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NEX24-Exklusivinterview
DEB-Parteichefin Asafoğlu: Griechenland hält sich seit 100 Jahren nicht an den Lausanner Vertrag

Im Interview mit NEX24 kritisiert die Vorsitzende der DEB-Partei, Çiğdem Asafoğlu, die Dreiprozentklausel zum Einzug ins griechische Parlament, die sie für antidemokratisch hält.

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Im Interview mit NEX24 kritisiert die Vorsitzende der DEB-Partei, Çiğdem Asafoğlu, die Dreiprozentklausel zum Einzug ins griechische Parlament, die sie für antidemokratisch hält. Den griechischen Regierungen wirft Asafoğlu eine „kontinuierliche Unterdrückung“ der türkisch-muslimischen Minderheit vor.

Çiğdem Asafoğlu wurde am 17. November 1987 geboren. Nach dem Besuch der Grundschule im Dorf Kireççiler (Xrysa) bei İskeçe/Xanthi, machte Asafoğlu später Abitur an einem Gymnasium in İskeçe. Sie studierte Philosophie und Pädagogik an der Aristotelio-Universität in Thessaloniki (Selanik).

Ihre politische Karriere begann in der DEB-Partei, die vom Arzt und Menschenrechtsaktivisten Dr. Sadık Ahmet 1991 gegründet wurde und sich für die Rechte der türkisch-muslimischen Minderheit im Nordosten Griechenlands einsetzt. Auf dem Parteitag der DEB-Partei wurde Çiğdem Asafoğlu am 5. Januar 2019 zur neuen Parteichefin gewählt.

Frau Asafoğlu, die türkische Community in Westthrakien macht schwere Zeiten durch. Was sind die wesentlichen Probleme der türkischen Minderheit in Westthrakien?

Die Schwierigkeiten in der Welt haben auch ihre Spuren bei der türkischen Community in Westthrakien hinterlassen. Hinzu kommt, dass die bestehenden Probleme der türkischen Minderheit in Westthrakien nicht gelöst sind, was den Schwierigkeitsgrad noch erhöht.

Wie Sie wissen, wurde die türkisch- muslimische Minderheit in Westthrakien mit dem am 24. Juli 1923 unterzeichneten internationalen Vertrag von Lausanne unter die Obhut des griechischen Staates gestellt, wobei die Menschenrechte und Freiheiten, insbesondere das Recht auf Religionsausübung und Bildung garantiert wurden.

In den vergangenen 100 Jahren hat sich Griechenland nicht an den Vertrag gehalten. Sie hat die türkisch-muslimische Minderheit in Westthrakien auf wirtschaftlichem, bildungspolitischem, religiösem, identitätsstiftendem, sozialem und politischem Gebiet kontinuierlich unterdrückt und die bestehenden Rechte der Minderheit beraubt.

Es sind die Angehörigen der Minderheit, die am meisten von der Wirtschaftskrise in unserem Land betroffen sind. Daher ist es wichtig, Hochschulabsolventen im öffentlichen Sektor zu beschäftigen, dafür zu sorgen, dass unsere Landwirte angemessen von den EU-Mitteln profitieren und wirtschaftlich in Westthrakien, die als der rückständigsten Region Griechenlands gilt, zu investieren.

Was die politische Vertretung anbelangt, so gibt es eine antidemokratische nationale Dreiprozentklausel, die ein großes Hindernis für das Recht der Minderheit darstellt, zu wählen, [aktives Wahlrecht] und gewählt zu werden [passives Wahlrecht].

Die Tatsache, dass das Minderheitenschulwesen nicht im Einklang mit den durch den Vertrag von Lausanne gewährten Rechten im Bildungsbereich und den Wünschen der Minderheit behandelt wird, dass die erforderlichen Minderheiten-Mittelschulen und Gymnasien nicht realisiert werden und dass Kindergärten, die zweisprachigen türkisch-griechischen Unterricht anbieten, nicht eröffnet werden, sind ernsthafte Probleme, die unsere Minderheit im Bildungsbereich erfährt. Leider gehören auch andere wichtige Themen wie die Probleme des Muftiamtes und der Stiftungen zu den derzeit ungelösten Problemen.

Was schlägt ihre Partei konkret vor, um die Probleme zu lösen und welche Anstrengungen hat die DEB-Partei unternommen?

Die DEB-Partei ist eine legale politische Partei in diesem Land. In diesem Sinne hat sie das Recht, ihre Tätigkeit frei auszuüben und die Rechte, die nicht gewährt werden, zu äußern. Als Partei versuchen wir, die Probleme zum Ausdruck zu bringen und nach Lösungen zu suchen, indem wir Pressemitteilungen zu den auf der Tagesordnung stehenden Themen veröffentlichen und vor allem, indem wir über die Europäische Freie Allianz EFA parlamentarische Anfragen im Europäischen Parlament einreichen.

Der verstorbene Führer der türkischen Minderheit in Westthrakien, Dr. Sadık Ahmet, gründete die DEB-Partei in einer Zeit, in der die Rechtsverletzungen sehr stark waren. Daher wird die DEB-Partei, deren Ziel es ist, die Rechtsverletzungen zu beseitigen und dafür zu sorgen, dass die Menschen in einer Demokratie leben, seit ihrer Gründung sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene weiter tätig sein.

Sie wird sich weiterhin um Rechte an Plattformen bemühen. Die DEB-Partei ist der wichtigste politische Vertreter der Türken in Westthrakien und hat dies sowohl bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 als auch 2019 bewiesen. Sie wurde die erste Partei in den Provinzen Rodopi und İskeçe. Dies zeigt uns, dass die DEB-Partei der wichtigste politische Vertreter des Volkes ist.

Nächstes Jahr finden in Griechenland Parlamentswahlen statt. Welche Ziele verfolgt ihre Partei?

Wie jede politische Partei ist eines der wichtigsten Ziele der DEB-Partei der Einzug in das Parlament. Ich glaube, dass dies in naher Zukunft realisiert werden kann. Wenn dieses Ziel erreicht ist, wird es vielleicht eher möglich sein, direkte Lösungen vorzuschlagen. Die Lösung der aktuellen Probleme muss jedoch zunächst mit dem Abbau von Vorurteilen und der Einstellung gegenüber den westthrakischen Türken beginnen.

Der wichtigste Lösungsvorschlag der DEB-Partei ist der Dialog. Wir sind der Meinung, dass jede Entscheidung, die mit der Minderheit in Westthrakien getroffen werden muss, im Dialog mit der Minderheit in Westthrakien getroffen werden sollte, mit anderen Worten, wir glauben, dass die Probleme mit der Demokratie sich auflösen werden.

Bei den Wahlen 2023 wollen wir auf die Wünsche und Erwartungen unserer Bürger eingehen. Wie Sie wissen, gibt es in unserem Land eine Sperrklausel von 3 Prozent. Das macht es uns unmöglich, allein ins Parlament einzuziehen. Wir haben jedoch die Möglichkeit, durch eine Koalition [Allianz] mit einer Partei oder Personen, die ähnlich wie wir denken, in das Parlament einzuziehen. Wir arbeiten an diesen Möglichkeiten.

In Griechenland wurde 1993 das Wahlgesetz geändert und eine 3-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament eingeführt. Was haben Sie als DEB-Partei für die Abschaffung dieses antidemokratischen Gesetzes getan oder planen Sie zu tun? Die EU beabsichtigt Minderheitenprobleme in Zusammenhang mit parlamentarischen Sperrklauseln abzuschaffen. Wie ist dazu der aktuelle Stand?

Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament ist es unserer Partei gelungen, in Gümülcine/Komotini und İskeç/Xanthi mit 42.000 Stimmen den ersten Platz zu belegen. Diese in Griechenland erhaltenen Stimmen entsprechen prozentual 0,75 Prozent. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass es unmöglich ist, mit diesem Prozentsatz innerhalb der Grenzen Griechenlands ins Parlament zu gelangen.

Ich möchte hier eine eigene Klammer aufmachen: Die Türken in Westthrakien haben nicht das Recht, im griechischen Parlament im Verhältnis zu ihrer Bevölkerung vertreten zu sein. Die Sperrklausel von 3 Prozent ist eine der Praktiken, die die Vertretung der Türken aus Westthrakien im griechischen Parlament einschränken.

Die türkische Minderheit in Westthrakien, die zwischen den Wahlen von 1927 und 1989 durch den Beitritt zu einer Partei zwei Abgeordnete stellen konnte, nahm an den Wahlen von 1989 zum ersten Mal unabhängig teil und erhielt einen Abgeordneten. Das System der Länderhürden, das unmittelbar nach diesen Wahlen eingeführt wurde, wurde bei den Wahlen von 1993 auch auf unabhängige Kandidaten angewandt, und es wurde für die Minderheit unmöglich, einen unabhängigen Abgeordneten zu stellen.

Denn um 3 Prozent der Stimmen im Land zu erhalten, sind etwa 200.000 Wählerstimmen erforderlich. Die Bevölkerungszahl der Minderheit bleibt unter dieser Zahl. Am 18. Juni 1989 wurde der verstorbene Sadik Ahmet zum ersten unabhängigen Abgeordneten der westthrakischen Türken ohne Schwellenwert gewählt. Damit wurde die Verpflichtung, einen Abgeordneten der griechischen Parteien zu stellen, verletzt.

Bei den Wahlen 1993, als Sadık Ahmet an der neu eingeführten Sperrklausel scheiterte, wurde die Partei für Freundschaft, Gleichheit und Frieden (DEB) gegründet. Die DEB-Partei scheiterte jedoch auch an der Hürde, da die türkische Minderheit mit ihren 150.000 Einwohnern keine 200.000 Stimmen auf sich vereinigen konnte. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass sie dazu in Zukunft nicht in der Lage sein wird. Wie ich bereits erwähnt habe, könnte es durchaus sein, diese Schwelle durch eine Koalition mit gleichgesinnten Parteien zu überwinden.

Es gibt eine starke Auswanderung aus Griechenland in andere EU-Mitgliedsstaaten. Gibt es Anzeichen dafür, dass diese Auswanderung im Allgemeinen zu einer Stärkung der DEB-Partei als politische Kraft beiträgt? Fall ja, in welcher Phase ist es derzeit?

Die Abwanderung ist auf sehr offensichtliche Weise zu einer blutenden Wunde unserer Minderheit geworden. Zunächst müssen die Faktoren ermittelt werden, die die Migration verursachen, und es müssen ernsthafte Studien in der Region durchgeführt werden. Besonders der Unterschied in der Abwanderungsrate unserer Landsleute, die der türkischen Minderheit in Westthrakien angehören, im Vergleich zur Mehrheit ist beunruhigend.

Wir haben nicht feststellen können, dass die zu diesem Zweck eingerichtete Kommission für die Entwicklung von Thrakien in der Lage war, einen konkreten Schritt zu unternehmen, um die Abwanderung zu stoppen. Immer mehr Gewerbetreibende schließen ihre Läden, die Landwirte erhalten nicht die notwendige Unterstützung, das Gewerbegebiet wird nicht entwickelt, und infolgedessen ist die Abwanderung unvermeidlich. Als Partei bringen wir dies stets zum Ausdruck und leiten unsere Forderungen an die notwendigen Stellen weiter. Die wirklichen Probleme werden jedoch ignoriert und ohne Dialog vor vollendete Tatsachen gestellt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führten die Redakteure Kemal Bölge und Mehmet Küçük.

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