Köln (nex) – Am Sonntagnachmittag haben deutschlandweit Tausende PKK-Sympathisanten gegen den von Erdogan initiierten Demokratisierungsprozess in der Türkei demonstriert.
Es war vorauszusehen, dass Erdogans „Çözüm süreci“ (Lösungsprozess) ein schwieriges Unterfangen sein würde, als er dieses Friedensprojekt während einer Rede in Diyarbakir im Jahre 2005 zum ersten Mal erwähnte und 2009, damals noch Premierminister der Türkei, mit der Gefahr, Stimmen aus dem rechten Rand der AKP-Wähler zu verlieren, in Gang setzte.
Durch den „Açılım“ (Öffnungs)-Prozess sollte die Türkei offener und demokratischer werden. Erdogan sprach von „gläsernen Polizeiwachen“, wo etwa Folter, die in den von deutschen Medien und Politikern „demokratisch“ genannten Vorgängerregierungen der Türkei bei Befragungen zur Tagesordnung gehörte, abgeschafft werden sollte.
Minderheiten sollten zu ihren Rechten kommen. Nicht nur Kurden, auch Aleviten, Christen, Juden ebenso wie die Anatolier sollten in diesen Demokratisierungs- und Öffnungsprozess mit eingebunden werden. Zwischen 80 und 90 Prozent aller in der Türkei errichteten „Cemhäuser“ (cemevi= alevitisches Versammlungs- und Gotteshaus) wurden in den vergangenen 13 Jahren erbaut.
Das Direktorat für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet; DİB) soll künftig auch die Kosten für die Wasser- und Stromversorgung der alevitischen Gebetshäuser übernehmen. Darüber hinaus werden die Geistlichen der Aleviten, die so genannten „Dedes“, ihr Gehalt einem geplanten neuen Gesetzespaket zufolge künftig, so wie die Imame der Moscheen auch, von der Regierung bezahlt bekommen.
Cemhäuser sollen offiziell als Gottesdienststätten anerkannt werden und es soll eine Einrichtung namens „Zentren und Cemhäuser Traditioneller Weisheit“ geschaffen werden, deren Aufgabe es sein soll, den Betrieb von Cemhäusern zu regulieren.
Wie Vize-Premierminister Elvan jüngst mitteilte, arbeite die Regierung derzeit auch an einer Roadmap, um Methoden zu entwickeln, die helfen sollen, Probleme in der alevitischen Gemeinschaft zu erkennen und zu lösen. Erstmals wurden auch Publikationen von alevitischen Klassikern veranlasst.
Erster Roma-TV-Sender
Auch für die Gemeinschaft der türkischen Roma hat die AKP-Regierung eine Reihe von Reformen vorgesehen. Ahmet Davutoglu hat den aus der Roma-Community stammenden türkischen Staatsbürger Metin Özceri als Berater engagiert, dessen Aufgabe in der Schaffung einer ständigen Schnittstelle zwischen Regierung und Roma-Gemeinschaft bestehen soll.
Vor einigen Monaten hat auch der erste Roma-TV-Sender seinen Sendebetrieb aufgenommen, der das Ziel verfolgt, Vorurteilen gegen die Gemeinschaft gegenzusteuern. Außerdem soll unter dem Dach des Ministeriums für Familie und Soziales ein Generaldirektorat gegründet werden, die als Anlaufstelle für die Bürger aus der Roma-Community bei Problemen, Anliegen etc. dienen soll.
Die Roma werden so eine direkt ansprechbare Behörde für ihre Angelegenheiten bekommen. Um öffentliche Dienstleistungen für die Roma besser zugänglich zu machen, soll auch unter der Federführung des Direktorats für Auslandstürken und verwandte Communities eine eigene Institution geschaffen werden.
Erdogan: Erster Träger des „Großen Roma-Preises“
Die in der Zeit des Nationalsozialismus in Europa zu Hunderttausenden ermordeten Roma erleben auch heute noch in den meisten Ländern der EU Diskriminierung und Ausgrenzung. Lediglich in Österreich sind sie als gleichberechtigte Volksgruppe anerkannt.
In der Türkei hat sich Präsident Recep Tayyip Erdogan, der in einem Viertel aufgewachsen war, in dem auch zahlreiche Roma lebten, stets für eine Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Roma eingesetzt und ist deshalb am 6. Februar von der „Türkischen Roma Konföderation“ als erster Preisträger mit dem „Großen Roma-Preis“ ausgezeichnet worden.
Der türkische Staatspräsident hat in seiner Amtszeit als Ministerpräsident viele Maßnahmen und Projekte gegen die Diskriminierung der Roma-Minderheit und für die Verbesserung ihrer Lebenssituation in die Wege geleitet. Mehrere abwertende oder diskriminierende Zitate wurden aus Gesetzestexten und Schulbüchern gestrichen.
„Ich möchte nicht, dass ihr in diesen lebensunwürdigen Baracken wohnt“, sagte Erdogan im Hinblick auf die teils miserable Lebenssituation der Roma-Minderheiten in Großstädten. Im Zuge von Stadtteilerneuerungsmaßnahmen wurde den Bewohnern von Roma-Vierteln, die meist aus Hüttenhäusern bestanden, neugebaute Sozialwohnungen zu einem sehr niedrigen Vorzugspreis angeboten.
Kopftuchverbot an türkischen Unis
Türkische Frauen mussten lange Zeit gegen diskriminierende Gesetzesbestimmungen kämpfen, die ihnen das Tragen von Kopftuch als Schülerinnen an Schulen und in öffentlichen Einrichtungen verboten, obwohl dieses im türkischen Alltagsleben weit verbreitet ist. Dank Erdogans „Demokratiepaket“ wurde auch dieses Verbot abgeschafft und Kopftuchträgerinnen können nach Jahrzehnten wieder studieren.
Im November letzten Jahres führte sogar erstmals eine Kopftuch tragende Richterin eine Verhandlung vor dem 3. Zivilen Friedensgerichtshof. Der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK) hate das zuvor noch formal bestehende gesetzliche Verbot am 1. Juni 2015 abgeändert und das Recht auf Kopftuch auch während des Führens von Verhandlungen anerkannt.
Juden feiern Hanukkah-Fest erstmals öffentlich
Zum ersten Mal in der Geschichte der türkischen Republik feierte die jüdische Gemeinde im vergangenen Jahr ihr Hanukkah-Fest mit einer öffentlichen Veranstaltung in Istanbul. An der Feier auf dem Ortaköy-Platz in Istanbul, das von der Gemeinde Besiktas organisiert wurde und ein buntes Beisammensein beinhaltete, nahmen unter anderem auch Vertreter des Gouverneursamtes, der Stadtverwaltung, des türkischen Außenministeriums und des Muftiamtes teil.
In der historischen Neve-Shalom-Synagoge in Istanbul hatte im Dezember letzten Jahres erstmals eine türkische Amtsperson eine jüdische Hochzeit abgehalten. Nach den Hanukkah-Feiern unter freiem Himmel im Dezember erlebte die jüdische Gemeinde in der Türkei damit eine weitere weit über die Grenzen der Stadt wahrgenommene Großveranstaltung.
Kurde: „Die (AKP-) Regierung arbeitet gut“
„Trotzdem ist seine AKP die allerbeste Regierungspartei, die wir jemals hatten. Wäre die kemalistische Oppositionspartei CHP an die Macht gekommen, gäbe es mit den Kurden immer noch Krieg,“ antwortete ein kurdischer Taxifahrer in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Juni 2013.
Und weiter: „Es gab keine politischen Zeitungen und keinen Frieden mit den Kurden. Man durfte nicht einmal sagen, dass man Kurde ist oder Alevit. Ich bin Kurde, ich stamme aus dem Osten der Türkei, ich weiß also, wovon ich rede. Und jetzt gibt es den Friedensprozess mit der PKK, ich kann sagen, dass ich Kurde bin und es gibt sogar alevitische Programme im Fernsehen. Die Regierung arbeitet also gut.“
Seit Erdogan im November 2002 an die Macht kam, gibt es die muttersprachliche Verteidigung vor Gericht. Es gibt Kurdisch als Wahlfach an Schulen, Kurdologieinstitute, einen staatlichen kurdischen Sender, der auf Kurdisch sendet, kurdische Presse und sogar eine kurdische Suchmaschine.
Opposition gegen Demokratisierungsprozess
Nicht nur die Opposition, sondern auch bestimmte Teile der AKP-Wählerschaft waren von Anfang an gegen den von Erdogan initiierten Prozess. Man wollte weder kurdische Musik im Fernsehen hören noch Kopftuchträgerinnen an den Unis dulden. Kurden gehörten in den Augen der das Land seit Jahrzehnten regierenden Eliten als Arbeitskräfte in die Gärten der Sommerhäuser; Frauen mit Kopftuch wollte man höchstens als Putzkraft in den Istanbuler Penthäusern und nicht wie immer öfter in Nobel-SUVs die Flaniermeilen entlangfahren sehen.
Demokratisierungsgegner in Europa
Die demokratiefeindliche Opposition in der Türkei hat in Europa allerdings einen verlässlichen Unterstützer und Partner:
Radikale PKK-Anhänger und Sympathisanten, die sich angeblich für die Rechte der Kurden einsetzen.
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Auch sie wollen die Zeiten der 1990er, als bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten, zurück und sind kurz davor, dies auch zu erreichen. Immer wieder demonstrieren sie, wie auch gestern, deutschlandweit für eine Beendigung des Demokratisierungsprozesses in der Türkei.