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Kommentar: Türkei könnte Frieden zwischen muslimischen Staaten schaffen

Erdogan hatte seit dem Anfang seiner Amtszeit eine Aussöhnung mit dem historischen Feind Iran gesucht, er sprang selbst einem Ahmadineschād bei. Die Syrienkrise hatte den Iran und die Türkei in zwei verschiedene Lager gedrängt, doch inzwischen ist Moskau und damit auch der Iran der Ansprechpartner Ankaras. Die Türkei hat auch unmissverständlich klargemacht, dass sie sich nicht an die Sanktionen der USA gegen den Iran halten werde.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (l) und sein iranischer Amtskollege Hassan Rohani (Archivfoto: AA)
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Von Prof. Dr. Hans-Christian Günther

In den deutschen Medien, wo man fast den Eindruck hat, die Probleme der Türkei seien wichtiger als die Deutschlands, stehen seit langem der Wertverfall der türkischen Lira und die damit verbundenen wirtschaftlichen Probleme der Türkei im Mittelpunkt der Berichterstattung.

Ebenso die angeblichen Versuche des – zum Glück – jetzt pleite gegangenen „Diktators“ Erdogan, sich wieder dem Westen, besonders Deutschland anzunähern, und um „Geld zu betteln“. Mit dieser von US-Sanktionen provozierten Krise weist die Situation in der Türkei starke Parallelen mit der Situation des Iran nach dem Bruch des Atomabkommens durch die USA auf.

Nur ist die Situation im Iran gewiss weit dramatischer. Verlor die türkische Lira in diesem Jahr ungefähr die Hälfte ihres Wertes gegenüber dem Dollar, so verlor der Rial ungefähr 2/3. Vor allem aber war die Wirtschaft des Iran durch den kontinuierlichen Terror der USA gegen das Land dringend auf die Aufhebung der Sanktionen angewiesen, um diese marode Wirtschaft überhaupt zu sanieren.

Eine verheerende Dürre über den Sommer kam dazu, die so gravierend war, dass die Wasserversorgung in einigen Landesteilen nicht mehr ausreichend war. Es kommt auch hinzu, dass – im Gegensatz zur Türkei – in der iranischen Bevölkerung der Unmut wächst, und diese starke Tendenz natürlich durch von den Feinden des Iran bezahlten Provokateuren angeheizt wird. Der Unmut ist leicht zu verstehen: im Iran ist die wirtschaftliche Misere so groß geworden, dass es für viele Iraner schwer geworden ist, den Alltag zu bewältigen, manche gar ins soziale Abseits abdriften, für die armen Bevölkerungsschichten werden bereits Essensrationen vom Staat bereitgestellt.

Dass dies zu starker Unzufriedenheit führen muss, ist offenkundig. Man muss sich auch daran erinnern, dass die iranische Revolution auch mehr soziale Gerechtigkeit und ein besseres Leben für die niederen Bevölkerungsschichten versprochen hatte. Wenn man freilich erst mit Krieg und dann mit Sanktionen überzogen wird, kann keine Regierung dieses Versprechen einlösen.

Der Iran ist im Grunde genommen von 1979 bis heute im Ausnahmezustand, und heute mehr denn je. Inzwischen hat sogar der ehemalige Regierungschef des Iran, Khatami, vor einer Revolution oder Militärregierung gewarnt und dazu aufgerufen, aus dem Engpass der das Land lähmenden Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Machtträgern herauszufinden; es stünden dem Iran durchaus Wege zur Lösung seiner Probleme offen.

Das Ziel der USA, einen Regimechange zu erzwingen, ist bezüglich des Iran klar, im Falle der Türkei kann man zwar so etwas nicht offen aussprechen, doch macht der gescheiterte Putschversuch, ja im Grunde genommen schon die systematische Dämonisierung Erdogans im Westen es überdeutlich: auch er steht auf der Abschussliste und mit ihm die Türkei.

Erdogan hatte seit dem Anfang seiner Amtszeit eine Aussöhnung mit dem historischen Feind Iran gesucht, er sprang selbst einem Ahmadineschād bei. Die Syrienkrise hatte den Iran und die Türkei in zwei verschiedene Lager gedrängt, doch inzwischen ist Moskau und damit auch der Iran der Ansprechpartner Ankaras. Die Türkei hat auch unmissverständlich klargemacht, dass sie sich nicht an die Sanktionen der USA gegen den Iran halten werde.

Auch in dem Versuch, die Wirtschaftskrise zu stoppen, sind die Grundlinien der Politik Ankaras und Teherans durchaus ähnlich: Kompromiss und Dialog mit jedem, der dazu bereit ist, ja, Ausverkauf und Aufgabe der nationalen Souveränität nein. Inzwischen sucht der Iran sogar offen die Allianz mit dem Erzfeind und Konkurrenten um die Vormachtstellung in der Region, Saudi Arabien.

Anlass zu der jüngsten Charmoffensive war eine Rede Trumps, die gewiss zu den absurdesten Entgleisungen amerikanischen Staatspräsidenten gehört: er verlangte von Saudi Arabien Bezahlung von Militärausgaben (eines seiner Lieblingsthemen) mit der Begründung, Saudi Arabien könne ohne US-Unterstützung keine 2 Tage überleben, und er richtete diese Forderung direkt an den saudischen König Salman, indem er ihn mit ,,Hey, king“ apostrophierte.

Der iranische Außenminister Zarif nahm das zum Anlass, Saudi Arabien daran zu mahnen, dass Einmischung von fremden Mächten in der Region keine Stabilität bringen könne auf der Basis von Respekt für den anderen, und er hat eine Zusammenarbeit in der Region angeboten, in der das Land nicht mehr unverschämten Beleidigungen arroganter Mächte außerhalb der Region ausgesetzt wäre.

An sich ist das nichts ganz Neues. Zarif hatte schon in der ersten Jahreshälfte geäußert, es sei unrealistisch, dass der Iran oder Saudi Arabien alleine die Region dominieren, man müsse sich auf einen Kompromiss einigen. Er hat Saudi Arabian sogar eine Sicherheitspartnerschaft angeboten, in der der Iran Saudi Arabien im Falle fremder Aggression zu Hilfe kommen würde.

Auch Vermittlung etwa Omans im Streit mit den USA werde man durchaus akzeptieren, falls es zu ernsthaften Verhandlungen und nicht bloß zu Betrug und Zeitverschwendung führe. Der Iran zeigt sich und hat sich in der Vergangenheit immer kompromissbereit gezeigt und für Frieden und Stabilität eingesetzt. Ein Reapprochement aller mächtigen muslimischen Staaten der Region wäre in der Tat ein Durchbruch, ein Schlüsselereignis für die muslimische Welt: Kooperation statt Spaltung und gegenseitiges Morden auf Befehl der gemeinsamen Feinde.

Dass die Interessen und Animositäten unter den muslimischen Akteuren der Region so unübersichtlich sind, könnte, sofern man nüchtern und kühl die eigenen Interessen betrachtet, sogar hilfreich sein. Klare Fronten gibt es nicht: der schiitische Iran – Irak (schon da gibt es Reibereien) – Syrien – Hisbollah. Die sunnitische Achse ist gespalten in Saudi Arabien, UAE, Ägypten und die Muslimbruderschaft, die Saudi Arabien wie der Teufel das Weihwasser fürchten.

Die Türkei hat wie Qatar Sympathie für letztere, hat sich jedoch mit Iran und Russland weitgehend geeinigt. Im Streit Qatars mit den Saudis und den UAE ist sie Qatar beigesprungen, doch der Versuch, der Saudis Qatar unter ihre Knute zu zwingen, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

In Syrien standen zunächst die Türkei und die Saudis auf derselben Seite. Die Überlappungen der nationalen Interessen sind, recht betrachtet, weit größer als die Divergenzen. Niemand will einen Kurdenstaat: am wenigsten der Iran oder Assad, und das ist das vordringliche Interesse der Türkei. Die Türkei und der Iran brauchen Stabilität und Sicherheit, um sich wirtschaftlich zu entwickeln, die Türkei noch dazu, um ein kostspieliges, blutiges und ihre innere Sicherheit bedrohendes Separatistenproblem zu lösen.

Syrien braucht den friedlichen Wiederaufbau. Saudi Arabien muss sich auf lange Frist wirtschaftlich umorientieren, um seine Macht zu behalten. Das saudische Militär hat zwar eine hochmoderne Ausrüstung, aber keine Soldaten und Offiziere, die sie bedienen können: ohne westliche Hilfe wären die Saudis noch nicht einmal in der Lage, den Jemen zu beschießen. Die Rebellen zu besiegen, sind sie auch mit dieser Hilfe nicht imstande. Zudem müssen sie die das Land destabilisierende Macht der Muslimbrüder fürchten.

Die „wild cards“ sind natürlich Israel und der unübersichtliche interne Streit im saudischen Königshaus. Trotzdem oder gerade deswegen ist es so wichtig, jetzt auf Vernunft und Nüchternheit zu setzen. Die Türkei ist unter all diesen Parteien das Land, das zu allen Parteien einen direkten Draht hat. Die Türkei kann, wenn sie will, hier eine Schlüsselrolle einnehmen, den Kompromiss und ein friedliches Miteinander aller muslimischer Staaten der Region zu fördern.

Der richtige Zeitpunkt dafür ist jetzt. Hat dieses Projekt Erfolg, dann wäre die jetzige Krise, in der alle Parteien stecken, letzten Endes für alle in einen Stimulus zu der Einsicht verwandelt: die muslimischen Staaten müssen sich zusammentun und nicht von fremdem Interessen spalten lassen. Dies würde den Frieden und die Stabilität in der Region fördern, und das ist nicht nur im Interesse der Muslime, es ist im Interesse aller Verständigen, weltweit, gerade auch Russlands.

Erdogan hat mit Ildib sein Verhandlungsgeschick bewiesen. Wenn er auch im Interesse einer größeren Vision für die Region seine Autorität und sein Geschick einbringt, könnte er einen Erfolg einfahren, der größer ist als alles, was er bisher geleistet hat.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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Prof. Dr. Hans-Christian Günther

Lebenslauf

Geb. am 28.4.1957 in Müllheim / Baden

Professor für klassische Philologie an der Albert-Ludwigs-Universität. Zahlreiche Publikationen und Gastprofessoren. Lange Aufenthalte in der VR China. Im Bereich der Altertumswissenschaft besonderer Schwerpunkt auf der politischen Dichtung der Augusteer und allgemein der Reflexion antiker Autoren auf ihre gesellschaftliche Stellung und Verantwortung

Seit 2004 Tätigkeit im Bereich des Dialogs der Religionen und Kulturen mit zahlreichen Veröffentlichungen.