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Gastbeitrag
Wer ist für die Spannungen über dem Ägäischen Meer verantwortlich?

Immer wieder werfen griechische Regierungen der Türkei vor, den griechischen Luftraum verletzt zu haben und für Spannungen über dem Ägäischen Meer verantwortlich zu sein. Wie stichhaltig sind die Anschuldigungen?

(Screenshot/Wikipedia)
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Ein Gastbeitrag von Kemal Bölge

Immer wieder werfen griechische Regierungen der Türkei vor, den griechischen Luftraum verletzt zu haben und für Spannungen über dem Ägäischen Meer verantwortlich zu sein. Wie stichhaltig sind die Anschuldigungen?

Am vergangenen Freitag berichteten griechische Medien, türkische Kampfflugzeuge hätten den griechischen Luftraum über der Ägäis überflogen. Eigentlich nichts Neues sollte man meinen, denn die Vorwürfe über vermeintliche Verletzungen des griechischen Luftraums werden seit Jahrzehnten erhoben. Die griechische Tageszeitung Kathimerini berichtete in ihrer Freitagsausgabe vom 14. Januar unter Berufung auf den griechischen Generalstab, dass an diesem Tag „14 Rechtsverstöße“ durch türkische Flugzeuge festgestellt worden seien.

Bei sechs dieser Verstöße handle es sich um Verletzungen des Luftraums. Am Freitagnachmittag wäre, so Kathimerini, eine türkische Drohne in die Fluginformationsregion Athen „eingedrungen“, ohne dabei einen Flugplan übermittelt zu haben. Darüber hinaus hätten F-16 Kampfflugzeuge, eine F-4s Phantom, vier Hubschrauber und ein Seeaufklärer des Typs Airbus CN-235 der türkischen Luftwaffe und Marine die Fluginformationsregion Athen verletzt.

Aus der Fluginformationsregion (FIR) leiten sich keine Souveränitätsrechte ab

Was in dem Bericht von Kathimerini nicht erwähnt wird: Bei der Fluginformationsregion Athen handelt es sich eine Luftraumkontrolle, bei dem Flugkontrollstellen die technische Überwachung sowie Lenk- und Sicherungsfunktionen des Luftverkehrs wahrnehmen, Souveränitätsrechte leiten sich daraus nicht ab.

Es kommt noch ein Widersinn hinzu, denn Griechenland beansprucht für seinen Luftraum 10 Seemeilen, was wiederum die Türkei in Anlehnung an das Chicagoer Abkommen für die internationale Zivilluftfahrt nicht anerkennt und auf die 6 Seemeilen-Praxis im Ägäischen Meer verweist. Daher dürfe Athen nur 6 Seemeilen Luftraum beanspruchen.

US-Autoren: Die meisten Staaten, einschließlich der USA, erkennen die Ausdehnung des Luftraums von Griechenland auf 10 Seemeilen nicht an

Die USA erkennen ebenfalls den griechischen Anspruch auf 10 Seemeilen in der Luft nicht an. In ihrem Buch „Expressive Maritime Claims“ von J. Ashley Roach und Robert W. Smith (Third Edition, S. 347) erläutern die Autoren, weshalb die meisten Staaten den Anspruch Griechenlands auf 10 Seemeilen Luftraum nicht anerkennen. In einem Absatz der Publikation heißt es:

„Greece claims a 10-mile airspace around its Aegean islands. Most countries, including U.S., do not recognize the 10-mile airspace. The general rule, which most countries, including the U.S. recognize, is that airspace should be equal to the territorial sea. Greece claims a six-mile territorial sea around its Aegean Islands.“

Ein Aufsatz von George Assonitis (The Greek Airspace: The Legality of „Paradoxs“), der im Journal of Legal Studies der Akademie der U.S. Air Force erschien, verweist auf die Standpunkte der USA und der Türkei, da beide Länder in dem Anspruch Griechenlands auf eine 10-Meilen-Grenze in der Luft einen Verstoß gegen die Regeln des internationalen Sorgfalts- und Wettbewerbsrechts sehen, weil die Grenzen des territorialen Luftraums mit denen der Territorialgewässer übereinstimmen müssten.

Assonitis erklärt:

„Both, U.S. and Turkey, do not recognize the ten nautical mile limit oft he Greek airspace (they view as contrary to the rule of international customary and conventional law which provides that territorial airspace should correspond with territorial sea limits).“

Politikanalyst Thodoros Tsikas: Widerspruch Griechenlands zwischen Territorialgewässern und Luftraum

In einem Artikel der Heinrich-Böll-Stiftung („Is there a solution to the Aegean dispute“) verweist der Politikanalyst und Experte für internationale Beziehungen, Thodoros Tsikas, auf den Widerspruch Griechenlands zwischen den sechs Seemeilen Territorialgewässern in der Ägäis und eine 10-Seemeilengrenze für seinen Luftraum zu beanspruchen.

Einem breiten Spektrum von Kräften in Griechenland sei diese Diskrepanz aufgefallen, weil dies zu ständigen Spannungen in der Ägäis führe und keine internationale Unterstützung habe. Tsikas betont:

„On the other hand, the 10-mile range of Greek airspace that was established by a simple Presidential Decree in 1931 on the ‘policing of civil aviation’ is a global paradox, since Greek territorial waters only extend to 6 miles. The realization has matured, among a broad spectrum of forces in Greece, that the discrepancy between airspace and the underlying territorial waters creates complications, is a constant source of tensions in the Aegean, and does not have international support.“

Die rhetorische Polarisierung und historische Türkenfeindschaft in Griechenland verhindern eine Lösung mit der Türkei

Griechenland klammert sich an ein Dekret aus dem Jahre 1931, wonach der griechische Luftraum 10 Seemeilen beträgt, nur erkennen das die meisten Staaten nicht an. Selbst die NATO erkennt nur einen Luftraum von 6 Seemeilen an, was bei NATO-Manövern schon zu Beschwerden der griechischen Regierung geführt hat, aber am Standpunkt der Vereinigten Staaten oder der Türkei hat sich nichts geändert.

Fast jeden Tag fliegen türkische Maschinen über der Ägäis und griechische Flugzeuge versuchen diese daran zu hindern, obwohl die Türkei sich an die sechs Seemeilen über dem Luftraum hält. In regelmäßigen Abständen werfen griechische Regierungen der Türkei vor, für Spannungen in der Ägäis verantwortlich zu sein, jedoch zeigt das Fallbeispiel des Luftraums, dass Athen selbst die Spannungen erzeugt, weil es internationale Verträge und Normen missachtet bzw. ignoriert.

Eine Lösung des Konflikts könnte darin bestehen, Verhandlungen zwischen beiden Ländern zu führen, jedoch ist die Bereitschaft in Griechenland nicht sehr groß, weil durch eine rhetorische Polarisierung politischer Parteien und Entscheidungsträger die Thematik an sich sowie eine historische Türkenfeindschaft eine mögliche Lösung eher behindert. Seit geraumer Zeit finden Gespräche zwischen beiden Ländern statt, was grundsätzlich zu begrüßen ist, allerdings ist die Wahrscheinlichkeit als gering einzustufen, dass substanzielle Fortschritte dabei erzielt werden.

Ein weiterer Faktor, der eine Einigung verhindert, ist die EU-Mitgliedschaft Griechenlands. Seit dem EU-Beitritt 1981 versucht es, die Probleme zwischen beiden Ländern auf die Agenda der EU zu bringen, um politische Zugeständnisse von Ankara zu erwirken, ohne selbst etwas auf den Verhandlungstisch bringen zu müssen.


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar


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