Ein Gastbeitrag von Çağıl Çayır
Wenn Philosophen und Theologen von der Lex Aeterna sprechen, meinen sie nicht ein einzelnes von Menschen geschriebenes Gesetzbuch. Gemeint ist vielmehr das „ewige Gesetz“, die Ordnung im Geist Gottes, die allem Seienden zugrunde liegt.
In dieser Sicht ist die Schöpfung nicht willkürlich, sondern Ausdruck einer universalen Vernunft. Der Mensch kann diese Ordnung zwar nie ganz durchdringen, doch sie spiegelt sich wider in der Lex Naturalis (Naturgesetz) und den von uns geschaffenen Lex Humana (menschlichen Gesetzen).
Diese Idee prägte die Geschichte Europas, aber auch die Entstehung der Menschenrechte weltweit. Schon im Mittelalter beriefen sich Denker wie Thomas von Aquin auf die Lex Aeterna: Gesetze haben nur dann Bestand, wenn sie mit der göttlichen, ewigen Gerechtigkeit im Einklang stehen. Alles andere ist Unrecht.
Von der Theologie zur Menschenrechtsidee
In der frühen Neuzeit wurde diese Lehre zu einem Prüfstein für das koloniale Handeln Europas. Als spanische Eroberer Amerika unterwarfen, erhob sich eine der ersten Debatten über Menschenrechte.
Theologen wie Francisco de Vitoria und Bartolomé de Las Casas beriefen sich auf die Lex Aeterna und argumentierten: Auch die indigenen Völker sind Teil der göttlichen Ordnung. Sie haben unveräußerliche Rechte – auf Freiheit, Würde und Land.
Die Forderung war revolutionär: Indianer sollten nicht nur „geschützt“ werden, sondern als gleichwertige Menschen anerkannt sein. Ihre Misshandlung verletze nicht nur moralische Prinzipien, sondern das ewige Gesetz selbst.
Das ewige Gesetz – auch für Natur und Erde
Heute, im Zeitalter der ökologischen Krisen, erhält die Idee der Lex Aeterna neue Aktualität. Wenn es eine ewige Ordnung gibt, so umfasst sie nicht nur Menschen, sondern auch Tiere, Pflanzen, Flüsse und Wälder.
Natur ist nicht bloß Ressource, sondern Teil der Schöpfung, die nach göttlichem Gesetz Respekt verdient. In vielen indigenen Kulturen war genau dieses Bewusstsein tief verankert – eine Weisheit, die Europa erst wiederentdecken muss.
Ein universales Erbe
Ob wir auf die Debatten um die Rechte der Indianer im 16. Jahrhundert blicken, auf die Erklärung der Menschenrechte von 1948 oder auf heutige Bewegungen für Klimagerechtigkeit: Im Hintergrund steht die gleiche Frage. Welches Gesetz gilt über alle Grenzen hinweg?
Die Antwort der Tradition der Lex Aeterna lautet: Das ewige Gesetz, das nicht von Herrschern erlassen wird, sondern in der Ordnung der Welt selbst liegt. Es verpflichtet uns, jeden Menschen und die Natur zu achten – weil wir alle Teil derselben Schöpfung sind.
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.
Zum Autor
Çağıl Çayır studierte Geschichte und Philosophie an der Universität zu Köln und ist als freier Forscher tätig. Çayır ist Autor von „Runen in Eurasien. Über die apokalyptische Spirale zum Vergleich der alttürkischen und ‚germanischen‘ Schrift‘“ und ist Gründer der Kultur-Akademie Çayır auf YouTube. Seine Arbeiten wurden international in verschiedenen Fach- und Massenmedien veröffentlicht.
AUCH INTERESSANT
– Geschichtswissenschaft –
Ibn Rushd: Der Philosoph, der Islam und Wissenschaft vereinte
In einer Zeit, in der religiöse Dogmen oft als Feinde der Wissenschaft dargestellt werden, wirkt der andalusisch-muslimische Philosoph Ibn Rushd wie eine leuchtende Ausnahmefigur.
Ibn Rushd: Der Philosoph, der Islam und Wissenschaft vereinte