Start Politik Ausland Syrienkrieg Kommentar: Angriff auf türkische Armee ohne das Wissen Russlands nicht möglich

Syrienkrieg
Kommentar: Angriff auf türkische Armee ohne das Wissen Russlands nicht möglich

"James Jeffrey, der US-Sondergesandte für Syrien, ist ein sehr erfahrener Diplomat. Doch was Jeffrey am Dienstag vor der Presse in Ankara in die Mikrofone sprach, hörte sich nicht wirklich glaubwürdig an." Ein Kommentar.

(Archivfoto: msb)
Teilen

Ein Gastkommentar von Kemal Bölge – kboelge@web.de

James Jeffrey, der US-Sondergesandte für Syrien, ist ein sehr erfahrener Diplomat. Doch was Jeffrey am Dienstag vor der Presse in Ankara in die Mikrofone sprach, hörte sich nicht wirklich glaubwürdig an.

Der US-Sondergesandte hatte laut türkischen Medien erklärt, die USA hätten kein Interesse an einem Sturz von Präsident Assad. Das entspricht keinesfalls der Wahrheit, denn die Amerikaner wollten ab 2011 mit der CIA Operation Timber Sycamore tatsächlich Assad aus dem Amt jagen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden aus der ganzen Welt radikale islamistische Terroristen nach Syrien eingeschleust, bis Russland 2015 in Syrien intervenierte.

Dabei unterstützten die USA und einige westliche Staaten massiv die Terrororganisation PKK/YPG, um einen kurdischen Staat zu errichten. Damit die Türkei und andere Nachbarstaaten keinen Verdacht schöpften, wurde eine andere Terrororganisation, der Islamische Staat (IS), unterstützt.

Mit brutaler Vorgehensweise und Morden eroberte der IS weite Teile vom Irak und Syrien und dann wurde mit einer cineastischen Dramaturgie die PKK/YPG vorgeschickt, um den „bösen IS“ zu besiegen. Aber all das wurde vorher bis ins kleinste Detail geplant und umgesetzt. Immer wieder wurde der „Kampf gegen den IS“ wiederholt, obwohl dieser Begriff, wie ich in einem vorherigen Artikel bereits dargelegt hatte, das Codewort für die Errichtung eines kurdischen Staates war.

In den letzten Wochen kam es zu Angriffen des Assad-Regimes in der syrischen Provinz Idlib auf Beobachtungsposten und militärische Konvois der türkischen Armee. Wegen der Zukunft Syriens und der militärischen Deeskalation in der Provinz Idlib, fanden zwischen der Türkei, Russland und dem Iran mehrere Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs statt.

Die Zusammenkunft der drei Staaten war ein deutliches Signal an die USA gewesen, die nach dem gewaltsamen Sturz der Diktatoren im Irak und in Libyen die Assad-Regierung stürzen wollte. Was die drei Staatschefs zusammenbrachte, war die Außenpolitik Washingtons gegenüber diesen drei Ländern. Russland versuchte eine Annäherung der Regierungen Syriens und der Türkei herzustellen, was aber misslang, weil sich beide Seiten misstrauen und auch der Iran sich dagegen ausgesprochen hat.

Die Türkei errichtete in der syrischen Provinz Idlib militärische Beobachtungsposten, um einerseits einen Angriff der Assad-Armee auf die Provinz zu verhindern und andererseits die Flucht von über einer Million Syrern in die Türkei aufzuhalten. Das ist verständlich und nachvollziehbar, denn in der Türkei leben bereits weit über 6 Millionen syrische Flüchtlinge.

Was bedeuten die Angriffe auf die türkische Armee?
Die Türkei hat eine über 900 Kilometer lange Grenze mit dem Nachbarland Syrien und sie hat wegen der Bedrohung durch die PKK/YPG in den vergangenen Jahren mehrmals militärisch interveniert. Es mag für einen Laien etwas kompliziert erscheinen, aber die Türkei hat in den vergangenen 40 Jahren mit dem blutigen Terror der PKK bittere Erfahrungen gesammelt.

Diese Terrororganisation wird von den USA, zahlreichen EU-Staaten, Israel, dem Iran, von Russland und anderen Staaten unterstützt. Die türkische Armee ist in Syrien präsent und darüber hinaus berät und unterstützt sie die von den Vereinten Nationen anerkannte Regierung in der libyschen Hauptstadt Tripolis.

Das ist anderen Akteuren, die in Libyen Warlord Haftar militärisch, finanziell und logistisch unterstützen, schon seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge. Ein Akteur in Libyen ist Russland, das nach Presseberichten mit einer Söldnerarmee namens Wagner vor Ort sein soll. Da das Assad-Regime in Damaskus ohne russische Unterstützung schon längst besiegt wäre, konnte Russland seinen Einfluss in Syrien deutlich ausbauen.

Es wäre nicht übertrieben zu behaupten, dass der eigentliche Akteur in Syrien Moskau ist. Machthaber Assad ist ein Präsident unter Präsident Putins Gnaden. Der Angriff auf die türkische Armee im syrischen Idlib ist ohne einen Befehl oder das Wissen Russlands nicht möglich. Mit dem Angriff auf die türkische Armee in Syrien, möchte Russland der Türkei eine Warnung in Richtung Libyen aussprechen, da Russland dort General Haftar unterstützt. Die Angriffe können auch ein Ablenkungsmanöver Russlands sein, um die Kräfte der türkischen Armee und der Verantwortlichen auf Syrien zu lenken.

Die türkische Armee hat an der Grenze zu Syrien mit Tausenden von Soldaten, Panzern und gepanzerten Fahrzeugen Stellung bezogen. Die USA wollten von Anfang an Syrien destabilisieren und letztendlich teilen. Jetzt herrscht Panik, weil die Türkei es ernst meint mit einer Militäroperation gegen das Assad-Regime. Russland setzt auf Assad, weil sie genau wissen, dass es ohne ihn schwer wird in Syrien dauerhaft zu bleiben.

In den westlichen Medien ist immer wieder die Rede von radikalen islamistischen Terroristen, die sich in Idlib und in der Region verschanzen würden. Es geht bei der mit russischer Unterstützung durchgeführten Offensive der Assad-Armee und iranischer Milizen nicht um islamistische Terroristen in Idlib, sondern um die endgültige Vertreibung bzw. Säuberung dieser Region von Syrern sunnitischen Glaubens.

Die syrischen Einwohner der Region Idlib sind, wie dargelegt, mehrheitlich sunnitische Moslems und stehen gegenüber dem Assad-Regime oppositionell gegenüber. Über 800.000 sunnitische Syrer aus Idlib sind bereits in Richtung Türkei geflohen und eine weitere Million syrischer Flüchtlinge wartet an der syrisch-türkischen Grenze.

Die in der Türkei lebenden über 6 Millionen Syrer sind ebenfalls mehrheitlich Sunniten. Derer will sich das Assad-Regime in der Region Idlib endgültig entledigen. Machthaber Assad ist alawitischen Glaubens und hat den Rückhalt in der alawitischen syrischen Bevölkerung. Wenn es irgendwann einmal „freie Wahlen“ geben sollte, was stark bezweifelt werden darf, würden die sunnitischen Syrer Assad wohl nicht wählen. Also werden Fakten geschaffen und mit Gewalt ethnische und religiöse Vertreibungen durchgeführt und somit die demografischen Strukturen in Syrien verändert.

Wenn Millionen von Syrern nicht mehr in ihre alte Heimat zurückkehren können, wäre vom alten Syrien nichts mehr übrig. Vielleicht hat Assad einer Teilung Syriens bereits zugestimmt und will sich um jeden Preis an der Macht halten. Aus diesem Grund brauchen die USA wahrscheinlich so jemanden wie Assad, um das Ziel einer Teilung Syriens zu erreichen.

Eine Teilung Syriens ist genau das was die USA, Israel und andere westliche Staaten seit Jahren propagieren und darauf hinarbeiten. Der Besuch des US-Sondergesandten Jeffrey sollte Ankara davon abhalten in Syrien militärisch zu intervenieren, weil die türkische Regierung die Errichtung eines PKK-Staates als nicht hinnehmbar bezeichnet hat.

Der Astana-Sotschi-Prozess wurde zu Grabe getragen, weil Syrien, Russland und der Iran sich nicht daran gehalten haben. In Teheran dürfte die Freude über das Ende des Astana-Sotschi-Prozesses am Größten sein, denn der Iran hat die Intensivierung der türkisch-russischen Beziehungen mit Argusaugen beobachtet und die PKK gegen die Türkei unterstützt. Auch die USA sind über das Ende des Astana-Sotschi-Prozesses nicht unglücklich, denn eine regionale Kooperation dieser drei Staaten erschwert die Verwirklichung der US-amerikanischen Pläne für den Nahen Osten.

Syriens Machthaber Assad ist nicht an einer Einheit Syriens interessiert, sonst würde er die mehrheitlich von sunnitischen Syrern bewohnte Region Idlib nicht erobern wollen. Selbst wenn Assad Idlib und andere Landesteile erobern sollte, wird dieses Syrien nicht das Land sein, was es vor dem Bürgerkrieg einmal war.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


Auch interessant

– Wirtschaft –
Corona-Virus: Auftragsplus von rund zwei Milliarden Euro für türkische Textilindustrie

Die türkische Textilindustrie erwartet wegen der Auswirkungen des Coronavirus einen Auftragszuwachs von bis zu zwei Milliarden US-Dollar, so das Handelsblatt am Donnerstag.

Corona-Virus: Auftragsplus von rund zwei Milliarden Euro für türkische Textilindustrie