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Gastkommentar
Israel – die Semantik der Manipulation

Thomas: "Erstaunlicherweise bedient sich die langsam zerbröselnde Front der hartnäckigen Israel-"Freunde“ bisher noch immer des gleichen Systems"

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Ein Gastkommentar von Michael Thomas

Erstaunlicherweise bedient sich die langsam zerbröselnde Front der hartnäckigen Israel-„Freunde“ bisher noch immer des gleichen Systems, unverändert der gleichen Struktur von „Argumenten“ für ihre Verteidigung Israels. Sie scheinen entweder nicht zu verstehen oder nicht begreifen zu können, dass all ihre Ideen schon lange an der Realität zerschellt sind.

Ein hervorragendes Beispiel dafür ist der verlinkte Artikel von Felix Dachsel im SPIEGEL.

Dachsel drückt alle vorgefertigten Klinken. Schon im ersten Satz beginnt er mit dem geradezu weinerlichen Trotz von jemandem, der doch bloß das Gute und Reine will, aber von einer bösen Meute dafür bestraft wird:

„ … Ich bin ein Israelversteher und glaube daran, dass es einen jüdischen Staat geben muss, der sich jederzeit verteidigen kann.“

Dieser Satz beinhaltet alles, woraus er im Folgenden schiefstehende „Wahrheiten“ zieht, unter deren Misshandlung, wie er die Kritik daran versteht, er so unsagbar leiden muss.

Er versteht nicht, dass die breite Öffentlichkeit aufgrund der Massaker einem „Israelversteher“ argwöhnisch und ablehnend gegenübersteht und auch nicht, dass die Vokabel „jüdisch“ in diesem Zusammenhang zum blanken Manipulationsvorwurf führt.

Dachsel findet, dass jedes Wort im Sinne von „jüdisch“ gefälligst Assoziationen wecken soll, die „arm“, „verfolgt“, „lieb“, „unschuldig“ beinhalten und in der Summe das „Gute“, das „Reine“ zu transportieren haben.

Da Dachsel auf alles israelische Handeln das Etikett „Die armen, verfolgten, lieben Juden!“ klebt, erschaffe ich hierfür den Begriff „Assoziationsverklebung“. Man könnte auch „Framing“ verwenden, aber ich eliminiere hier bewusst den Effekt einer möglicherweise unabsichtlichen Rahmensetzung.

Wir müssen uns an genau dieser Stelle, auch für Dachsel, unmissverständlich darauf einigen, dass das aktuelle Handeln Israels vollständig von jeder Religion getrennt und unter modernem Völker- und Menschenrecht betrachtet werden muss. All seine an die Massaker Israels geklebten Assoziationen, die von Religion handeln, sind vollständig wert-, gegenstands- und inhaltslos.

Wenn jemand in Indonesien einen Australier erschlägt, interessiert es beim Prozess niemanden, ob der Täter etwa Hindu ist. Übrigens auch dann nicht, wenn er sich zur Verteidigung darauf beruft, dass irgendwann einmal ein Australier seinen hinduistischen Großvater getötet habe.

Dachsels weiterer Textverlauf richtet sich jedoch vollständig auf das vermutete Funktionieren seiner Idee aus und er blendet die gesamte Vorgeschichte des 7. Oktober ebenso aus wie alle anderen Propagandisten Israels:

„ …. Als ich an jenem Herbsttag, dem 7. Oktober 2023, mit den Nachrichten aus Israel erwachte und ungläubig auf der Bettkante saß, hatte ich in der Düsternis nur einen tröstenden Gedanken: Jetzt, in diesem Moment grausamer Klarheit, war es nicht mehr möglich, Judenhass zu relativieren.“

Auch Dachsel verklebt die zurückliegenden Jahre des Landraubs, wiederholter Massaker, Folter und Entrechtung mit dem Assoziationsbündel:

„Weil Israel eben ein ‚jüdischer‘ Staat und somit rein, gut und lieb ist, kann die objektiv belegte Realität nicht stimmen!“ – und er blendet diese Jahre deshalb als irrelevant einfach aus. Auf diese Weise kann er nur zu dem Schluss kommen, dass alle Vorwürfe gegen den Staat Israel zwingend „antisemitisch“ sein müssen.

Das hat System und benutzt exakt die gleiche Gedanken- und Argumentationsführung seiner „Israelversteher“-Kollegen, sitzen sie nun in Redaktionen oder auf der Regierungsbank.

Völlig erwartungs- und programmgemäß benutzt er das Muster der Assoziationsverklebung konsequent und erklärt wie so viele den Angriff vom 7. Oktober zum „größten Judenmord seit der Shoa“.

Als hätte es Dachsel ausschließlich nur mit intellektuell Minderbegabten zu tun, wiederholt er zum Überfluss auch noch wesentliche Teile des Mythos, es habe angeblich Vergewaltigungen bei dem Angriff gegeben, obschon dafür keine Beweise vorliegen.

Dabei handelte es sich um einen Angriff auf Israel und nicht auf Juden, wie die Hamas ausdrücklich betont hatte. Sie hätte bei den Schießereien auch unmöglich sicherstellen können, dass ihre Kugeln keine Nichtjuden trafen.

Aber mit der Erhöhung des Leides in Israel geht die Herabwürdigung und die Leugnung des Leides der Palästinenser einher. Dachsel verreisst jede Dimension, wenn er sich semantisch in den Bildern des 7. Oktober suhlt, aber nur wenige Sätze später andeutet, die absichtliche Erschießung von Kindern in Gaza durch die israelische Armee sei nur eine Internet-Chimäre:

„ …. Ich fand mich nicht nur einmal in einer Diskussion wieder, in der ich mit dem Vorwurf umgehen musste, Israel würde systematisch palästinensische Babys töten. Quelle? Internet!“

Mit diesem sehr ungeschickten und fadenscheinigen Trick entkommt er einfach diesem Vorwurf. Er erklärt ihn zum Gerücht, das ja wohl bösartige Feinde in die Welt setzen.

Der Idee der Assoziationsverklebung im Text weiterhin konsequent folgend, gelingt Dachsel scheinbar ein argumentativer, Doppelter Rittberger, ein Salto Mortale mit der beinah verrückten Aussage: Weil ja Israel so gut, rein, unschuldig und lieb weil jüdisch ist, muss ihm das Grausame, was es tut, aufgezwungen worden sein und kann nur als das letzte, verzweifelte Mittel zur Rettung des eigenen Lebens gelesen werden:

„ …. Israel macht das Richtige, aber kann dabei Falsches tun. Die Hamas hat Israel geradezu gezwungen, Falsches zu tun.“

Dachsel benutzt die Assoziationsverklebung konsequent und bestätigt ihre Wirksamkeit auch noch einmal:

„ … Der Staat Israel ist eine Folge aus den Verbrechen der Schoa. Er ist die gut gesicherte Garantie, dass die meist verfolgte Minderheit in der Menschheitsgeschichte einen Ort der Zuflucht hat.“

Wir wissen, dass das erstens falsch ist, da die Gründung eines Staates Israel mindestens vier Jahrzehnte vor der Shoa bereits projektiert wurde und zweitens, dass dieser Gesichtspunkt zur Bewertung der Realität völlig irrelevant ist. Wir müssen uns genau dieser Assoziationsverklebung entgegenstellen und sie entschieden zurückweisen.

Eher trifft das genaue Gegenteil zu: die Gefahr für die Juden weltweit liegt genau in dem Umstand, dass die Welt israelisches mit jüdischem Handeln verwechselt oder gedanklich vermischt, denn dann kommt es zu gefährlichen Übergriffen und echtem Judenhass. Die Menschen könnten eines Tages damit beginnen zu glauben, dass es die „zumeist verfolgte Minderheit“ der Juden sei, die nachgewiesenermaßen Kindern in den Kopf schießt.

Felix Dachsel ist offensichtlich ein Opportunist, der für sich erkannt hat, dass derzeit viel mehr Geld und Reichweite mit Texten erzielt werden kann, die bei der Regierung auf Wohlwollen stoßen. So fiel ihm auch zur Löschung des hässlichen Biller-Textes in der ZEIT auf „X“ ein:

„ … Dass @DIEZEIT eine vollkommen vertretbare Kolumne von Maxim Biller löscht, in der er sich treffend mit der deutschen Israel-Obsession beschäftigt, ist nicht nur publizistisch feige, sondern auch vielsagend: So wirksam ist der Anti-Israel-Mob bereits.“

Dachsel hat das System, den Aufbau und die Gedankenabfolge der Assoziationsverklebung für sich erschlossen und konsequent benutzt, die es auf Basis der Realität und jeder Rechtsphilosophie buchstäblich zu zerstören gilt.

Denn das aktuelle Handeln steht jedem geltenden Recht entgegen, wenn man das objektiv und nüchtern betrachtet. Jeder Bezug auf den jüdischen Glauben ist erstens völlig irrelevant und stellt zweitens für Juden weltweit eine echte Gefahr dar.

Insofern ist Dachsels Machwerk schier unerträglich und nichts als Propaganda für Israel. Da derartige Angebote tatsächlich aufgetaucht sind, erhebt sich gar die Frage, ob er möglicherweise von Israel tatsächlich dafür bezahlt worden sein könnte.

 


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.

Zum Autor 

Michael Thomas ist Privatier, Fotograf, leidenschaftlich an Ägyptologie und Literatur interessiert, mit der er vor vielen Jahren als Autor regional einige Beachtung fand. Er verfolgt interessiert das Weltgeschehen durch Beobachtung internationaler Presse. Seinen Fokus legt er insbesondere auf die Palästinafrage und auf die islamische Welt.

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