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Kommentar
Israel – und die Motivation für den Landraub in Palästina

Es wird angesichts des israelischen Vorgehens im Westjordanland von Tag zu Tag immer wichtiger, sich die Frage zu stellen, worin die Motivation Israels liegt.

(Symbolfoto: pixa)
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ein Gastkommentar von Michael Thomas

Es wird angesichts des israelischen Vorgehens im Westjordanland von Tag zu Tag immer wichtiger, sich die Frage zu stellen, worin die Motivation Israels liegt.

Die internationale Öffentlichkeit scheut das Thema, weil es dazu zwingt, sich grundsätzlichen Fragen nähern zu müssen, die u.a. natürlich auch religiöse Themen berühren. Mit Fug und Recht erinnert sich die ganze Welt an ihre Verfehlungen ihrer jüdischen Bevölkerung gegenüber nur zu gut. Nicht nur Deutschland hat sich in widerwärtiger Art gegen sie vergangen.

Aber wenn wir uns die Vernichtungen im Westjordanland ansehen, die momentan jeden Tag aufs Neue Hass und Tod säen, sind wir dazu gezwungen, uns den Motiven dafür zu stellen.

Nach meiner persönlichen Meinung treiben zwei Gründe die israelischen Aggressionen gegen Palästina insgesamt und gegen die palästinensischen Menschen an. Der erste besteht aus einem sehr trivialen Motiv: Landgier.

Israel selbst, in seinen Grenzen, die in der UN-Charta genau definiert sind, kann nur 29,5 Prozent seiner gesamten Landfläche landwirtschaftlich nutzen. Deutschland hat im Vergleich 44,7 Prozent zur Verfügung. (1)

Hinzu kommt, dass Israel derzeit keine Industrie aufbauen konnte, die den inländischen Bedarf an Konsum- und Gebrauchsgütern auch nur ansatzweise decken konnte. Es mangelt dem Land dramatisch an Rohstoffen; lediglich Erdöl, Phosphate, Kalisalz und Kaolin stehen in geringen Mengen zur Verfügung. Bislang versucht Israel, durch Investition in High-Tech-Innovationen Marktanteile zu gewinnen, um die extrem hohen Importe bezahlen zu können.

So gibt es interessante Entwicklungen im Rüstungsbereich, der sich recht früh entwickelte, um möglichen Importbeschränkungen mit Eigenproduktionen entgegenwirken zu können. Dazu entfaltete sich der IT-Bereich, der sich insbesondere mit Spionagesoftware etablieren konnte, mit der einerseits Palästinenser ausgeforscht und andererseits weltweit Kunden gefunden werden konnte.

Im Fazit bleibt festzustellen, dass Israel ohne die Annexion des Westjordanlandes, das mit seinen ausgedehnten, landwirtschaftlich nutzbaren Flächen eine dramatische Entspannung in der Versorgung Israels anbietet, langfristig nur ein langsames und schwerfälliges Wachstum generieren kann. Dazu bietet das Westjordanland größere Mengen Menschen, die bereits heute von „Siedler“-Farmen weit unterhalb des Mindestlohnes zu entwürdigenden, also kostengünstigen Konditionen benutzt werden.

Das zweite Motiv liegt in der Benutzung der Religion, vermutlich um das erste wirksam in Szene zu setzen. Weltweit existiert nirgendwo irgendeine Betrachtung der Motivation der israelischen „Siedler“ im Westjordanland. Niemand stellt die Frage, aus welchen Gründen diese jeden Tag aufs Neue brutal, grausam und mit großer Energie gegen Palästinenser vorgehen.

Dass es sich bei der dramatisch ansteigenden Zahl von neugegründeten und ausgebauten „Siedlungen“ im Westjordanland um eine stereotyp behauptete „Verteidigung gegen Terror“ handeln könnte, ist natürlich völlig auszuschließen. Man verteidigt sich nicht gegen Terror, in dem man in ein fremdes Land einfällt und die Bewohner von ihrem Besitztum fortjagt, ihre Habseligkeiten verbrennt und ihre Dörfer einreißt.

Im Jahre 2012 wurde in Israel das Buch „Torat Hamelech“ (übers.: „Des Königs Thora“) veröffentlicht und überaus heftig diskutiert (2). Es zeigt eindrucksstark, welches Gedankengut Teile der israelischen Gesellschaft in seinen Bann schlägt. Das Buch wurde international mit großem Befremden aufgenommen und wird von den meisten Juden der Welt dankenswerterweise brüsk zurückgewiesen.

Es ist eine Mischung aus rassistischen Grausamkeiten, die den Leser kopfschüttelnd zurücklässt. So ist darin die Rede davon, dass Juden angeblich zur Herrschaft über die Welt auserkoren und dazu bestimmt sind, gegnerische Kräfte ganz nach Belieben zu versklaven, zu handeln und zu erschlagen. Wenn, so das Buch, ein Feind „vorsorglich“ getötet werden müsse, so solle auch seine gesamte Nachkommenschaft sterben, selbstverständlich auch Kinder, einschließlich Babies, da sie sich sonst eines Tages zu Feinden entwickeln könnten:

„Man darf einen Nichtjuden umbringen, um das Leben eines Juden zu retten. Die jüdische Regierung darf sogar die eigenen Bürger töten, die im Krieg Fahnenflucht begehen, auch die Kinder des Feindes, damit sie nicht, wie ihre Eltern, später als Erwachsene den Juden schaden könnten. Im Kapitel „gezielte Ausschaltung von Unschuldigen“ erfährt man, dass alle Angehörigen des verfeindeten Volkes Feinde sind.“

Die Autoren dieses Buches, die Rabbiner Yitzak Shapira und Rabbiner Yosef Elitzur, leben in Jitzhar, einer israelischen „Siedlung“ im Westjordanland und die dortige Zeitung machte seinerzeit deutlich, dass mit dem Text nicht nur „Gojim“, also Nichtjuden, in biblischen Zeiten gemeint seien. Hier zeigt sich einmal mehr, dass die offenbar radikalsten und extremistischsten Umtriebe in israelischen „Siedlungen“ ihre Quelle haben.

Es muss allerdings in aller Deutlichkeit gesagt werden, dass diese Gruppierungen nur äußerst geringen Rückhalt in jüdischen Gemeinden finden und sich weltweit harter Kritik ausgesetzt sehen. Deshalb darf auf keinen Fall der Fehler begangen werden, „das Judentum“ mit diesem Buch zu assoziieren.

Trotzdem dürfte es einer der mächtigsten Antriebe für die gewaltsamen Übergriffe israelischer „Siedler“ gegen Palästinenser darstellen; wenn es auch nicht in Gänze umgesetzt wird, so vergiftet es in jedem Fall die Atmosphäre. Dass das Buch tatsächlich etwas bewirkt, erkennt man an dem bekannt gewordenen Skandal um die Ernennung des Oberst Eyal Karim in 2016. Karim vertrat öffentlich die Ansicht, dass israelischen Soldaten die Benutzung „attraktiver Nichtjüdinnen gegen ihren Willen“ durchaus zuzugestehen sei. (3)

Und dann wäre da noch der israelische Sportminister Miki Zohar zu nennen, der 2018 in einer Lobrede auf Benjamin Netanyahu öffentlich sagte: „Die israelische Gesellschaft gehört der jüdischen Rasse. Und die jüdische Rasse ist das klügste, verständigste und beste Humankapital.“ (4)

Auch die ehemalige Justizministerin Ayelet Shaked forderte, israelische Soldaten mögen gezielt auf palästinensische Mütter feuern, damit diese keine „Schlangen“ mehr zur Welt bringen und sie erklärte bei der gleichen Gelegenheit gleich das gesamte, palästinensische Volk zum „Feind“, gegen das Krieg geführt werden müsse. (5)

Die Liste vergleichbarer Äußerungen zum Teil hoch- und höchstrangiger Personen des öffentlichen, israelischen Lebens würde ganze Regale füllen. Was allerdings die Basis all dieser Ausfälle und für das Buch „Thorat Hamelech“ ist, wird international nirgendwo diskutiert oder erläutert. Man gewinnt den Eindruck, als gelte ein einvernehmlich vereinbartes Stillschweigen dazu. Der Laie ist insofern auf seine eigene Recherche angewiesen.

Einen mächtigen Hinweis finden wir im Tanach, im engsten Sinne versteht man die ersten fünf Bücher Mose darunter, so wie sie die christliche Lehre im Alten Testament findet. Das fünfte Buch, im Alten Testament Deutoronium und im Hebräischen Devarim genannt, enthält die folgende Passage (Kapitel 1, 7u.8):

„ … wendet euch und zieht hin, dass ihr zu dem Gebirge der Amoriter kommt und zu allen ihren Nachbarn im Jordantal, auf dem Gebirge und in dem Hügelland, im Südland und am Ufer des Meeres, ins Land Kanaan und zum Berge Libanon, bis an den großen Strom, den Euphrat. 8 Siehe, ich habe das Land vor euren Augen dahingegeben. Zieht hinein und nehmt das Land ein, von dem der HERR euren Vätern Abraham, Isaak und Jakob geschworen hat, dass er’s ihnen und ihren Nachkommen geben wolle.“

Wenn seitens extremistischer, israelischer Politiker und „Siedler“ auf religiöse Ideen verwiesen wird, denen sie entnehmen, sie müssten das beschriebene Land zwingend von allem Nichtjüdischen säubern, wird oder muss wohl diese Stelle gemeint sein.

Ohne Frage wird der Anspruch, diese zwar spirituelle, jedoch der Historie zugehörige Stelle in die Neuzeit umzusetzen, von dem überwältigenden Teil aller Juden der Welt nicht nur nicht anerkannt, sondern sogar empört zurückgewiesen. Aber diese Diskussion findet, wenn überhaupt, nicht in der Öffentlichkeit statt.

Zach Weinstein, ein jüdischer Gemeindeorganisator und Autor mit Sitz in der kalifornischen East Bay, veröffentlichte im 972Magazine einen Essay, der zu folgendem Schluss kam:

„Es ist klar, dass rechte Unterstützer Israels nicht aufhören werden, bis jegliche Kritik an Israel zum Schweigen gebracht und als Antisemitismus definiert wird, und sie haben keine Angst davor, fortschrittliche Juden im Dienste dieses Ziels zu verunglimpfen und anzugreifen. Sie könnten mit ihrer Mission Erfolg haben, wenn fortschrittliche Juden auf der ganzen Welt – die am besten im Kampf gegen Antisemitismus positioniert sind – keine konzertierten Anstrengungen unternehmen, um die Idee in Frage zu stellen, dass jüdisch zu sein bedeutet, die israelische Regierung und ihre Politik zu unterstützen und dies in Frage zu stellen“ (6)

Es ist unklar, wie groß die Opposition gegen die Politik von Israel weltweit ist. Viele jüdische Organisationen, Institutionen, Gemeinden, Rabbis und deren Vereinigungen halten sich aus Angst vor Repressalien bedeckt und wenden sich von dem Thema Israel ab. Sie wollen nicht Gefahr laufen, einerseits wegen ihres nachhaltigen Schweigens dazu in der Vergangenheit Fragen gestellt zu bekommen oder dem Verdacht ausgesetzt zu werden, sie seien, und das ist geübter Sprachgebrauch, „Unjuden“, „Alibijuden“ oder gar „Verräter“.

Allerdings kommt Bewegung in die Sache, da auf all diese Vorgenannten erheblich anwachsender Druck lastet, denn vor allem jüngere Mitglieder stellen das Thema Israel zunehmend, hartnäckiger und starrsinniger auf die Agenda. Vor allem nachwachsende Kräfte wollen nicht, dass ihr Jüdischsein mit dem Schrecken im Westjordanland assoziiert wird.

Bisher verhindert und vermeidet die proisraelische Politik Europas und der USA einen offenen Diskurs dazu und fordert ihn auch nicht ein. Nach Ansicht nicht weniger verursacht dies neuen, nicht minder gefährlichen Antisemitismus, da diese Handlungsvermeidung zunehmend Juden unter den Verdacht setzt, dass sie „eben so seien, die Juden“.

Es wird Zeit, die Frage nach der Motivation für das, was im Westjordanland geschieht, offen zu stellen.


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.


Zum Autor 
Michael Thomas ist Privatier, Fotograf, leidenschaftlich an Ägyptologie und Literatur interessiert, mit der er vor vielen Jahren als Autor regional einige Beachtung fand. Er verfolgt interessiert das Weltgeschehen durch Beobachtung internationaler Presse. Seinen Fokus legt er insbesondere auf die Palästinafrage und auf die islamische Welt.

 

  1. https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/Tabellen/Basistabelle_LWFlaeche.html
  2. https://www.deutschlandfunkkultur.de/des-koenigs-thora-100.html
  3. https://www.20min.ch/story/extremer-chef-rabbiner-fuer-israels-armee-190808412039
  4. https://de.m.wikipedia.org/wiki/Miki_Zohar
  5. https://de.globalvoices.org/2015/05/15/israelische-politikerin-die-auf-facebook-zum-volkermord-an-palastinensern-aufgerufen-hat-ist-nun-justizministerin/
  6. https://www.972mag.com/us-jews-progressive-silent-israel/