Von Çağıl Çayır
Im Jahr 1721 entdeckte der Danziger Arzt und Universalwissenschaftler Daniel Gottlieb Messerschmidt die ersten Spuren der deutschen Runenschrift in Sibirien. 100 Jahre später, im Jahr 1821 vermutete der Begründer der wissenschaftlichen Runenforschung Wilhelm Carl Grimm den Ursprung der deutschen Runenschrift in Sibirien, bei den dortigen Türkvölkern.
„keineswegs kann man die Hoffnung eitel nennen, aus Asien weitere Aufklärungen auch über die Runen zu erhalten. Höchst merkwürdig sind in dieser Hinsicht die Inschriften auf Grabsteinen am Jeniseistrom in Sibirien … Es wäre an sich nicht ungereimt zu glauben, die Deutschen hätten so gut, als die Nordländer , diese ersten Grundzüge der Buchstabenschrift mit aus den asiatischen Stammsitzen gebracht, und beide wären insoweit unabhängig von einander […].“1
Auch Carl Ritter, der neben Alexander von Humboldt als einer der Begründer der wissenschaftlichen Geographie gilt, vermutete den Ursprung der deutschen Runen in Sibirien.2 Allerdings wurden solche Überlegungen in Deutschland nicht weiterverfolgt.
Offenbarung der türkischen Runen
Erst 1893 offenbarten sich die sibirischen Runen plötzlich selbst als Türkisch. Dazu führte der spektakuläre Fund eines zweisprachigen Denkmals am Orchon-Fluss in der Mongolei. Die sogenannten „Orchon-Runen“ sind staatsgeschichtliche Überlieferungen und stammen aus dem 8. Jahrhundert – aus der Zeit des Zweiten Türkischen Königreichs, das sich über weite Teile Mittelasiens und der Seidenstraße erstreckte. Darin findet sich auch der Nationalname „Türk“, unter dem sich alle türkischen Völker der Zeit vereinten und heute wieder erinnern.
Echte menschliche Werte
Seit 2004 gehört das sogenannte Orchon-Tal mit einer Fläche von etwa 1,22 km2, samt seiner historischen und natürlichen Schätze zum UNESCO-Welterbe. Die UNESCO schreibt:
„Das Orkhon-Tal zeigt deutlich, wie eine starke und anhaltende Nomadenkultur zur Entwicklung umfangreicher Handelsnetzwerke und zur Schaffung großer Verwaltungs-, Handels-, Militär- und Religionszentren führte. Die Reiche, die diese städtischen Zentren unterstützten, beeinflussten zweifellos Gesellschaften in ganz Asien und in Europa und absorbierten wiederum Einfluss aus dem Osten und Westen in einem echten Austausch menschlicher Werte.“3
Gemeinsamkeiten mit deutschen Runen
Erst im Jahr 2019 machte die Frankfurter Allgemein Zeitung wieder auf die Gemeinsamkeiten zwischen den frühtürkischen und frühdeutschen Schriften und Kulturen aufmerksam.4 Jedoch blieb die erforderte Aufmerksamkeit und Neugier in Deutschland bislang aus.
In der Türkei und Türkstaaten sind die türkischen Runen sehr beliebt und werden durch neue Funde und Entdeckungen immer beliebter. Sie gehören inzwischen zur türkischen Popkultur und sind öfter auf der Kleidung, als Schmuck und Tätowierungen bei Türken zu sehen. Besonders das Zitat „Türk“ in türkischer Runenschrift erfährt eine steigende Beliebtheit.
Zum Schutz der Denkmäler und damit jeder Mensch die türkischen Runendenkmäler in der Mongolei besichtigen kann, ließ die Türkei ab 2005 sogar eigens Straßen und Museen bauen. Dabei ist das Thema nicht nur geschichtlich, sondern auch gesellschaftlich überlebenswichtig. Sowie der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede zum Festakt des 60. Jubiläums des Anwerbeabkommens mit der Türkei zum Kennenlernen aufrief:
„Denn erst die Anerkennung, der Respekt voreinander und die Neugier auf eine andere Kultur tragen doch auf beiden Seiten dazu bei, Vorbehalte oder gar Ängste zu überwinden. Die Bereitschaft, engstirnigen Nationalismus und kulturellen Hochmut hinter sich zu lassen, auf andere zuzugehen, sich aufeinander einzulassen, voneinander zu lernen, ist die beste Voraussetzung für ein friedliches Miteinander und für eine bessere Zukunft. Diese bessere Zukunft wird es nicht geben, solange Ausgrenzung, Vorurteile, Ressentiments den Alltag unserer Gesellschaft immer noch durchziehen.“5
1 Wilhelm Carl Grimm, Über deutsche Runen, Göttingen 1821, S. 127f.
2 Carl Ritter, Die Erkunde von Asien 1, Berlin 1832, S. 1131.
4 Uwe Ebbinghaus, Das Geheimnis der alttürkischen Runen, FAZ.NET, 22.08.2019.
5 Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zum Festakt zum 60 jährigen Jubiläum des Anwerbeabkommens mit der Türkei in Berlin.