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Selahattin Ülkümen
Geschichte: Wie die Türkei Juden vor Nazi-Deutschland rettete

Nach Ansicht des US-Historikers Stanford Shaw hat die Türkei während des Zweiten Weltkriegs durch die Erteilung von Einreise- und Transitvisa sowie der Duldung von nicht erlaubten Durchreisen mindestens 100.000 Juden aus Europa das Leben gerettet.

(Foto: Screenshot/Facebook)
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Ein Gastbeitrag von Kemal Bölge – kboelge@web.de

Sie gilt als die Insel der Ritter, Rhodos, mit seinen reizenden Ortschaften sowie schmalen Gassen, den Festungen und Moscheen, die schönen Strände und den Windmühlen. Hier spielten sich 1944 grausame Schicksale ab.

Während des Zweiten Weltkriegs besetzte die deutsche Wehrmacht Griechenland und 1943 die sogenannten Dodekannes (die zwölf Inseln), die seit 1912 unter italienischer Herrschaft stand. Zu diesem Zeitpunkt gab es auf Rhodos neben Griechen auch Türken als auch zirka 4.000 Juden, die seit Jahrhunderten auf dem Eiland lebten und verschiedenen Berufen nachgingen.

Mit dem Aufkommen des europäischen Nationalismus wurden in Griechenland und auf den ägäischen Inseln ethnische Säuberungen an Türken und anderen Minderheiten durchgeführt. Um das Ziel eines ethnisch homogenen griechischen Staates zu erreichen, wurden wie zuvor auf Kreta, auch in Rhodos Türken systematisch verfolgt, unterdrückt und vertrieben. Sie wurden Opfer eines völkisch-rassischen Nationalismus, der die Hellenisierung dieser Region vorsah. Wegen der damaligen diskriminierenden italienischen Gesetze verließen zahlreiche Juden Rhodos.

Als 1492 mit dem Erlass von Granada viele sephardische Juden vor die Wahl gestellt wurden entweder zum Christentum überzutreten oder Spanien zu verlassen, flohen die meisten in den Mittelmeerraum. Das Osmanische Reich empfing die geflüchteten Juden mit offenen Armen, die sich in Saloniki, Istanbul (ehemals Konstantinopel) und anderen Gebieten niederließen. Mit der Eroberung von Rhodos am 21. Dezember 1522 durch die Osmanen, siedelten sich auch die aus Spanien geflohenen sephardischen Juden auf Rhodos an. Eine jüdische Bevölkerung existierte auf Rhodos bereits seit dem zweiten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung.

Der Plan des NS-Regimes zur Vernichtung der europäischen Juden wurde auch auf Rhodos angewandt. Zur Umsetzung schickten die Nazis SS-Obersturmführer Anton Burger auf die Insel, der den Transport der vor Ort lebenden Juden ins Todeslager Auschwitz-Birkenau sicherstellen sollte. Dem zuständigen deutschen Generalleutnant Ulrich von Kleemann, der für die besetzten ostägäischen Inseln zuständig war, wurde im Juli 1944 der Befehl erteilt die jüdischen Bewohner von Rhodos in Haft zu nehmen. Die jüdische Bevölkerungszahl betrug 1944 zirka 1.800.

Ein Jahr vorher, 1943, wurde Selahattin Ülkümen zum Generalkonsul der Türkei auf Rhodos berufen. Die Türkei war während des Zweiten Weltkriegs nicht Kriegspartei bzw. trat nicht aktiv in den Krieg ein. Der junge Diplomat ist über die Ereignisse äußerst besorgt und bittet um ein Gespräch mit dem deutschen Kommandanten. Er verweist auf die Neutralität der Türkei und erklärt von Kleemann, dass die türkischen Gesetze keine Unterschiede bei der ethnischen und religiösen Zugehörigkeit machen und verlangt die Freilassung der Bürger jüdischen Glaubens.

Der General lässt sich darauf nicht ein und verweist auf deutsches Recht. In diesem Augenblick hat Ülkümen eine Idee: Er erklärt gegenüber Kleemann, er werde diese Angelegenheit seiner Regierung (der türkischen Regierung) mitteilen, was zu einer Krise zwischen beiden Ländern führen könne und Deutschland werde dann ihn (Kleemann) verantwortlich machen. Die Drohung des türkischen Diplomaten hat Kleemann offenbar etwas beeindruckt, denn er akzeptiert dessen Forderung nach der Freilassung der Juden.

Trotz der Einigung beginnt die deutsche Wehrmacht mit der Zerstörung der jüdischen Viertel und der Synagogen. In einer Synagoge befindet sich eine 800 Jahre alte handschriftliche Tora, die vor der Zerstörung gerettet werden soll. Zu Hilfe eilt der damalige Mufti von Rhodos, Scheich Süleyman Kaşlıoğlu, der nicht nur diese Tora, sondern auch die jüdischen Bibeln aus anderen Synagogen unter der Kanzel der Murat-Reis-Moschee vor der sicheren Zerstörung rettet. Nach dem Gespräch mit Kleemann fährt Ülkümen zurück in sein Büro und beginnt mit der Erstellung von Reisepässen für die Juden mit türkischer Staatsangehörigkeit.

Allerdings betrifft das insgesamt nur 13 Personen. Die übrigen Juden von Rhodos besitzen die italienische und griechische Staatsbürgerschaft, was dem Diplomaten in diesem Augenblick bewusst ist. Er möchte aber Menschenleben retten und macht dann etwas, was er eigentlich nicht darf. Er stellt etwa 200 Juden aus Rhodos gefälschte türkische Reisedokumente aus. Mit dieser kühnen Aktion bewahrt Ülkümen mindestens 42 Juden vor der Deportation in die Gaskammern nach Auschwitz-Birkenau.

Die deutschen Besatzer schöpfen Verdacht und lassen daraufhin das Haus des türkischen Generalkonsuls zerstören. Bei diesem Angriff wird die hochschwangere Frau von Sebahattin Ülkümen schwer verletzt, die kurze Zeit später ihren Verletzungen erliegt. Auch zwei Mitarbeiter des Konsulats werden bei der Zerstörung des Gebäudes getötet. Ülkümen wird 1944 aus Rhodos ausgewiesen und bis 1945 im Gefängnis von Piräus festgehalten. Nach Ansicht des US-Historikers Stanford Shaw hat die Türkei während des Zweiten Weltkriegs durch die Erteilung von Einreise- und Transitvisa sowie der Duldung von nicht erlaubten Durchreisen mindestens 100.000 Juden aus Europa das Leben gerettet.

Israel hat diesen Diplomaten nicht vergessen und Ülkümen 1990 zu Lebzeiten als einziger türkischer Staatsbürger mit der Auszeichnung der „Gerechten unter den Völkern“ geehrt und ein Baum im Ehrenhain in der Gedenkstätte Yad Vashem gepflanzt. Von manchen wird Sebahattin Ülkümen als der „türkische Schindler“ beschrieben, aber in einem Interview erklärte dieser einmal, dass er keinen dieser Juden aus Rhodos gekannt habe und nur Menschenleben retten wollte. Er würde es jederzeit wieder tun. Er starb 2003 im Alter von 89 Jahren in Istanbul.

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