Start Finanzen Kommentar Europäisches Finanzsystem: Die Warnzeichen nehmen zu

Kommentar
Europäisches Finanzsystem: Die Warnzeichen nehmen zu

Zwei Meldungen vom Anfang vergangener Woche sind in den Medien weitgehend unbeachtet geblieben. Ein Kommentar.

(Symbolfoto: pixa)
Teilen

Ein Kommentar von Ernst Wolff

Zwei Meldungen vom Anfang vergangener Woche sind in den Medien weitgehend unbeachtet geblieben.

Am Montag wurde bekannt, dass die neuntgrößte italienische Bank es in der Vorwoche nicht geschafft hat, sich dringend benötigtes frisches Kapital in Höhe von 560 Millionen Euro zu besorgen. Zwei Tage später teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt (die Summe aller in einem Jahr produzierten Waren und erbrachten Dienstleistungen) gegenüber dem Vorquartal um 0,2 Prozent gesunken sei.

Unter normalen Umständen wären beide Meldungen in der Tat kaum einen Kommentar wert gewesen. Aber die derzeitigen Umstände innerhalb der EU sind alles andere als normal. Das Euro-System wird seit zehn Jahren durch die EZB künstlich am Leben erhalten und gleicht mittlerweile einem Schwerkranken, bei dem schon kleine Ursachen große Wirkung haben können.

Betrachten wir die erste Meldung: Die Banca Carige ist im dritten Quartal dieses Jahres tief in die roten Zahlen gerutscht und braucht daher dringend frisches Geld. Da sie nicht in der Lage ist, sich dieses am Markt zu verschaffen, müsste nun eigentlich geltendes EU-Recht angewendet werden: Anteilseigner, Einleger und Sparer der Bank müssten durch ein Bail-in zur Kasse gebeten werden, um die Bilanzlöcher zu stopfen.

Das aber wird verweigert, einerseits von der italienischen Regierung, weil sie weiß, dass ein Bail-in die Bevölkerung gegen sie aufbringen würde, andererseits von den italienischen Banken, weil sie den Zorn der Bevölkerung und einen möglichen Bank-Run fürchten. Also läuft alles auf ein weiteres Bail-out hinaus, eine Rettung mit Hilfe von Steuergeldern oder durch einen Rettungsfonds der italienischen Banken- und Versicherungsbranche.

Ein Bail-out aber wird entweder den Staat oder das ohnehin schwer angeschlagene italienische Bankensystem noch tiefer verschulden und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die EU in absehbarer Zukunft rettend eingreifen muss. Die Bürokraten in Brüssel wiederum stehen dieser Entwicklung hilflos gegenüber, denn das italienische Bankensystem ist so groß, dass es auf Biegen und Brechen am Leben erhalten werden muss, da es sonst die gesamte Eurozone und mit ihr das globale Finanzsystem in den Abgrund reißen würde.

Hier ist also ein Prozess im Gange, der, egal wie die Akteure handeln, zwangsläufig zum weiteren Zerfall des Euro-Finanzsystems und zum weiteren Auseinanderbrechen der EU beiträgt.

Bei der zweiten Meldung, dem Rückgang des deutschen Wirtschaftswachstums, handelt es sich zwar nur um eine Größenordnung von 0,2 Prozent gegenüber dem vorherigen Quartal. Viel wichtiger als die Zahl aber ist die langfristige Tendenz, die sich dahinter verbirgt: Alle Anzeichen, wie zum Beispiel der Rückgang des Aktienmarktes um mehr als zehn Prozent innerhalb eines Jahres, deuten zurzeit darauf hin, dass es in Deutschland und der gesamten Eurozone – wahrscheinlich sogar weltweit – zu einer Rezession, also einer Abschwächung der Konjunktur mit folgender Depression (dem Konjunkturtief) kommen wird.

Dieser Abschwung aber fällt in eine Zeit, in der die Zentralbanken gerade eine historische Wende vollziehen: Nachdem sie zehn Jahre lang auf den Finanzmärkten riesige Blasen erzeugt haben, versuchen sie, das Ruder herumzureißen, weniger Geld ins System zu pumpen und die Zinsen zu erhöhen.

Das ist in etwa dasselbe, als ob ein Patient, der im künstlichen Koma liegt und dem man gerade wegen der Nebenwirkungen die kreislaufstärkenden Mittel entzieht, einen Schwächeanfall erleiden würde. Das Ergebnis ist mit absoluter Sicherheit eine weitere Verschlechterung seines Zustandes.

Da in den vergangenen Jahren riesige Mengen an Aktien und Anleihen auf Kredit gekauft wurden, diese aber seit geraumer Zeit an Wert verlieren, geraten Spekulanten zurzeit immer stärker unter Druck: Ihr Anlagevermögen schmilzt, aber ihre Schulden bleiben und sind im Fall einer Zinserhöhung noch schwieriger zu bedienen. Sie stehen also vor der Alternative: Mit Verlust verkaufen oder das Risiko eingehen, die Papiere zu halten – mit der Gefahr, dass die Kreditgeber ihr Geld irgendwann bei noch niedrigeren Kursen einfordern.

Ganz gleich, wie man die Dinge dreht und wendet – die Zentralbanken sitzen in der Falle: Wenn sie die Politik der Verknappung des Geldes fortsetzen, würgen sie die Märkte ab, wenn sie zur expansiven Geldpolitik zurückkehren, riskieren sie ein Platzen der Blasen.

Was wir derzeit erleben, ist im Grunde nichts anderes als die Bestätigung zweier allgemeingültiger Wahrheiten: Man kann nicht ungebremst Geld ins System pumpen, ohne riesige Blasen an den Märkten zu erzeugen und das Geld dabei zu entwerten, und man kann die Zinsen nicht bis unter Null drücken, ohne dadurch eine gigantische Schuldenlawine zu erzeugen.

Beides ist geschehen und deshalb ist es vollkommen gleichgültig, was die Verantwortlichen in den nächsten Wochen und Monaten unternehmen, um das Finanzsystem noch länger am Leben zu erhalten – ihre Maßnahmen werden so oder so dazu beitragen, es noch weiter zu untergraben und schlussendlich zu zerstören.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


Ernst Wolff

Ernst Wolff ist freier Journalist und Autor des Buches Finanz-Tsunami: Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht“.

Wolff, geboren 1950, aufgewachsen in Südostasien, Schulzeit in Deutschland, Studium in den USA. Der Journalist und Spiegel-Bestseller-Autor (»Weltmacht IWF«) beschäftigt sich seit vierzig Jahren mit der Wechselbeziehung von Politik und Wirtschaft. Sein Ziel ist es, die Mechanismen aufzudecken, mit denen die internationale Finanzelite die Kontrolle über entscheidende Bereiche unseres Lebens an sich gerissen hat: »Nur wer diese Mechanismen versteht und durchschaut, kann sich erfolgreich dagegen zur Wehr setzen.«