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Zum 201. Geburtstag von Nikoloz Baratashvili

Gestern vor 201 Jahren wurde einer der bedeutendsten Dichter der europäischen Romanik geboren, Nikoloz Baratashvili (4.11.1817 Tbilisi - 21.10.1845 Ganja). Aufgrund der Sprachbarriere ist er - wie zahlreiche georgische Schriftsteller und Dichter weitgehend unbekannt.

(Foto: Screenshot/Youtube)
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Von Prof. Dr. Hans-Christian Günther

Gestern vor 201 Jahren wurde einer der bedeutendsten Dichter der europäischen Romanik geboren, Nikoloz Baratashvili (4.11.1817 Tbilisi – 21.10.1845 Ganja).

Aufgrund der Sprachbarriere ist er – wie zahlreiche georgische Schriftsteller und Dichter weitgehend unbekannt. Sein kleines Land, Georgien, besitzt eine reiche, große und wertvolle Kultu: Dichtung, Musik und Kunst, die immer noch kaum bekannt ist. Besonders Übersetzungen der großen georgischen Klassiker fehlen.

Zu seinem 200. Geburtstag letztes Jahr hat das georgische Kultusministerium immerhin einen sehr schönen Band mit dem Originaltext (auch faksimiliert) und englischer, deutscher, russischer und französischer Übersetzung und guten Anmerkung herausgegeben.

Für das Deutsche wurde eine verbesserte Version meiner Gesamtübersetzung, die im deutschen Buchhandel unschwer erhältlich ist, verwendet. Der wunderschöne in Georgien produzierte Band dürfe, so befürchte ich, im Ausland wenig Bekanntheit erlangen. Eine Buchhvorstellung letztes Jahr, die ich angeboten hatte, wurde – im letzten Moment – abgelehnt.

Georgien ist dieses Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse. Organisiert wird seine Präsenz dort von einem georgischen Buchzentrum. Da diese Organisation freilich keinerlei Effizienz bei der Propagierung der wirklich wertvollen, bleibenden georgischen Literatur und Dichtung macht, genauso wie georgische Universitäten oder das Kultusministerium, hat dies für die breitere Beachtung georgischer Kulturleistung nichts gebracht.

Georgien hat eine große und alte christliche Kultur. Georgische Baukunst – der armenischen verwandt – gehört zu den größten Kulturschätzen der Erde. Georgische geistliche Musik mit ihrer Westeuropa vorausliegenden Polyphonie ist ebenso ein herausragendes Kulturgut (neben einer großartige Volksmusik).

Besonders erstaunlich ist es freilich, welch reiche Literatur dieses kleine Volk hervorgebracht hat. Seine Literatur beginnt mit Hagiographie und Hymnen (teilweise Übersetzungen aus dem Griechischen): bereits das erste erhaltene Werk der georgischen Literatur ,Das Martyrium der heiligen Schuschanik‘ von Jakob Tsurtaveli, verfasst ca. 480, ist ein Meisterwerk, dessen ausgereifte Erzählkunst darauf schließen lässt, dass es gewiss nicht das erste Werk der Gattung ist.

Die zunächst rein geistliche Literatur des georgischen Mittelalters gipfelt in dem georgischen Nationalepos von Shota Rustaveli aus dem 12./13. Jh., das in der Blütezeit des georgischen Staates und seiner Kultur entstand. Dieses Werk liegt in deutscher Übersetzung vor. Von dieser Zeit an beginnt zunehmend ein fruchtbarer Einfluss der persischen Literatur auf die georgische Dichtung.

Die georgische Sprache ist ideal geeignet, die Wortspiele der persischen Dichtkunst sich anzueignen. So gewinnt die georgische Dichtung als die eines an der Schnittstelle Asiens und Europas gelegenen Landes einen ganz eigenen unverwechselbaren Charakter.

Seinen Höhepunkt erreicht die iranisierende Periode der georgischen Dichtung im Werk ihres am Safavidenhofes erzogenen Königs Teimuraz I im siebzehnten Jahrhundert: ein ganz großer, immer noch kaum bekannter Dichter der Weltliteratur.

Nach einer interessanten Übergangsperiode, in der sich die georgische Literatur über russischen Einfluss Europa anzunähern beginnt, folgt im 19. Jh. die große Periode der georgischen Romantik, deren größter Dichter der jung verstorbene Nikoloz Baratashvili mit seinem schmalen, aber umso bedeutenderen Werk ist.

Der Strom großer georgischer Schriftsteller reißt bis in die Moderne nicht ab. Nach einem ’naturalistischen Zwischenspiel‘ mit dem großen Folkloristen und Dialektdichter von Kleinepen aus dem Leben seiner kaukasischen Gebirgsheimal, Vazha-Pshavela (1861-1915) beginnt eine vom russischen Symbolismus beeinflusste moderne Dichtung.

Ihr größter Vertreter ist der abseits von den Dichtergruppen seiner Zeit arbeitende Galaktion Tabidze (1891-1959) mit einer symbolistisch-neuromantischen Lyrik, die explizit an Baratashvili anknüpft. Das Gesamtwerk Baratashvilis, eine Auswahl aus Vazha-Pshavela und aus Galaktion Tabidze, liegt auf Deutsch in meiner Übersetzung vor.

Eine Einführung in das Werk dieser Dichter aus der Feder eminenter Kenner, bereichert durch viele Übersetzungen von ihren Gedichten aus meinen Übertragen, liegt inzwischen auch in einem von mir herausgebenden Bands ,Vier georgische Dichter‘ vor, bereichert durch eine besondere kleine Delikatesse: ein Georgier, den man für gewöhnlich mit anderem assoziiert, hat in seiner Jugend 6 romantische Gedichte auf Georgisch verfasst: Josip Vissarionovich Dshugashvili, besser bekannt unter dem Namen Stalin. Der Band schließt mit einem Aufsatz des Kartvelologen und Slawisten Donald Rayfield über diese Gedichte, samt meiner erstmaligen Übersetzung dieser Werke ins Deutsche.

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Prof. Dr. Hans-Christian Günther

Geb. am 28.4.1957 in Müllheim / Baden

Professor für klassische Philologie an der Albert-Ludwigs-Universität. Zahlreiche Publikationen und Gastprofessoren. Lange Aufenthalte in der VR China. Im Bereich der Altertumswissenschaft besonderer Schwerpunkt auf der politischen Dichtung der Augusteer und allgemein der Reflexion antiker Autoren auf ihre gesellschaftliche Stellung und Verantwortung

Seit 2004 Tätigkeit im Bereich des Dialogs der Religionen und Kulturen mit zahlreichen Veröffentlichungen.

Zahlreiche Publikationen und Gastprofessoren. Lange Aufenthalte in der VR China. Im Bereich der Altertumswissenschaft besonderer Schwerpunkt auf der politischen Dichtung der Augusteer und allgemein der Reflexion antiker Autoren auf ihre gesellschaftliche Stellung und Verantwortung Seit 2004 Tätigkeit im Bereich des Dialogs der Religionen und Kulturen mit zahlreichen Veröffentlichungen.

Ausgebildet in Freiburg und Oxford. Stipendiat der DFG und der Alexander von Humboldt -Stiftung. Gerhard Hess Preis der DFG.

Zahlreiche Publikationen (ca. 40 Bücher, u.a. Brill’s Companion to Propertius, Brill’s Companion to Horace) im Bereich der antiken Philosophie und Literatur, der Byzantinistik, Neogräzistik, modernen Literatur und Philosophie, Ethik und Politik. Zahlreiche Versübersetzungen aus dem Lateinischen, Italienischen, Neugriechischen, Georgischen, Japanischen und Chinesischen.

Lehrt regelmäßig in Italien, zahlreiche Gastaufenthalte in der Schweiz, Polen, Georgien, Indonesien, Iran, Seoul, Tokyo und vielen chinesischen Universitäten. Herausgeber mehrerer Buchreihen, im wissenschaftlichen Beirat zahlreicher wissenschaftlichen Zeitschriften.