
Ein Gastbeitrag von Özgür Çelik
Der siebte Punkt bezieht sich auf das am 19. Januar 2025 unterzeichnete Waffenstillstandsabkommen. Dieses Abkommen bestand, wenn ich mich recht erinnere, aus vier Phasen. In der ersten Phase wurde ein Waffenstillstand erreicht und ein Gefangenenaustausch vorgesehen.
Hamas erfüllte ihre Verpflichtungen, doch Israel verletzte das Abkommen, noch bevor die zweite Phase begonnen hatte. Trotzdem wurden keinerlei Sanktionen verhängt. Dies zeigt, wie einseitig dieser Friedensplan in Wirklichkeit funktioniert: Den Gazaner*innen werden die härtesten Verpflichtungen auferlegt, während es keinerlei Mechanismus gibt, um Israel für Vertragsbrüche, Angriffe oder begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft zu ziehen.
Auch die Haltung der US-Administration zeichnet ein widersprüchliches und undurchsichtiges Bild in Bezug auf die Umsetzung dieses Abkommens.
Die Trump-Administration zeigte zeitweise Mitgefühl für die humanitäre Lage in Gaza; so vermittelte Trumps Team Mitte Januar, in einer Phase in der die Biden-Administration noch im Übergang war, bei einem sechswöchigen Waffenstillstand. Dieser Zwischenstopp ermöglichte beschleunigte humanitäre Lieferungen, die Rückkehr von mehr als 30 israelischen und ausländischen Geiseln zu ihren Familien und palästinensischen Familien zumindest vorübergehend die Rückkehr in ihre Häuser.
Später blieb die Trump-Administration jedoch gegenüber einem erneuten israelischen Vorgehen gleichgültig oder schien es gar zu unterstützen; das offenbart Interessenkonflikte und Widersprüche in der US-Politik.
Die Passagen des Textes über Hilfeleistungen und Verwaltung sind ebenfalls bemerkenswert. Es heißt, die Hilfen würden über die Vereinten Nationen, das Rote Kreuz und internationale Organisationen verteilt werden. Hamas oder die Verwaltung Gazas würden nicht in diesen Prozess einbezogen. Vor dem Hintergrund, dass bereits UN-Mitarbeiter vor Ort von Israel getötet wurden, wirft dies ernste Fragen zur sicheren Verteilung dieser Hilfeleistungen auf.
Außerdem sieht das Abkommen vor, dass die täglichen Dienste in Gaza von einer „Übergangsregierung aus palästinensischen Technokraten“ verwaltet werden sollen. Wer diese Technokraten auswählen soll, bleibt unklar: das palästinensische Volk oder äußere Mächte?
Tatsächlich soll die Übergangsregierung von einer internationalen Institution überwacht werden, die von den Vereinigten Staaten eingerichtet wird, und es werde nur mit arabischen und europäischen Partnern konsultiert.
Es entsteht also eine sogenannte palästinensische Regierung — doch die eigentliche Entscheidungsgewalt läge bei einer von den USA geschaffenen Struktur. Ob diese Struktur dauerhaft sein soll oder unter welchen Bedingungen sie endet, wird nicht angegeben.
Noch auffälliger ist die Behauptung, dass an die Spitze dieser Verwaltungsform von den USA Trump eingesetzt werden solle und aus Großbritannien ein Stellvertreter von Tony Blair komme. Damit würde Gaza faktisch zu einem amerikanischen Mandatsgebiet.
Das erinnert an das mit dem Osmanischen Reich geschlossene Mondros-Waffenstillstandsabkommen und die anschließende Verwaltung Istanbuls durch ausländische Kommissionen; heute scheine ein ähnliches Mandatsmodell auf Palästina angewandt zu werden.
In den Passagen zur politischen Struktur Gazas wird Hamas vollständig ausgeschlossen und die Zerstörung ihrer militärischen Infrastruktur gefordert. Neue Führungspersonen sollen aus von Amerika ausgewählten Technokraten bestehen und sich zu friedlichem Zusammenleben mit den Nachbarn verpflichten. Der Text macht die Gazaner*innen dafür verantwortlich, in der Vergangenheit nicht in Frieden gelebt zu haben, während Israels Angriffe und Besatzung gar nicht thematisiert werden.
Die Widersprüche zwischen Praxis und Rhetorik auf US-Seite sind ebenfalls auffällig. Trump prangerte zeitweise offen die humanitäre Katastrophe in Gaza an; so wies er etwa die Behauptung des israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu, der Hunger in Gaza sei „Hamas-Propaganda“, scharf zurück.
Zugleich näherte sich Trump später offenbar nachsichtig Netanyahus aggressiver Linie an; zeitweise verhinderte er nicht die Schritte Israels zur Wiederaufnahme der Kriegshandlungen oder unterstützte sie indirekt.
Einerseits vermittelte Trump Waffenstillstände und die Freilassung von Geiseln, andererseits erklärte er in harten Worten, dass die Rückkehr der Geiseln nur durch die vollständige Zerschlagung der Hamas möglich sei. Diese Widersprüche zeigen, wie inkonsequent die US-Politik ist.
Einer der kritischsten Punkte betrifft die „Beseitigung von Radikalisierung“. Mit Radikalisierung ist hier jedoch muslimische Identität und der Islam gemeint. Der Text sieht vor, die Denkweisen der Gazaner*innen zu verändern und durch interreligiösen Dialog „neue Erzählungen“ zu schaffen.
Dieser Ansatz erinnert an Projekte, die in der Vergangenheit von Gruppen wie FETÖ mit dem Etikett „interreligiöser Dialog“ vorangetrieben wurden. Die muslimische Identität wird damit direkt ins Visier genommen und gesellschaftliche Transformation soll durch externe Einmischung geformt werden. Über Juden oder Zionisten wird von Radikalisierung kaum gesprochen; als problematisch und veränderungsbedürftig erscheinen ausschließlich die muslimischen Glaubens- und Kulturformen.
Weiterhin spricht das Abkommen von „regionalen Partnern als Sicherheitsgaranten“, damit Hamas und andere Gruppen in Gaza ihre Verpflichtungen erfüllen. Für Israels Verstöße sind hingegen keinerlei Sanktionen vorgesehen. Während also einseitige Pflichten den Gazaner*innen auferlegt werden, bleibt Israel trotz aller Verstöße geschützt.
Die Rolle der USA vor Ort zeigt ebenfalls, dass die Vereinigten Staaten keine langfristige Verantwortung für Gazas Zukunft übernehmen: Strategische Projekte in der Region werden durch anhaltende Zerstörung und Besatzung behindert. Gaza ist für Trump sowohl humanitär als auch diplomatisch wichtig, zugleich aber ein Hindernis für seine größeren Ziele im Nahen Osten.
Die Lage in Gaza ist heute katastrophal. Rund zwei Millionen Menschen sind in einer zerstörten Stadt auf nur drei zusammengepresste Gebiete beschränkt. Es wird offen damit gedroht, Gaza völlig zu verwüsten, falls Hamas das Abkommen nicht akzeptiere.
Trumps Äußerungen wie „Ich erwarte in drei bis vier Tagen eine Antwort, sonst machen wir Gaza zur Hölle“ legen nahe, dass dieses Abkommen eher auf der Drohung mit Gewalt als auf wirklichem Frieden basiert.
Einige der öffentlichen Aussagen und Maßnahmen Trumps scheinen die harten militärischen Optionen Israels indirekt zu billigen, was die israelische Taktik bestärken könnte. Manche Militärführer und Geiselangehörige befürchten, dass eine vollständige militärische Besetzung Gazas die Sicherheit der verbleibenden Geiseln gefährden würde.
Gegen Ende des Dokuments heißt es, mit fortschreitendem Wiederaufbau und Reformen durch die palästinensische Verwaltung könnten „vielleicht“ die Bedingungen für die Gründung eines palästinensischen Staates entstehen. Das Wort „vielleicht“ ist hier keine verbindliche Zusage, sondern eine vage Möglichkeit — kein konkretes Ziel. Die Errichtung eines palästinensischen Staates wird nicht zugesagt, sondern lediglich als Eventualität offen gelassen.
Dieses Friedensabkommen ist ungerecht, unausgewogen, einseitig, vage formuliert und von Drohungen durchzogen. Die von Israel begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden nicht thematisiert, während alle Lasten den Gazaner*innen aufgebürdet werden.
Die muslimische Identität wird unter dem Vorwand der Radikalisierungsbekämpfung angegriffen, Gaza wird faktisch zum US-Mandatsgebiet — eine Parallele zum Mandatsmodell, das einst dem Osmanischen Reich mit dem Mondros-Abkommen aufgezwungen wurde. Ein solcher Plan bringt statt Frieden eher neue Konflikte, Misstrauen und Ungerechtigkeit hervor.
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.
Zum Autor
Özgür Çelik studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie an der Universität Duisburg-Essen. Seine Fachgebiete sind die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sowie zwischen der EU und der Türkei, türkische Politik, die türkische Migration und Diaspora in Deutschland
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