollte, dann beträfe das in gleicher Weise auch deutsche Jugendliche aus einkommensschwachen Gruppen. Zumindest müsste diese Hypothese erforscht werden. Ähnliches müsste für Sexual- und Raubdelikte gelten. Aus diesem Grunde verzichten immer mehr Fachleute und Wissenschaftler in ihren Berichten die Zahlen zu verurteilten Deutschen und Nichtdeutschen zu bewerten. Damit handeln sie vorbildlich und meiden es, „Äpfel mit Birnen zu vergleichen“.

Gegenüberzustellen wären höchstens die Zahlen der begangenen Gewalttaten von Deutschstämmigen aus sozial deklassierten Familien mit denen der Einwanderer aus demselben Milieu. Man wird verblüfft sein, wie sehr sich die Zahlen in „schichtspezifischen Delikten“ ähneln. Dr. Christian Walburg vom Institut für Kriminalwissenschaften der Universität Münster, warnt eindringlich vor den oben genannten ethnischen Kategorisierungen und einer Ausblendung der Heterogenität/Sozialstruktur der Täter im Hinblick auf Kriminalität.

Gleiche Gruppen vergleichen

Auch der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration und Integration sprach bereits in seinem Jahresgutachten 2010 davon, dass Ausländer an Gewalttaten wie Mord und Totschlag, Raubdelikten oder gefährlichen und schweren Körperverletzungen überproportional häufig beteiligt seien und Gewaltdelikte überproportional häufig von Menschen mit Einwanderungsgeschichte verübt würden, relativierte diese Aussage aber durch folgende Passage: „Um die Kriminalitätswerte realistisch einschätzen zu können, müssten somit repräsentative Gruppen von Deutschen und Ausländern verglichen werden, die nach sozialen und demografischen Faktoren identisch sind.“ Das sei aber derzeit anhand der Datenlage – auch des Bundeskriminalamts (BKA) – gar nicht möglich.

Bessere Integration und Bildung senkt die Gewaltbereitschaft

Auch das Maß der Integration spielt eine wichtige Rolle. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) schreibt in ihrem Forschungsbericht 107: „Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt“, dass türkische, arabische und nordafrikanisch-arabische Migrantengruppen durchschnittlich schlechter integriert und gebildet seien. Und da der Stand der Integration und Bildung mit dem Gewaltverhalten in Beziehung stehe, ergeben sich für diese Gruppen erhöhte Gewaltraten. Daher kommen die Autoren der Studie zu folgendem Schluss: Eine bessere Integration und Bildung senkt die Gewaltbereitschaft.

Der Faktor „Bildung“ verdient daher eine genauere Betrachtung. So kommt das KFN zu dem Ergebnis, dass die Jugendkriminalität in Deutschland in den letzten zehn Jahren, insbesondere bei Migranten gesunken sei. „Die Kriminalitätsprävention läuft erfolgreich“, sagt Christian Pfeiffer, ehemaliger Direktor der Forschungsstelle. „Es gibt keinen Anlass, die Gewaltbereitschaft der Migranten als zentrales Problem zu benennen.“ Mit besseren Bildungschancen gehe die Kriminalität von alleine zurück. Pfeiffer betont in diesem Zusammenhang: „Nur ein kleiner Prozentsatz der Migranten ist gewalttätig.“

Wichtige Strategie gegen Kriminalität: Präventionsprojekte

Der Wissenschaftler gibt Beispiele für die Stadt Hannover: Hier sei es gelungen, die Mehrfachtäter unter jungen Türken innerhalb von acht Jahren von 15 auf sieben Prozent zu verringern. Dazu hätten zahlreiche Projekte wie beispielsweise kostenlose Nachhilfe oder Mentoring-Projekte beigetragen, wo sich freiwillige Mentoren bereiterklärten, sich um eine hilfssuchende Person (Mentee) zu kümmern.

Durch den Erfahrungsaustausch und den Wissenstransfer mit dem Mentor entwickelt sich zwischen beiden eine vertraute Partnerschaft. Dies stärkt das Selbstbewusstsein des Schützlings und fördert zugleich seine Eingliederung in die Gesellschaft. Das KFN empfiehlt in ihrem Forschungsbericht 109: „Kinder und Jugendliche in Deutschland: Gewalterfahrungen, Integration, Medienkonsum“ des Weiteren die Teilnahme an Gewaltpräventionsmaßnahmen, Kompetenz- und Konfliktlösetrainings sowie Projekte, die Gespräche als Arbeitsmethode gebrauchen.

Prof. Dr. Horst Entorf und Philip Sieger weisen in ihrer Studie für die Bertelsmann Stiftung: „Unzureichende Bildung: Folgekosten durch Kriminalität“ darauf hin, dass die beste Prävention gegenüber kriminellem Verhalten die Erhöhung der Bildungschancen der Jugendlichen sei.

Der Haken

Die Kriminalitätsstatistiken haben aber per se einen „Haken“. Die Aussagekraft der polizeilichen Kriminalstatistik wird vom KFN relativiert: „Die Anzeigebereitschaft der jugendlichen Opfer von Gewalttaten hängt erheblich von der ethnischen Zugehörigkeit der Täter ab.“ Migranten hätten als Täter ein weit höheres Risiko, sich mit ihren Taten vor Gericht verantworten zu müssen als junge Deutsche. „Sie sind dadurch in allen Bereichen und Statistiken der Strafverfolgung deutlich überrepräsentiert.“ Daher könnte man sagen, je unbekannter sich Opfer und Täter zum Beispiel in Sprache oder Herkunft sind, desto größer ist die Tatkraft, dies anzuzeigen.

Zur Verzerrung der Kriminalstatistik führt auch die Tatsache, dass Menschen auf der Durchreise, Touristen, Illegale, Besatzungssoldaten/ausländische Angehörige der Streitkräfte usw. als ausländische Straftäter in der Statistik erwähnt werden. Außerdem können bestimmte Delikte, wie Verstöße gegen Aufenthaltsbestimmungen, Asylverfahren oder Visafälschungen nur von Ausländern begangen werden („ausländerspezifische Straftaten“). Deutsche Staatsbürger können gar nicht gegen Aufenthaltsregelungen, Asyl- und Ausländerrecht verstoßen, weil sie Deutsche sind.

Diese verschiedenen Faktoren sollten bei Diskussionen um Kriminalität bei Migranten nicht außer Acht gelassen werden. Denn das Thema lässt sich zu leicht von rechtsradikalen und neo-rassistischen Gruppierungen und anderen „law-and-order-Populisten“ missbrauchen. Dem kann man entgegenwirken, indem man wie das NRW-Justizministerium 2011 vorsorglich darauf hinwies, dass die Staatsbürgerschaft sich als solche nicht als Kriminalitätsfaktor eigne. „Relevanter wäre ein Vergleich des sozialen Status“, so das Ministerium. Erneut sorgt NRW mit einem Vorstoß in diesem Feld für Furore. Diesmal geht es aber in eine andere Richtung. Und die ist eher reaktionär.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


Yasin Baş ist Politologe, Historiker, Autor und freier Journalist. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?” sowie „nach-richten: Muslime in den Medien”.