Start Politik Ausland Kommentar Recep Tayyip Erdoğan, Fethullah Gülen und der 15. Juli 2016

Kommentar
Recep Tayyip Erdoğan, Fethullah Gülen und der 15. Juli 2016

Am 15. Juli 2016 starteten Uniformierte des türkischen Militärs einen folgenschweren Putschversuch. Der Putsch scheiterte, doch die Ansicht, der türkische Präsident habe Fethullah Gülen als Steigbügelhalter benutzt, grassiert nach wie vor.

(Archivfoto: tccb)
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Von Nabi Yücel

Um zu verstehen, wie Recep Tayyip Erdoğan zu Fethullah Gülen stand, muss man bis in die jüngste Geschichte der AKP – deutsch: Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung – zurückblicken. Hierzu teile ich einen Artikel von Murat Ongun mit, der im investigativen Online-Nachrichtenportal Oda TV veröffentlicht wurde.

Es ist Mai 2000, Erdoğan sucht nach Verbündeten, um die Gründung der AKP zu festigen. Er sucht den Rat und die Unterstützung von politischen Größen in den USA, auch von Fethullah Gülen, dem Sektenführer der Gülen-Bewegung, der in den USA lebt.

Erdoğan macht sich mit einem seiner politischen Weggefährten auf den Weg in die USA und trifft sich dabei auch mit Gülen. Bei dem Treffen spricht sich Erdoğan mit Gülen aus und teilt mit, sich von Necmettin Erbakan loslösen und eine neue Partei gründen zu wollen. Erdoğan wird aber enttäuscht, die Erwartungshaltung wird in dem Gespräch mit Gülen nicht erfüllt, die Unterredung verläuft sogar kühl. Erdoğan begibt sich mit seinem Weggefährten in den Fahrstuhl und auf dem Weg nach unten sagt Erdoğan gegenüber seinem Vertrauten, dass man zuallererst „mit denen“ fertig werden muss.

Es vergehen 19 Jahre. Just nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016, meldet sich Fethullah Gülen am 16. Juli 2016 in einem TV-Interview zurück und sinniert über diesen. Darin verwendet Gülen genau den Satz, den Erdoğan nach seiner Erinnerung zufolge im Fahrstuhl gesagt haben soll.
Offenbar teilte der Weggefährte von Erdoğan Fethullah Gülen sofort mit, was er ihm im Fahrstuhl in Zusammenhang mit seiner Wenigkeit mitgeteilt hatte. Erdoğan wird sich wohl erinnern, mit wem er in den Fahrstuhl stieg, dem Weggefährten, der die Parteigründung der AKP mitbeschritten hatte. Es ist nicht bekannt, um wem es sich handelt und ob Erdoğan mit ihm noch Kontakt hat.

Es ist aber offensichtlich, dass die Gülen-Bewegung bereits in der AKP eingenistet war, ehe die Partei gegründet wurde. Fethullah Gülen hat ungewollt das im TV-Interview zum Ausdruck gebracht. Wenn Erdoğan nach dem gescheiterten Putschversuch erklärte, „betrogen“ worden zu sein, dann muss man das in diesem Zusammenhang betrachten. Die AKP war von der Gülen-Bewegung bereits während der Gründungsphase infiltiert wie bereits das Militär oder das Sicherheits- wie Justizapparat.
Es ist also offensichtlich, dass Erdoğan 16 Jahre lang von Menschen umgeben war, die für die andere Seite arbeiteten. Es war auch folgerichtig, als Erdoğan nach dem gescheiterten Putschversuch sich nicht nur von seiner rechten oder linken Hand trennte, sondern ungeachtet der Kritik zu seinem entschlossenen Vorgehen gegen die FETÖ/PDY, jedwede Person in diesem Zusammehang bislang verfolgte und den Strafverfolgungsbehörden überstellte.

Erstmals räumte Erdoğan innerhalb seiner Partei auf, als er Ahmet Davutoğlu nach dem Putschversuch anwies, seinen Berater und ehemaligen Botschafter Gürcan Balık vom Amt zu entfernen. Nur einen Monat später leitete die Generalstaatsanwaltschaft in Ankara ein Ermittlungsverfahren gegen Balık ein, der in Untersuchungshaft in Zusammenhang mit der FETÖ/PDY mündete.

In diesem Zusammenhang sei noch mal darauf hingewiesen, dass die Ansicht von Ongun, Erdoğan sei „betrogen“ worden, auch andere auf sich münzen wollten und wollen, wenn auch in angelehnter Form. Unter anderem die 300 Akademiker, die die Operationen der Justiz gegen Akademiker, Journalisten, Militärs oder Rechtsanwälte und Politiker in Zusammenhang mit der „Ergenekon“ forderten und damit der FETÖ/PDY indirekt Schützenhilfe leisteten. Oder die Strafanzeige zahlreicher Journalisten, darunter auch FETÖ-Mitgliedern, die ja das „Balyoz“-Verfahren erst ermöglichten und damit den Ausverkauf der türkischen Armee einleiteten. Wurden diese Figuren auch „betrogen“, als sie die Strafanzeige, nur eine Woche nach bekannt werden der mutmaßlichen Balyoz-Affäre durch die Publikation durch die Tageszeitung Taraf, stellten? Zumindest berufen sie sich darauf, aber Erdoğan darf sich nicht darauf berufen?

Der ehemalige Generalstabschef İlker Başbuğ erklärte kurz nach dem gescheiterten Putschversuch in einem TV-Interview mit Ahmet Hakan in CNN Türk, Erdoğan habe zwischen 2012-2016 alleine gegen die FETÖ/PDY gekämpft. Dieser Zeitraum sei deshalb wichtig, so Başbuğ, weil Erdoğan gegen die Gülen-Bewegung lange Zeit standgehalten habe, auch nach dem er selbst inhaftiert worden sei, was als eine offene Drohung gegen Erdoğan verstanden werden müsse.

İlker Başbuğ erklärte des Weiteren, dass der Putsch von uniformierten Soldaten begonnen wurde, dass diese keine türkischen Soldaten sein könnten. Die einzigen, die nach der türkischen Moralvorstellung der Armee, richtig gehandelt hätten, seien die Bürger, die auf die Straßen geströmt seien. Es gebe keine Entschuldigung dafür, sich in den Reihen der Putschisten aufzuhalten und Gnade oder versöhnende Gesten zu erwarten, so İlker Başbuğ weiter.

Der Investigativ-Journalist Nedim Şener erklärt immer wieder, dass die FETÖ/PDY der Staat war, dass Erdoğan in diesen Staat eindrang, infiltrierte und stürzte. In diesem Sinne…


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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