Ein Kommentar von Ernst Wolff
Am 6. November 2018 finden in den USA Zwischenwahlen statt. Dabei werden alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus und 35 der 100 Sitze im Senat neu vergeben. Außerdem werden in 36 Staaten und 3 Außengebieten neue Gouverneure gewählt.
Zurzeit kontrollieren die Republikaner beide Häuser des Parlaments und halten eine deutliche Mehrheit der Gouverneurssitze. Traditionell aber muss die Partei des amtierenden Präsidenten bei diesen Wahlen mit Verlusten rechnen. Auch diesmal sagen die Wahlforscher voraus, dass die Demokratische Partei zulegen und den Republikanern möglicherweise die Mehrheit im Repräsentantenhaus entreißen wird.
Für Donald Trump kommen die Wahlen zu einem äußerst ungelegenen Zeitpunkt: Die durch die Medien und die Demokraten hochgespielte Khashoggi-Affäre hat ihm wegen seiner Nähe zum saudischen Machthaber geschadet, an den Börsen kommt es zu immer heftigeren Kursschwankungen und trotz aller Jubelmeldungen über eine boomende Wirtschaft verschlechtert sich die soziale Lage im Land zusehends.
Zudem hat Trump viele seiner Wahlversprechen nicht eingehalten. Das Verhältnis zu Russland hat sich nicht verbessert, sondern verschlechtert Die ins Land zurückgeholten Jobs sind schlecht bezahlt und der Sumpf, den er „trockenlegen“ wollte, ist heute mächtiger denn je: Nie hat ein Präsident so viele Militärs und Banker um sich geschart wie Donald Trump und nie ist ein Präsident den Ultrareichen im Land bereits in den ersten zwei Amtsjahren durch Gesetzesänderungen und Steuererleichterungen derart weit entgegen gekommen.
Um von dieser für die arbeitenden Menschen ernüchternden Bilanz seiner zweijährigen Amtszeit abzulenken und die Wahl dennoch zu seinen Gunsten zu entscheiden, zieht Donald Trump seit Wochen von einer Wahlkampfveranstaltung zur nächsten, twittert fast rund um die Uhr und setzt dabei vor allem auf zwei Themen: Nationalismus und Fremdenhass.
Das Kalkül dahinter ist nicht schwer zu durchschauen: Trump versucht, das Gemisch aus Wut, Verzweiflung und Bildungsmangel am unteren Rand der Gesellschaft für sich zu nutzen, indem er diesen Menschen ein griffiges Feindbild liefert. Während die Kluft zwischen Arm und Reich in seiner Amtszeit die bisher höchsten Ausmaße aller Zeiten angenommen und er diesen Prozess durch die weitere Deregulierung des Finanzsektors aktiv vorangetrieben hat, präsentiert er der Öffentlichkeit ausgerechnet die größten Verlierer dieser Entwicklung – Menschen, die verzweifelt versuchen, der Not und den unmenschlichen Lebensbedingungen in ihrer Heimat zu entkommen – als Sündenböcke.
Trump, selbst Erbe eines mit rüden Methoden erworbenen Millionenvermögens und als Geschäftsmann für seine Rücksichtslosigkeit und Korruptheit bekannt, setzt wie im ersten Wahlkampf auf die niedrigsten menschlichen Instinkte – und erhält dabei plötzlich unerwartete Hilfe: In Mexiko sind Trecks von mehreren tausend Menschen unterwegs, die nach offiziellen Angaben das Ziel haben, die Grenze in die Vereinigten Staaten zu überwinden, um dort Asyl zu beantragen. Die meisten dieser Menschen stammen aus El Salvador, Guatemala und Honduras – Staaten, die über Jahrzehnte von US-Konzernen ausgebeutet wurden, von Drogenkartellen und brutalen Clans beherrscht werden und in denen Gewalt und Korruption an der Tagesordnung sind.
Trump hat das Thema sofort aufgegriffen und den Treck zum Anlass genommen, mit einer substanziellen Kürzung oder gar Streichung der US-Entwicklungshilfe an die drei genannten Herkunftsländer zu drohen und anlässlich der Massenflucht den „nationalen Notstand“ zu erklären. Außerdem hat er den Grenzschutz und das Militär in Alarmbereitschaft versetzt und angekündigt, die Grenze zu Mexiko „im Notfall“ zu schließen.
Da der Treck trotz aller Drohungen an Umfang zunimmt, hat Trump den Ton verschärft und behauptet, unter den Asylsuchenden befänden sich zahlreiche Kriminelle und Terroristen aus dem Nahen Osten, die die Sicherheit Amerikas gefährden würden. Außerdem wirft er den Demokraten vor, die USA in einen „gigantischen sicheren Hafen für kriminelle Ausländer“ verwandeln zu wollen – eine Entwicklung, der er durch eine weitere Verschärfung des Asylrechts begegnen will.
Es ist bis heute nicht bekannt, wie genau diese Trecks in Gang gesetzt wurden und wer möglicherweise dahinter steckt. Es ist allerdings schon sehr auffällig, dass sie sich ausgerechnet drei Wochen vor den US-Zwischenwahlen gebildet haben, von einem Tross internationaler Medien begleitet werden und dem Präsidenten so ein gefundenes Fressen für seine Wahlkampagne liefern.
Da es momentan so aussieht, als ob die Zahl der Marschierenden nicht ab-, sondern zunehmen wird, muss man für die kommenden Wochen das Schlimmste befürchten: Hier prallen ein Präsident, der den Hass von Millionen gegen Migranten schürt, und verzweifelte Menschen, die nichts zu verlieren haben und möglicherweise zu politischen Zwecken missbraucht werden, in der heißen Phase eines Wahlkampfes frontal aufeinander – eine Mischung, die im äußersten Fall zu einer – vielleicht sogar gewollten – gewaltsamen Konfrontation führen könnte.
Sollte es tatsächlich so weit kommen, würde ein solches Ereignis mit Sicherheit dazu beitragen, rassistischen, nationalistischen und faschistischen Bewegungen in aller Welt Auftrieb zu geben – eine angesichts der ohnehin angespannten Weltlage äußerst bedrohliche Entwicklung.
Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.
Ernst Wolff
Ernst Wolff ist freier Journalist und Autor des Buches “Finanz-Tsunami: Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht“.
Wolff, geboren 1950, aufgewachsen in Südostasien, Schulzeit in Deutschland, Studium in den USA. Der Journalist und Spiegel-Bestseller-Autor (»Weltmacht IWF«) beschäftigt sich seit vierzig Jahren mit der Wechselbeziehung von Politik und Wirtschaft. Sein Ziel ist es, die Mechanismen aufzudecken, mit denen die internationale Finanzelite die Kontrolle über entscheidende Bereiche unseres Lebens an sich gerissen hat: »Nur wer diese Mechanismen versteht und durchschaut, kann sich erfolgreich dagegen zur Wehr setzen.«