Ein Kommentar von Ernst Wolff
Die Krise in Venezuela spitzt sich immer weiter zu. Armut, Hunger und Obdachlosigkeit nehmen rasant zu, Plünderungen und Überfälle gehören in den Großstädten zum Straßenbild. Drei Millionen Menschen, ein Zehntel der Bevölkerung, haben das Land bereits verlassen. Ein Großteil der übrigen 27 Millionen Einwohner muss bei einer Inflationsrate von über 1.000 Prozent ums nackte Überleben kämpfen.
Vor knapp drei Wochen hat sich Parlamentspräsident Juan Guaidó eigenmächtig zum Staatspräsidenten ernannt. Die USA, Kanada und die Europäische Union haben ihn umgehend als rechtmäßigen Nachfolger des erst im vergangenen Jahr erneut gewählten Präsidenten Maduro anerkannt.
Die Bank of England hat zusätzliches Öl ins Feuer gekippt, indem sie Caracas die Auslieferung der venezolanischen Goldreserven verweigert hat. Außerdem wurden die Konten der venezolanischen Regierung in den USA eingefroren und die seit Jahren gegen das Land bestehenden Sanktionen weiter verschärft.
Hintergrund und Motiv für die drastische Erhöhung des US-Druckes auf Venezuela ist eine Entscheidung, die Präsident Maduro im vergangenen Jahr getroffen hat und die in Washington als Todsünde gilt: Den Petro-Dollar als Zahlungsmittel für Öllieferungen zu verweigern.
Seit der US-Dollar Mitte der siebziger Jahre durch ein Abkommen zwischen den USA und Saudi-Arabien zum alleinigen Zahlungsmittel für die meistgehandelte Ware der Welt, das Öl, erklärt wurde, ist er als „Petro-Dollar“ neben dem US-Militär die wichtigste Stütze der US-Weltherrschaft.
In den vergangenen zwanzig Jahren haben mehrere Staatschefs versucht, dem Petro-Dollar den Kampf anzusagen – mit der Folge, dass sie umgebracht und ihre Länder auf Jahrzehnte hinaus destabilisiert wurden.
Genau dieses Schicksal droht Venezuela jetzt: Ein Regimewechsel wird keinesfalls, wie die Mainstream-Medien behaupten – zu „mehr Demokratie“ führen. Die arbeitende Bevölkerung Venezuelas ist zwar von Maduro, der ein Großteil der Reformen seines Vorgängers Hugo Chavez zurückgenommen hat, bitter enttäuscht. Dennoch ist sie nicht bereit, mit Guaidó eine Marionette der im gesamten Land verhassten USA als Staatspräsident zu akzeptieren.
Die Aussichten für Venezuelas arbeitende Bevölkerung sind also düster: So lange Maduro im Amt bleibt, wird sich die wirtschaftliche Situation des Landes auf Grund der internationalen Isolierung weiter verschlechtern. Mit Guaidó an der Spitze wird sie sich aber keinesfalls verbessern, denn er wird einer noch drastischeren Plünderung des Landes durch ausländische Konzerne und einer verschärften Austeritätspolitik umgehend grünes Licht erteilen.
Dass Maduro seit einiger Zeit versucht, sich mit chinesischer und russischer Hilfe über Wasser zu halten, verschlimmert die Situation nur noch: Da China und Russland den Petro-Dollar seit einigen Jahren ebenfalls boykottieren, indem sie untereinander und mit Drittländern immer mehr Ölverträge in Yuan und Rubel abschließen, sind auch sie längst ins Fadenkreuz der USA geraten. Weil es sich bei beiden aber im Gegensatz zu Libyen und Irak um Großmächte handelt, die nicht durch konventionelle militärische Eingriffe zu besiegen sind, wird der Konflikt mit ihnen nicht direkt, sondern in verschiedenen Regionen der Welt indirekt ausgetragen.
Venezuela könnte sich so neben dem Nahen Osten zum Schauplatz für einen weiteren Stellvertreterkrieg und damit zu einem zusätzlichen internationalen Pulverfass entwickeln.
Der militärisch-industrielle Komplex der USA würde einen solchen Krieg mit Sicherheit genauso begrüßen wie die US-Ölindustrie und eine Heerschar internationaler Großinvestoren. Für den US-Präsidenten käme er ebenfalls gelegen, denn er könnte die gigantischen Flüchtlingsströme, die ein solcher Krieg mit Sicherheit nach sich ziehen würde, nutzen, um mit Hilfe einer Verschärfung seiner Anti-Immigranten-Politik von der Nicht-Einhaltung seiner vielen Wahlversprechen abzulenken.
In Venezuela zeigt sich einmal mehr, dass der Versuch der USA, den Petro-Dollar zu stützen und damit die eigene Macht über das globale Finanzsystem aufrecht zu erhalten, nur noch mit den Mitteln der Zerstörung, der Destabilisierung und um den Preis der Inkaufnahme von unendlichem menschlichem Leid möglich ist.
Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.
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Ernst Wolff
Ernst Wolff ist freier Journalist und Autor des Buches “Finanz-Tsunami: Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht“.
Wolff, geboren 1950, aufgewachsen in Südostasien, Schulzeit in Deutschland, Studium in den USA. Der Journalist und Spiegel-Bestseller-Autor (»Weltmacht IWF«) beschäftigt sich seit vierzig Jahren mit der Wechselbeziehung von Politik und Wirtschaft. Sein Ziel ist es, die Mechanismen aufzudecken, mit denen die internationale Finanzelite die Kontrolle über entscheidende Bereiche unseres Lebens an sich gerissen hat: »Nur wer diese Mechanismen versteht und durchschaut, kann sich erfolgreich dagegen zur Wehr setzen.«