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Ägäis-Krise
Kündigt sich ein Krieg zwischen Griechenland und Türkei an?

Nach der Rede des griechischen Linken-Abgeordneten Kleon Gregoriadis, dass „Griechenland sich in eine riesige US-amerikanische Basis verwandelt“ habe, knistert es in Griechenland gewaltig.

(Foto: nex24)
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Ein Gastbeitrag von Nabi Yücel

Nach der Rede des griechischen Linken-Abgeordneten Kleon Gregoriadis, dass „Griechenland sich in eine riesige US-amerikanische Basis verwandelt“ habe, knistert es in Griechenland gewaltig. Die griechischen Mainstream-Medien blasen weiterhin ins Kriegshorn und sind sich einig, Gregoriadis habe Ankara das „Butter aufs Brot“ geschmiert. Der Linkspolitiker sagte, in der Presse sei eine Atmosphäre des Krieges mit der Türkei geschaffen worden. Die Schaffung eines solchen Eindrucks ziele laut Grigoriadis darauf ab, die griechischen Bürger einzuschüchtern, damit die Umwandlung Griechenlands in einen US-Stützpunkt akzeptiert werde.

„Sie benutzen uns jetzt als nützliche Idioten, so wie sie Griechenland als Ablenkungsmanöver gegen Kemals (Atatürk) Jungtürken benutzten, damit die Großmächte leicht und ohne Widerstand an die Ölfelder im Nahen Osten gelangen konnten, die damals unter osmanischer Herrschaft standen“, sagte er.

Kündigt sich hier ein Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei an? Wer hält den Vorposten und kontrolliert Griechenland?

»Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. (…) Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.«
(Carl von Clausewitz: Vom Kriege. 1832.)

Geographie ist Schicksal und das Schicksal anderer sollte man nicht zu lenken versuchen. Ginge es nach dem gesunden Menschenverstand, müsste es spätestens in den letzten zwei Jahren zu einem türkisch-griechischen Krieg gekommen sein. Anders lassen sich die historischen Wogen nicht glätten. Schon ein ordentlicher Grenzkrieg in der Ägäis, bei dem möglichst viele Kriegsschiffe versenkt, Kampfflugzeuge abgeschossen und einige Inseln eingeäschert werden, würde für die nächsten Dekaden Ruhe und Ordnung einkehren lassen. So war es bisher immer. Ein kurzer Blick in die Geschichte lohnt sich.

Es geht um einen Dauerkonflikt, der bis in die Spätantike datiert werden kann. Schon um 375 n. Chr. brachten die Hunnen Byzanz (Ostrom) ins wanken. 1071 wurden die Byzantiner dann entscheidend von den Seldschuken geschlagen und verloren Anatolien an türkische Einwanderer. 1453 besiegelten die Osmanen das Ende von Byzanz mit der Eroberung Konstantinopels (Istanbul). Seit 1071 herrscht Kreuzzugsstimmung im Abendland. Es ist eine ausgemachte Erbfeindschaft, die nun seit über eintausend Jahren währt. Es gibt aber auch Meinungen die beim Trojanischen Krieg ansetzen. Das ist sozusagen die mythohistorische Ebene des Konflikts. Jede Historie hat ja auch einen mythologischen Kern.

Auf dem großen Schachbrett der Geopolitik fungieren die Griechen seit dem Ersten Kreuzzug (1096-1099) nur noch als Bauernfigur. Mit Unterstützung der christlichen Großmächte England und Russland kam es im 19. Jahrhundert zum »Griechischen Aufstand« (1821-1829). Nach fast 400 Jahren gab es plötzlich wieder ein »unabhängiges Griechenland« (1830). Die Griechen waren derart »unabhängig«, dass sie obendrauf einen bayerischen Prinzen zum König aufgesetzt bekamen.

Natürlich ging es um die Aufteilung des untergehenden Osmanischen Reiches. Griechenland wurde genauso Beute und Vorposten des europäischen Kolonialismus wie Ägypten. Die dutzenden Pseudostaaten vom Balkan über Nordafrika bis in den Nahen Osten, sind Produkte dieser Entwicklung. Eine Entwicklung die auch den europäischen Großmächten zum Dauerverhängnis wurde. Beispielsweise: Ausbruch des Ersten Weltkriegs, Palästinakonflikt, Arabischer Frühling etc..

Nach dem Balkankrieg (1912-1913) und dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) hatte das Osmanische Reich seinen absoluten Tiefpunkt erreicht. Zwischendurch war im Wettrennen um die Aufteilung des osmanischen Erbes Russland auf der Strecke geblieben (Bolschewistische Revolution 1917). Unter englischer und französischer Führung wurden Griechen und Armenier ins letzte Gefecht gegen die Türken geschickt.

In den Jahren 1919-1922 wendete sich jedoch das Kriegsglück. In Anatolien wurde das griechische und armenische Kanonenfutter nachhaltig verheizt. In der Rolle der Bauernfigur, wie es der Mannheimer Historiker Heinz. A. Richter beschreibt, gefällt sich Griechenland: „Das geschlagene Griechenland war in dem bevorstehenden diplomatischen Schachspiel kaum mehr als eine Bauernfigur, der man Opfer abverlangen konnte.“

Mit dem Vertrag von Lausanne (1923) wurde daraufhin so etwas wie ein Kompromiss geschlossen. Eigentlich, mit Blick auf den tausendjährigen Krieg, doch nur ein vorübergehender Waffenstillstand. Nun gab es auch eine »unabhängige Türkei« als rechtlichen Nachfolger des Osmanischen Reiches. Nach dem Willen der europäischen Großmächte England und Frankreich sollte diese Türkei keinen auf Großmacht machen, schön zu Hause bleiben und zivilisierte Staaten wie England und Frankreich nicht bei der Verwaltung ihrer Kolonialreiche stören.

In der »unabhängigen Türkei« wurde diese Übereinkunft mit der Parole »Frieden daheim, Frieden in der Welt« zur Staatsräson erklärt. Im Zweiten Weltkrieg blieb die Türkei dann auch erst einmal neutral. Auf Druck der Alliierten musste Ankara im Februar 1945 dann doch eine formale Kriegserklärung an die Achsenmächte aussprechen. Das war wiederum die Eintrittskarte als Gründungsmitglied in die UNO. Der türkische »Neutralitätskurs« endete 1952 mit dem Beitritt zur NATO. Russland war unter Stalin nämlich wieder aus ihren Ruinen auferstanden und forderte unverhohlen türkische Gebiete.

Zeitgleich traten auch die Griechen in die NATO ein (1952). Zuvor hatte es aber einen griechischen Bürgerkrieg (1946-1949) gegeben. Fast hätten die Griechen ihre »Unabhängigkeit« potenziert und wären kommunistisch geworden, doch in der Folgezeit ordneten sich Türken und Griechen auf Seiten der USA brav in die Verkehrsordnung des Kalten Krieges (1947-1991) ein.

Das die Welt(geschichte) größer als die ständigen fünf Mitglieder (USA, Russland, Großbritannien, China und Frankreich) des UN-Sicherheitsrats ist, beweist die unterschwellige Fortführung des türkisch-griechischen Gegensatzes auch während des Kalten Krieges. Der Weltgeist scheint immer einen Trick auf Lager zu haben, um die epischen Kämpfe fortzuführen.

Mitten im Atomzeitalter entstand ein »unabhängiges Zypern«. Das hatte es, wenn überhaupt, zuletzt in der Bronzezeit gegeben. Also vor rund 3500 Jahren. Zypern ist nicht nur eine dumme Laune der Plattentektonik sondern politisch wie wirtschaftlich völlig unfähig einen halbwegs vorzeigbaren Staat zu bilden. Schließlich und obendrein machen moderne Griechen und Türken die Hauptmasse der Bevölkerung aus. Nicht zufällig ist die »Republik Zypern« heute eine Steueroase und Las Vegas der EU, wo sich oligarchisches Kapital aus Russland und britische Rentner tummeln.

Die beiden Weltkriege gegen Deutschland ruinierten das Britische Imperium. Ab 1949 traten die Engländer einen mehr oder weniger geordneten Rückzug aus ihrer Kolonialgeschichte an. Die Franzosen hielten sich dagegen als »Kulturnation« für unverzichtbar und leisteten sich zwei blamable Kolonialkriege in Vietnam und Algerien. Neben fetten Brocken wie Indien oder Südafrika entließen die Engländer auch Flecken wie Kuwait oder Zypern in die »Unabhängigkeit«.

1960 wurde somit auch Zypern »unabhängig«. Die zypriotische »Unabhängigkeit« bedurfte aber einiger Garantien. Als Garantiemächte traten Großbritannien, Griechenland und die Türkei auf (Abkommen von Zürich und London 1959). Die griechische Seite wollte aber den ganzen Kuchen für sich allein. In Athen wurde, wie schon 1919-1922, von einem Großgriechenland, d. h. den Anschluss Zyperns an Griechenland geträumt.

Spätestens seit der Finanz- und Schuldenkrise dürfte aber auch Mitteleuropäern bekannt sein, wie gefährlich athenische Träume sind. Animiert durch die gerade in Griechenland regierende Militär-Junta, putschten dann im Juli 1974 großgriechische Fanatiker auf Zypern um Fakten zu schaffen.

Darauf reagierte die Türkei als Garantiemacht mit dem militärischen Einmarsch im Norden der Insel. Ein Kurzer mythohistorischer Exkurs: Der türkische Militäreinsatz von 1974 lief unter dem Codewort Operation Atilla; eine feine Reminiszenz an den epischen Kampf zwischen Türken und Griechen (Hunnen und Byzantiner) in der Spätantike. Der Trojanische Krieg, bekanntlich in der Nordägäis ausgetragen, soll von der Liebesgöttin Aphrodite eingefädelt worden sein. Als Stammland der Aphrodite gilt Zypern. Liebesgrüße hüben wie drüben.

Völkerrechtlich fußte der türkische Einmarsch auf die Abkommen von 1959. Aber auch ohne diese Verträge hätte die Türkei nicht tatenlos zusehen können, wie Griechenland sich die Insel einverleibt. Der geopolitische Faktor war und ist zwingend. Mit einer Annexion Zyperns durch Griechenland wäre die Türkei durch einen griechischen Ring von den Dardanellen über Rhodos bis Zypern vollständig vom Mittelmeer abgeschnitten. Und um diese geopolitische Fragestellung geht es nach wie vor. 1974 markiert somit auch das aktive geopolitische Wiedererwachen der Türkei.

Eingebettet in den Kalten Krieg schlummerte die türkische Geopolitik in den nächsten zwanzig Jahren zwar noch vor sich hin, aber mit dem Zypernkrieg war der Präzedenzfall gegeben. Die schmollenden Griechen traten 1974 aus dem militärischen Verbund der NATO aus und 1980 wieder munter ein. Ganz auf Linie des Kalten Krieges, legte die Türkei kein Veto gegen den griechischen Wiedereintritt ein.

Nachdem auf Zypern klare Verhältnisse herrschten, versuchten die Griechen ihr panhellenisches Glück in der Ägäis. Kaum nahm die Logik des Kalten Krieges ab, kam es 1987 fast zum Krieg. 1995 wurde die Situation weiter verschärft. 1996 verabschiedete das türkische Parlament einen Casus Belli-Akt, für den Fall das Griechenland seine Seegrenzen weiter ausdehnt.

Zuletzt hat Griechenland 2021 die Erweiterung seiner Territorialgewässer zwar auf die strittigen zwölf Seemeilen verkündet, setzt diese in der Praxis aber nur an der Seegrenze zu Italien um. Sollte der Tag kommen, an dem die Griechen auch in der Ägäis ernst machen, wird die Geschichte um einen weiteren türkisch-griechischen Krieg bereichert werden.

Krieg ist immer eine Frage der Souveränität. Mit Rückblick auf die griechische Provokation und geopolitische Zwangslage der Türkei, die zum Zypernkrieg von 1974 führten, steht auch heute weder die NATO-Mitgliedschaft beider Länder, noch die Mitgliedschaft Griechenlands in der EU einem Krieg nicht im Wege. Und mit Blick auf die weltpolitische Lage der letzten zwanzig Jahre, kommt es auf einen Krieg mehr oder weniger ohnehin nicht an. Man hatte auch genug Zeit und Gelegenheit, um sich friedlich zu einigen. Kein Land, dass sich um seine roten Linien betrügen lässt, kann souverän sein.

Russland ist gerade mit gutem Beispiel vorangegangen. Überhaupt bietet der Krieg um die Ukraine einen äußerst günstigen Zeitpunkt für den überfälligen türkisch-griechischen Krieg, ja sogar die Besetzung des gesamten syrischen Grenzverlaufs durch türkische Truppen gegen den Willen der USA oder Russland. Nur darf der nächste türkisch-griechische Krieg keine Mogelpackung wie 1897 oder 1922 werden. Im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert hatte die Türkei nicht mehr die Souveränität, um weitläufige und langfristige Ziele zu erreichen. Jetzt hat sie es.

Was die Schärfe und Dauer des Krieges betrifft, ist eine Ausrichtung der Türkei am Modell von 1974 zweckmäßig. Die eigentlichen Kampfhandlungen dauerten ja kaum einen Monat. Dabei geht es diesmal vornehmlich nicht um territoriale Gewinne. Großflächige Operationen der Landstreitkräfte sind unnötig. Es läuft auf ein großes Schiffe versenken und die nachhaltige Zerstörung von Infrastrukturen hinaus, um die kleinen Eilande zu sichern. Das politische Ziel der Türkei muss sein, Griechenland innerhalb kürzester Zeit in die endgültige Pleite zu schießen. Oder anders ausgedrückt: Ankara muss auf Athen zielen um ebenfalls Brüssel zu treffen. Denn hier sitzt die nächste große Herausforderung der Türkei.


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar


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