Ein Gastbeitrag von Nabi Yücel
Mazlum Abdi, hochrangiger Führer der Terrororganisation PKK und Oberkommandierender der „kurdischen“ Demokratischen Kräfte Syriens SDF steht am Scheideweg. Entweder liquidiert Abdi die sogenannte „kurdische“ SDF sowie YPG oder er wird ein Problem mit Ahmad al-Scharaa, dem Militärchef des neuen Regimes in Syrien, haben – und nicht nur das.
Im syrischen Fernsehen gab Ahmad al-Scharaa die politische Richtung vor, wie Syrien regiert werden müsste. Für die türkische Führung in Ankara war der Teil der Rede von besonderem Interesse, der die territoriale Integrität und Souveränität Syriens festhält. Auf diesen Teil gehen wir näher ein.
Ahmad al-Scharaa forderte das syrische Volk in Anbetracht der Lage auf, einen Mentalitätswandel von revolutionärer Siegesstimmung zu einer Mentalität der Staatlichkeit zu vollziehen. Ferner forderte er Israel auf, die entmilitarisierten Zonen Syriens zu verlassen.
Das Problem von Mazlum Abdi ist hausgemacht. Die seit mehr als einem Jahrzehnt ständig betonte „kurdische Selbstverwaltung“ namens „Rojava“ hatte im Grunde nie vor, wieder in einem vereinten Syrien aufzugehen, sondern unter dem Deckmantel der föderalen Führung in einen eigenen „kurdischen“ Staat überzugehen.
Jetzt wo die syrische Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) unter der Führung von Abu Muhammad Al-Golani nach der Großoffensive am vergangenen Sonntag Damaskus erobert hatte und auch die Übergangsregierung aufgestellt hat, versucht Abdi dementsprechend die Marschrichtung zu ändern und damit die Wogen zu glätten.
Aber kann das funktionieren? Zum einen hat Mazlum Abdi das Problem mit der Türkei nicht lösen können. Ankara selbst denkt nicht daran, die PKK auch nur in der syrischen Regierung zu sehen oder darin in irgendeiner Form gewähren zu lassen. Die PKK, YPG sowie SDF müsse abgewickelt werden, die ausländischen Terroristen müssten das Land verlassen, diejenigen die syrische Staatsbürger seien, müssten im syrischen Volk ihren angestammten Platz finden.
Zum anderen steht auch das syrische Volk der PKK und all ihren Dreibuchstaben-Erfindungen im Norden und Nordosten nicht wirklich wohlgesonnen. Das merkt man vor allem in den noch von der PKK besetzt gehaltenen Regionen Syriens, in der Massenproteste ausgebrochen sind, Verhaftungen Alltag sind und Todesopfern zu beklagen gibt. Die PKK versuchte erst die Demonstrationen mit Ausgangssperren zu bändigen. Als das nicht fruchtete, ergriff man zu Hunderten Oppositionelle und sperrte sie ein. Aber auch das half nicht, weshalb man jetzt vermehrt zu den Waffen greift.
Das hat auch einen Hintergrund. Seit 2012 arbeitete die PKK Hand in Hand mit dem Assad-Regime, was erst kürzlich aufgetauchte Depeschen des syrischen Regimes bzw. deren Militärführung beweisen. Die zeigen unmissverständlich, was mit Beginn des syrischen Bürgerkriegs die Zusammenarbeit mit iranisch-schiitischen Milizen wie auch z.B. die Einnahme der großen Metropole Aleppo, die bis 2016 von der Oppositionsarmee (SNA) kontrolliert, aber aufgrund der Übermacht (Assad, Iran, Russland, PKK) aufgegeben wurde, passierte.
Das heißt, Mazlum Abdis Politik, sich je nach Konjuktur abwechselnd an Assad, Putin, Chamanei und vor allem Washington anzulehnen oder anzubidern, um so ein „Kurdistan“ in Syrien zu errichten, hatte nie das syrische Volk selbst im Blick und so wurde auch die Politik in den besetzten Gebieten betrieben. Nun rächt sich das!
Zwar hat die syrische Übergangsregierung noch keine Anstalten gemacht, wie es im Norden und Nordosten des Landes weitergeht, aber hier ist auch die SNA aktiv und geht gegen die PKK langsam, aber beständig vor, während die zurückweichende PKK die verlassenen Gebiete in ein Minenfeld verwandelt. Das heißt, Mazlum Abdi hat noch ein weiteres Problem: die SNA
Das größte Problem steht der PKK aber noch bevor, denn nicht nur die Ölfelder geraten nun unter die Kontrolle der SNA, sondern auch die Wasserversorgung. Mittlerweile hat die SNA entlang des Euphrats drei Staudämme unter Kontrolle gebracht und damit die PKK in Not, die jetzt anderweitig dafür sorgen muss, die Bevölkerung in ihrem Kontrollbereich mit ausreichend Wasser und Finanzen zu versorgen. Denn, wenn die PKK selbst kein Erdöl fördern kann, entfallen auch wichtige Devisen-Einnahmen, um die örtlichen Stammesführer auf ihrer Seite zu zu halten.
Indes, Ankara hat alle Zeit der Welt und lässt sich auch über widersprüchliche Verlautbarungen aus Washington nicht aus der Ruhe bringen. Denn, was auch immer der scheidende US-Präsident Joe Biden oder der neue US-Präsident Donald Trump in der Frage der „Kurden“ entscheiden, es wird den Untergang des Traums der PKK nicht verhindern und schon gar nicht Ankara davon abbringen, dass zu tun was seit 2013 angedroht und zum Teil umgesetzt wurde.
Die PKK hat in Syrien zu hoch gepokert und sehr viel verloren. Nicht nur die Einnahmen, sondern auch die Solidarität der örtlichen Bevölkerung und der Binnenflüchtlinge, die man bislang mit der Angst der Rückkehr der IS besänftigen konnte und mit der Washington bis heute diese Nummer mitspielt, fallen gänzlich weg.
Auch dafür hat die syrische Übergangsregierung längst eine Antwort parat: „Mit der IS beschäftigen wir uns höchstpersönlich und werden alle aus dem Land jagen!“
So wie es aussieht, war die Mitfahrgelegenheit von Ibrahim Kalin, dem Leiter des türkischen Geheimdienstes Millî İstihbarat Teşkilâtı (MIT) im Fahrzeug von Al-Golani in der syrischen Hauptstadt Damaskus auch eine Gelegenheit, darin übereinzukommen, wie man Syrien wieder zu einem Staat macht und auf wen man dabei sicher zählen kann: Ankara und Doha.
Auch hier hat Ankara noch vor allen europäischen Hauptstädten und Washington um längen die Nase vorne. Gestern eröffnete die Türkei offiziell ihre Botschaft in Damaskus, während Mazlum Abdi damit beschäftigt war, in US-amerikanischen auflagenstarken Zeitungen, um Beistand zu betteln.
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.
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