Start Panorama Ausland Gastkommentar Todesstrafe für blutigen Anschlag auf Synagoge – ist das richtig?

Gastkommentar
Todesstrafe für blutigen Anschlag auf Synagoge – ist das richtig?

Eine Tat wie diese entzieht sich allem, was man an Grautönen in einem Fehlverhalten erkennen könnte, denn im Grunde genommen ist nichts nur weiß oder nur schwarz.

(Symbolfoto: pixa)
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ein Gastkommentar von Michael Thomas

Mir ist völlig klar, dass das Thema Todesstrafe zum Teil heftige Kontroversen hervorruft.

Zu den Fakten:

Vor fünf Jahren stürmte der 50-jährige Robert Bowers schwer bewaffnet die „Lebensbaum“-Synagoge in Pittsburgh, brüllte: „Alle Juden müssen sterben!“ und eröffnete das Feuer. Elf Menschen kamen dabei ums Leben. Bowers vertrat bereits vor der Tat rechtsradikale, antisemitische Ideen und war für eine weiße Vorherrschaft. Er hat die Tat nie bereut.

In welche Lage hat er nun die Gesellschaft und die Justiz gebracht? Wie können und müssen beide angemessen darauf reagieren? Kann es hier noch den allseits vertretenen Rehabilitierungsansatz in der Suche nach einem Strafmaß geben?

Ich vertrete hier einen ganz bestimmt höchst unpopulären Standpunkt und stimme für die Verhängung der Todesstrafe. Meiner ganz persönlichen Meinung nach ist den Angehörigen der Todesopfer zu folgen, die sich einmütig ebenfalls für die Todesstrafe ausgesprochen haben. Ihr Leid und ihr Schmerz ist schier unfasslich; sie müssen nicht nur mit dem Tod ihres Angehörigen leben, sondern auch noch dazu mit der widerlichen Niedrigkeit des Motivs, das dem Mord zugrundeliegt.

Wenn man auch aus spirituellen und psychologischen Gründen anempfehlen könnte, zu verzeihen, so wird man größtes Verständnis dafür aufzubringen haben, wenn dies nicht gelingt. Es muss eine ungeheure Qual für sie sein, mitzuerleben, wie Bowers einen Tag nach dem anderen weiterlebt – selbst wenn es nur noch gezählte bis zu seiner Hinrichtung sein werden

Hinzu kommt für mich ein Schutz- und Vertretungsversprechen, welches jede halbwegs funktionierende Gesellschaft jedem seiner Individuen schuldet, solange es ihm die Möglichkeit, selbst Justiz auszuüben, entzieht. Wenn das Individuum in einem Fall wie diesem nicht selbst Hand an den Täter legen darf und kann, schuldet ihm die Gesellschaft dies.

Denn reflektiv hat auch die Gesellschaft ein Recht darauf, den Täter angemessen bestraft zu sehen; auch wenn die Opfer in diesem Fall ausschließlich Juden waren, so waren diese Juden Teil der US-amerikanischen Gesellschaft. Und so haben eben nicht nur die Angehörigen der Toten ein Recht auf die Bestrafung, sondern alle 323 Millionen US-Bürger, die die Tat ebenfalls schockierte, verletzte, verängstigte und anwiderte. Wie könnte einer dieser nicht direkt betroffenen Bürger jemals Vertrauen in eine Gesellschaft haben, die Taten eines solchen Ranges nicht so bestraft, wie er es für zwingend erforderlich hält?

Wie man die Todesstrafe für zwingend erforderlich halten kann?

Eine Tat wie diese entzieht sich allem, was man an Grautönen in einem Fehlverhalten erkennen könnte, denn im Grunde genommen ist nichts nur weiß oder nur schwarz. Selbst grausame Verbrechen können ein Motiv haben, das die Tat in Teilen relativieren könnte.

Nehmen wir das Beispiel eines behinderten Mannes, der der buchstäblich entsetzlichen Ermordung eines anderen Mannes überführt wurde. Er hatte sich keineswegs mit einer „einfachen“ Tötung begnügt; man fand die Leiche furchtbar entstellt und zerstückelt auf. Im Verfahren konnte der Täter eindrucksvoll nachweisen, von seinem Opfer über viele Jahre schwerst misshandelt, beleidigt, geschlagen und bestohlen worden zu sein. Obschon er mehrfach um Hilfe gebeten und versucht hatte, anderweitig über legale Kanäle Abhilfe zu schaffen, gelang ihm dies nie. Zahllose Stellen haben hier kläglich versagt. Hier ist die Frage zu stellen: wieviel vermeidbares Leid hat sich aufbauen müssen, um den Mörder zu einer derartigen Tat zu verleiten?

Aber im Fall des Antisemiten Bowers liegen die Dinge anders: jede Faser seines Motivs ist ekelerregend und widerwärtig – und tatsächlich unentschuldbar, unverständlich, strafwürdig. Es gibt nichts, gar nichts, was die Schwere seiner Tat relativieren könnte.
Eine Gesellschaft, die zivilisiert, kultiviert, gebildet, frei und progressiv sein will, muss jeden Ansatz zu einem Gedankengut wie das von Bowers zerstören und immer sofort da eliminieren, wo er sich zeigt. Das klingt zunächst wie ein Widerspruch, ist aber keiner. Es gilt, unbedingte Tabus einzurichten; Grenzen zu definieren, die nicht nur nicht überschritten werden dürfen, sondern nicht überschritten werden können.

Dabei kennen wir diese psychologische Technik reflexhaft seit Jahrtausenden überaus gut: wir nehmen es einfach nicht hin, dass sich jemand nackt auszieht und durch die Straßen läuft (wenn man von definierten Kunstaktionen einmal absieht). Es ist nicht okay für uns, beispielsweise in einem Kaufhaus, auf der Straße, im Büro zu defäkieren. Selbstverständlich würden und müssten wir mit scharfen Reaktionen unserer Umwelt rechnen, wenn wir dies täten. Es ist uns unmöglich. Niemand von uns hat Derartiges selbst einmal getan. Keiner. Nie. Wir diskutieren das auch gar nicht. Wir denken nicht darüber nach.

Wir müssen und dürfen auch nicht darüber diskutieren, ob Hass auf andere irgendwie akzeptabel sein könnte, denn er ist es nicht und wird, kann es niemals sein. Es gilt, ein solches Tabu zu errichten.Und wer ein solches Tabu bricht, so wie es Bowers getan hat, hat meiner Meinung nach ohne Diskussion aus der Gesellschaft und dem Leben entfernt werden. Wir sind es uns selbst, den Opfern und den Angehörigen der Opfer schuldig.

Dennoch trete ich dafür ein, die Todesstrafe abzuschaffen. Wenn es kluge Rechtsgelehrte gäbe, die eine scharfe Grenze zu ziehen wüssten, damit „Menschen“ wie Bowers hingerichtet werden können und andere nicht, müsste man sich dem widmen. Meine persönliche Fantasie reicht dazu nicht aus und schweren Herzens muss ich anerkennen, dass ein solch machtvolles Instrument wie die Todesstrafe im Handumdrehen pervertiert und missbraucht würde. Sie ist der schwerste Hammer, mit dem Menschen Fehlverhalten ahnden könn(t)en, die ultimative Strafe, das letzte Mittel, der furchtbarste Richterspruch.

Sie ist wie die Atombombe; mit dem Willen, mit ihr Kriege zu verhindern, hat sie bereits Millionen von Menschen das Leben gekostet und liegt heute zehntausendfach in Arsenalen. Eigentlich ist jedem völlig klar, dass irgendwann die Stunde schlägt, in der mit ihnen neue, allumfassende, vernichtende Kriege begonnen werden. Es reicht nicht aus zu sagen: „Wir haben sie, setzen sie aber nie ein!“, denn sie wurde bereits eingesetzt und verführt dazu, mit ihnen Politik und Erpressung zu betreiben. Es kann keine unantastbare Grenze für die Todesstrafe geben, jenseits derer sie zuverlässig niemals zur Anwendung gebracht werden könnte.

Deshalb muss die Menschheit dies Instrument aus der Hand legen. Muslimen fällt dies eher leicht, denn sie wissen, dass keine Strafe härter und furchtbarer ausfallen kann als die, dier der Höchste verhängt und vollzieht.


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.


Zum Autor 
Michael Thomas ist Privatier, Fotograf, leidenschaftlich an Ägyptologie und Literatur interessiert, mit der er vor vielen Jahren als Autor regional einige Beachtung fand. Er verfolgt interessiert das Weltgeschehen durch Beobachtung internationaler Presse. Seinen Fokus legt er insbesondere auf die Palästinafrage und auf die islamische Welt.