Start Geschichte "Gewaltexzesse" Rassismus in der DDR: Immer noch viele ungeklärte Todesfälle

"Gewaltexzesse"
Rassismus in der DDR: Immer noch viele ungeklärte Todesfälle

"Mord verjährt nicht" und deshalb müssen Gewaltverbrechen mit Todesfolge in der DDR, bei denen rassistische Motive eine Rolle gespielt haben, auch heute noch so lückenlos wie möglich aufgeklärt werden. Das fordert Martin Heger, Professor für Strafrecht an der Berliner Humboldt-Universität.

(Symbolfoto: pixa)
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Leipzig (ots) – „Mord verjährt nicht“ und deshalb müssen Gewaltverbrechen mit Todesfolge in der DDR, bei denen rassistische Motive eine Rolle gespielt haben, auch heute noch so lückenlos wie möglich aufgeklärt werden. Das fordert Martin Heger, Professor für Strafrecht an der Berliner Humboldt-Universität, in der MDR-Sendung „Exakt – Die Story“.

Nach Recherchen des Historikers Harry Waibel und des MDR gibt es mindestens vier Todesfälle, die bis heute nicht verjährt sein könnten. Dabei geht es um den Tod von zwei Kubanern 1979 in Merseburg, den Tod eines Mosambikaners 1986 in Borne/Bad Belzig und den Tod eines weiteren Mosambikaners 1987 in Staßfurt. Alle vier waren als sogenannte Vertragsarbeiter in die DDR gekommen. In allen vier Fällen wurden die Ermittlungen aufgrund der Einflussnahme von DDR-Politik und Staatssicherheit eingestellt oder stark beeinflusst.

“Wir können bisher 700 Vorfälle nachweisen und belegen, bei denen es mindestens 12 Tote gegeben hat”, erklärte Waibel gegenüber MDR bereits im April 2016.

Der Historiker hatte für seine Recherchen umfängliche Bestände der Stasi-, Polizei- und Gerichtsakten ausgewertet und stieß dabei auf Vorkommnisse im gesamten Gebiet der DDR. Demnach gab es über mehrere Jahre ausländerfeindliche Parolen, Beleidigungen, Hetze, gewalttätige Übergriffe und Körperverletzungen, Ausschreitungen und sogar Tote. Laut Waibel sei die homogene Gesellschaft der DDR weitgehend nicht in der Lage gewesen, mit Fremden umzugehen.

So wurde am 19.September 1987 in Staßfurt ein Lehrling aus Mosambik von mehreren Männern mit fremdenfeindlichen Motiven bewusstlos getreten und in den Fluss Bode geworfen. Einen Tag später wurde die Leiche gefunden. Sechs Staßfurter sollen laut Stasi-Akten für seinen Tod verantwortlich sein. Doch nur ein Täter, ein bereits Vorbestrafter, wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Erfurt wurde am 10. August 1975 zum Schauplatz eines bis dahin nie dagewesenen Gewaltexzesses. Fünf Tage lang jagten Gruppen von bis zu 300 Deutschen algerische Vertragsarbeiter durch die Innenstadt und verprügelten sie mit Latten und Stangen.

Ein besonders schwerer Fall ereignete sich in Merseburg am 12. August 1979. Dabei wurden zwei kubanische Vertragsarbeiter von mehreren Merseburgern in den Fluss Saale gejagt und wurden durch Flaschen- und Steinwürfe offensichtlich so schwer verletzt, dass sie anschließend ertranken. Die anfänglichen Ermittlungen der Polizei wurden durch die Staats- und Regierungsführung unter Kenntnisname von Erich Honecker eingestellt.

Professor Martin Heger, der sich mit den Tötungen der Vertragsarbeiter in der DDR beschäftigt hat, übt im MDR scharfe Kritik an den ostdeutschen Staatsanwaltschaften: „Es ist frustrierend, wie wenig Wille bei den betroffenen Staatsanwaltschaften besteht, diese Ausländerfeindlichkeit, die bekannt ist in der früheren DDR, aufzuarbeiten. Leider hat man in der Tat den Eindruck, dass die Staatsanwaltschaften in den neuen Bundesländern hier etwas vorsichtig an diese Themen herangehen.“

Für Heger gebe es bei allen vier Todesfällen ausreichende Anhaltspunkte, die einen möglichen Mordvorsatz nahelegen. 2016 leitete die Staatsanwaltschaft Halle (Saale) im Fall der zwei getöteten Kubaner ein Prüfverfahren ein, welches jedoch wieder eingestellt wurde. Für Martin Heger ist das völlig unverständlich: „Ich halte die Einstellungsverfügung vor allem mit Blick auf ihre Begründung für sehr problematisch. Hier gibt es ja einige Anhaltspunkte, die auch heute noch nahelegen, dass man ihnen nachgeht. Diese zu ignorieren, ist schon rechtsstaatlich sehr problematisch, denn Mord verjährt nicht.“

Die Staatsanwaltschaft Halle (Saale) hatte ihren Schritt damit begründet, dass laut Akten „kein primärer rassistischer Hintergrund“ als auch „keine Belege für die Unterdrückung der damaligen Ermittlungen durch die DDR-Staatssicherheit“ zu finden seien. Zeugen waren nicht befragt worden.

Die Münchner Rechtsanwältin Claudia Neher vertritt in diesem Fall die Familie eines getöteten kubanischen Vertragsarbeiters. Sie kündigt nun rechtliche Schritte an: „Wir haben im Moment noch eine Möglichkeit, das Verfahren noch einmal in Gang zu bringen. Wir werden ein Klageerzwingungsverfahren auf den Weg bringen.“

Auch aus Mosambik gibt es Kritik. António Muchanga, der Sprecher der größten mosambikanischen Oppositionsbewegung Renamo: „Ich bin überzeugt, dass die Todesfälle unserer Landsleute noch nicht vollständig aufgeklärt wurden und da wir nicht wissen, ob die Schuldigen bestraft worden sind, appelliere ich an die deutschen Behörden und an die Bundesregierung, diese Fälle aufzuklären und uns über die Ergebnisse der Ermittlungen zu informieren.“

In Deutschland kritisiert der Parlamentarische Geschäftsführer von Bündnis 90/Grüne in Sachsen-Anhalt, Sebastian Striegel, die Ermittlungsbehörden: „Ich habe die klare Erwartungshaltung an die Staatsanwaltschaften, dass die zur Verfügung stehenden Mittel auch ausgeschöpft werden. Wir reden hier nicht über einen Ladendiebstahl, der zu DDR-Zeiten nicht entsprechend verfolgt wurde, sondern davon, dass Menschen ums Leben gekommen sind. Und es gebietet der Respekt vor den Toten, vor allem aber auch die Verantwortung gegenüber rechtsstaatlichen Standards, diese Tode auch aufzuklären.“

„Exakt – Die Story“ beschäftigt sich am Mittwoch um 20.45 Uhr mit dem Thema.