Von Alex Hoffmann
Der Verhandlungstag begann mit Protest: bevor Oberstaatsanwalt Weingarten mit dem Plädoyer der Bundesanwaltschaft fortsetzen konnten, begannen Aktivist_innen des Tribunals „NSU-Komplex auflösen“, die Anklage des Tribunals gegen die Bundesanwaltschaft zu verlesen, und warfen kleine Flugblätter mit den Namen der Angeklagten des Tribunals in den Saal. Der Vorsitzende Richter unterbrach die Sitzung und das Gericht verließ den Saal, Ordnungsmittel gegen die Aktivist_innen erfolgten aber nicht. Die hielten vor dem Gericht noch den ganzen Tag eine Kundgebung ab und verlasen Teile der Anklage des Tribunals.
Währenddessen setzte im Saal die Bundesanwaltschaft ihr Plädoyer fort, beginnend mit dem Teil zum Angeklagten Eminger. Weingarten schilderte zunächst die Tathandlungen, die ihm vorgeworfen wurden, dass er nämlich für Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos drei Fahrzeuge mietete, die diese für Banküberfälle und den Sprengstoffanschlag in der Kölner Probsteigasse nutzten, zwei Bahncards zur Verfügung stellte, fortlaufend abonnierte und bezahlte sowie nach einem Wasserschaden im Haus der NSU-Wohnung gemeinsam mit Zschäpe bei der Polizei eine Aussage machte und Zschäpe als seine Frau ausgab, um die Legendierung der Wohnung abzusichern.
Längere Zeit verwendete Weingarten auf den Beleg, dass Eminger auch vorsätzlich gehandelt hatte, also wusste, was er mit seinen Handlungen bewirkte. Das war für die Banküberfälle naturgemäß weniger schwer, da Eminger von vornherein wusste, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt viel Geld, aber kein legales Einkommen hatten und dass sie bewaffnet waren. Was den Sprengstoffanschlag in der Probsteigasse anging, tat Oberstaatsanwalt beim GBA Weingarten nunmehr etwas, was er im gesamten Ermittlungsverfahren und der gesamten Hauptverhandlung immer bekämpft hatte: er stellte auf die ideologische Übereinstimmung zwischen Eminger und dem NSU ab, um zu belegen, dass dessen langjährige Unterstützungshandlungen politisch motiviert waren und die Begehung schwerster Straftaten gegen „Ausländer“ einschlossen.
Und in der Tat gibt es viele solche Übereinstimmungen: Die von Eminger und seinem Bruder Mike geleitete „Weiße Bruderschaft Erzgebirge“ rief in ihrem Fanzine massiv zu Gewaltaktionen gegen Andersdenkende und „Ausländer“ auf, propagierte die Ideologie des bewaffneten Kampfes im „Führerlosen Widerstand“ und huldigte der amerikanischen Gruppe „The Order“, die ebenfalls aus dem Untergrund Morde beging und nach Überfällen auf Geldtransporter Geld an Nazigruppen verteilte, genau wie dies auch der NSU tat. Nach der Selbstenttarnung des NSU löschte Eminger auf seinem Rechner ein Exemplar der Turner-Tagebücher, des Kultbuches der terrororientierten internationalen Naziszene, wohl wissend, dass dies eine Blaupause für die Taten des NSU darstellte.
Und auch an Emingers Körper und in seiner Wohnung zeigt sich seine Ideologie deutlich: quer über den Bauch zieht sich ein großes Tattoo mit dem Spruch „Die Jew die“ (Stirb Jude stirb), hinzu kommen zahlreiche Symbole nationalsozialistischer Organisation. Und in seiner Wohnung fand sich noch 2012 ein „Gemälde“ von Böhnhardt und Mundlos mit einer Todesrune und dem Wort „unvergessen“ – eine Huldigung, die Weingarten richtigerweise als „geständnisgleich“ bezeichnete. So kam Weingarten richtigerweise zu dem Schluss, dass Eminger ohne Zweifel in die Aktivitäten des NSU eingeweiht war und seine Unterstützungsleistungen in diesem Bewusstsein vorgenommen hat. Damit ist der Beihilfevorsatz belegt. Eine Mittäterschaft oder Mitgliedschaft Emingers, so Weingarten, ließe sich allerdings nicht beweisen.
Inhaltlich ist das wohl zutreffend. Es bleibt allerdings das Geheimnis der BAW, warum nicht mit dieser Begründung auch andere Unterstützer, bei denen diese Voraussetzungen gleichermaßen gegeben sind – etwa Emingers Frau Susan – , auch auf der Münchner Anklagebank sitzen. Und überhaupt gewann man den Eindruck, wenn die BAW von Anfang an so ermittelt hätte, wie Weingarten heute plädierte, dann wären sicher mehr Details zum NSU ermittelt worden.
Weingarten wandte sich dann dem Angeklagten Gerlach zu. Dieser hatte den Untergetauchten einmal eine Pistole überbracht, diese Tat ist allerdings verjährt, zumal unklar ist, ob mit dieser Waffe Straftaten begangen wurden. Weiter hatte er 2004 Uwe Böhnhardt seinen Reisepass überlassen, später einen Führerschein und im Sommer 2011 erneut einen neuen Reisepass für Böhnhardt ausstellen lassen. Zum Vorsatz führte Weingarten aus, dass angesichts der langjährigen politischen Zusammenarbeit Gerlachs mit dem NSU-Kerntrio seit Mitte der 90er-Jahre, der damals geführten Diskussionen über die Aufnahme des bewaffneten Kampfes, bei der Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe die „Hardliner“ gewesen seien, schon kein Zweifel am entsprechenden Vorsatz bestand.
Zudem hatte Gerlach Kenntnis von der zwischenzeitlichen Verjährung der dem NSU-Kerntrio ursprünglich vorgeworfenen Straftaten, so dass es keinen Grund für ein weiteres Leben im Untergrund gab als die Begehung weiterer, terroristischer Straftaten. Damit sei Gerlach klar gewesen, dass seine Unterstützungsleistungen nicht nur dem bloßen Leben in der Illegalität dienten, sondern dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt die Aktionen, die sie bereits vor 1998 immer wieder eingefordert hatten, nunmehr umsetzten und er sie dabei unterstützte.
Das Plädoyer zu Gerlach wird morgen fortgesetzt, gefolgt von weiteren Ausführungen zu den Raubüberfällen des NSU. Es ist zu erwarten, dass das Plädoyer der Bundesanwaltschaft dann in der nächsten Prozesswoche am Dienstag, 12.09.2017 endet.
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