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Kommentar: Jeder Mensch ist „abnormal“

"Jeder Mensch ist ,abnormal', d.h. wie kein anderer. Gerade darin liegt sein Menschsein. Ich würde mir deshalb wünschen, dass jeder Mensch, jede Kultur, jede Religion in ihrer Andersheit und Einmaligkeit respektiert und als unverzichtbarer Ausdruck des Menschseins gewürdigt wird."

(Symbolfoto: pixa)
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Von Prof. Dr. Hans-Christian Günther 

In einem Facebookpost zu einem Artikel zu einer jüdischen Initiative zur Betreuung muslimischer Kinder schreibt Lamya Kaddor: ,,Mein Traum – hoffentlich eines Tages erfüllt – ist, dass Juden eines Tages ganz normale Menschen werden wie alle anderen, dass eines Tages unsere Religion und unser Glaube keine wichtige Rolle mehr spielen.“ Juden sind also momentan keine ,normalen‘ Menschen? Religion soll nicht mehr wichtig sein?

Ich möchte bei diesem Anlass lieber Folgendes sagen: Jeder Mensch ist ,abnormal‘, d.h. wie kein anderer. Gerade darin liegt sein Menschsein. Ich würde mir deshalb wünschen, dass jeder Mensch, jede Kultur, jede Religion in ihrer Andersheit und Einmaligkeit respektiert und als unverzichtbarer Ausdruck des Menschseins gewürdigt wird – ob dies etwa ein Jude, ein Indianer oder ein indigenen Australier ist. Bei Juden wäre die Welt auch längst so weit, wenn es keinen Zionismus gäbe.

Ich würde mir wünschen, dass echte Religiosität und echter Glauben eine zentrale Rolle in der Gesellschaft einnehmen. ,Echte‘ Religiosität bedeutet, die Religion des anderen zu respektieren wie die eigene: das heißt nämlich nicht, den absoluten Anspruch der eigenen aufzugeben, im Gegenteil: absoluter Wahrheitsanspruch bedeutet: die Entscheidung über jeden einzelnen Menschen und sein Leben liegt bei Gott, ,,der seine Sonne aufgehen lässt über die Guten und Bösen und es regnen lässt über Gerechte und Ungerechte“ (Matth. 5:45).

Die Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen ist Zeichen seiner Unvollkommenheit, die nur in Gott aufgehoben und geheilt werden kann; die Anerkennung der absoluten Wahrheit der Religion bedeutet, dass der Mensch sagt: ,,Preis sei Dir! Wir haben kein Wissen außer dem, was Du uns gelehrt hast.“ (Sure 2: 32). Ausdruck dieser Unvollkommenheit ist gerade auch die Vielzahl der Religionen, da der Mensch die göttliche Wahrheit nie ganz erfassen kann.

Weil nur Gott der Allwissende, die absolute Wahrheit ist, ist gerade auch diese Vielfalt Ausdruck des Willens Gottes: ,

,Hätte Gott es gewollt, er hätte euch zu einer einzigen Gemeinde gemacht.“ (Sure 5: 48). Der Mensch kann der göttlichen Wahrheit nur im aufrichtigen Streben nach dem, was ihm als gottgefälliges Leben offenbar ist, nahekommen kann, die göttliche Wahrheit ist ein Lebensvollzug, kein Lehrsatz: ,,Befehlt ihr denn den Menschen Güte, während ihr euch selbst vergesst, wo ihr doch die Schrift lest?“ (Sure 2: 42). Diejenigen, die die göttliche Wahrheit leben sind die ,,Kinder Gottes“ (Matth. 5: 45). Diejenigen, die sich an Gottes Stelle setzen, andere aburteilen und Zwietracht und Gewalt säen, sind diejenigen, ,,die das diesseitige Leben für das Jenseits erkauft haben.“ (Sure 2: 86).

Ich will gar nicht behauten, Frau Kaddor habe etwas anderes gemeint als ich. Nur sollte man doch genau auf seine Worte achten. Man sollte sich nicht – auch nicht unbewusst – von den billigen Anforderungen des politisch korrekten Zeitgeistes leiten lassen: ,Sei kein Antisemit! Nimm das Grundgesetz oder die universal gültigen Regeln des säkularen Staates wichtiger als deine Religion!‘

Man tut gut daran, als Jude, Christ oder Muslim sich immer wieder neu am Wort Gottes zu orientieren. Nun, ich hatte nun auch mehr Raum als Frau Kaddor. Knapp ausgedrückt, würde ich sagen: ich würde mir wünschen, dass jüdische Menschen nie mehr in eine mit Werturteilen beladene, kollektive Schublade gesteckt werden, dass Unterschiede des Glaubens und der Religion zu gegenseitigem Respekt und Anerkennung und nicht zu Spaltung und Gewalt führen.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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Prof. Dr. Hans-Christian Günther

Geb. am 28.4.1957 in Müllheim / Baden

Professor für klassische Philologie an der Albert-Ludwigs-Universität. Zahlreiche Publikationen und Gastprofessoren. Lange Aufenthalte in der VR China. Im Bereich der Altertumswissenschaft besonderer Schwerpunkt auf der politischen Dichtung der Augusteer und allgemein der Reflexion antiker Autoren auf ihre gesellschaftliche Stellung und Verantwortung

Seit 2004 Tätigkeit im Bereich des Dialogs der Religionen und Kulturen mit zahlreichen Veröffentlichungen.

Zahlreiche Publikationen und Gastprofessoren. Lange Aufenthalte in der VR China. Im Bereich der Altertumswissenschaft besonderer Schwerpunkt auf der politischen Dichtung der Augusteer und allgemein der Reflexion antiker Autoren auf ihre gesellschaftliche Stellung und Verantwortung Seit 2004 Tätigkeit im Bereich des Dialogs der Religionen und Kulturen mit zahlreichen Veröffentlichungen.

Ausgebildet in Freiburg und Oxford. Stipendiat der DFG und der Alexander von Humboldt -Stiftung. Gerhard Hess Preis der DFG.

Zahlreiche Publikationen (ca. 40 Bücher, u.a. Brill’s Companion to Propertius, Brill’s Companion to Horace) im Bereich der antiken Philosophie und Literatur, der Byzantinistik, Neogräzistik, modernen Literatur und Philosophie, Ethik und Politik. Zahlreiche Versübersetzungen aus dem Lateinischen, Italienischen, Neugriechischen, Georgischen, Japanischen und Chinesischen.

Lehrt regelmäßig in Italien, zahlreiche Gastaufenthalte in der Schweiz, Polen, Georgien, Indonesien, Iran, Seoul, Tokyo und vielen chinesischen Universitäten. Herausgeber mehrerer Buchreihen, im wissenschaftlichen Beirat zahlreicher wissenschaftlichen Zeitschriften.