Urla (nex/eurasia) – Die irakische Zentralregierung hat die pro-iranische Schiiten-Miliz Haschd Schaabi als Teil des militärischen Staatsapparates legitimiert. Eurasia News geht der Entscheidung, die grundsätzlich befürwortet werden muss, kritisch nach und beleuchtet die zukünftigen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Miliz-Charakter der Haschd Schaabi.
Am 26. November 2016 hat das irakische Parlament in Anwesenheit von 208 Abgeordneten über das Gesetz zur Legalisierung der pro-iranischen Schiiten-Miliz Haschd Schaabi, auf Deutsch: „Volksmobilmachung“, abgestimmt. Der wohl umstrittenste Akteur im Irak seit dem Aufstieg der Terrormiliz “Islamischer Staat“ wurde rechtlich legitimiert. Nach Artikel 7 bildet Haschd Schaabi eine unabhängige Organisation innerhalb der irakischen Armee, die dem Premierminister Bericht erstattet. Gehalt, Militärgrade und andere Mechanismen werden an der regulären Armee ausgerichtet.
Die aktuelle Organisationsstruktur der Miliz soll binnen drei Monaten aufgelöst werden. Sie soll keinerlei politische Verbindungen unterhalten und überparteilich agieren, heißt es.
Im Juni 2014 wurden die Haschd Schaabi nach einer Fetwa des schiitischen Ayatollahs Ali el-Sistani, die einflussreichste Autorität der Konfession im Irak, gegründet, um die offiziellen Sicherheitskräfte des Landes gegen den IS zu unterstützen, der zu diesem Zeitpunkt Mosul einnahm.
Der Aufbau der sogenannten Volksmobilmachung gestaltet sich kompliziert und ihre Strukturen sind teilweise undurchsichtig. Rund 60 bewaffnete Gruppen sind Teil der Haschd. Irakische Quellen behaupten, dass rund 140.000 Menschen als Mitglieder registriert sind. Das Budget der Organisation für 2017 ist auf 122.000 Angehörige ausgerichtet.
Die mehrheitlich schiitisch geprägte Miliz ist mit dem Gesetzentscheid vom November zu einer offiziellen militärischen Einheit Iraks aufgestiegen. Alle Mitglieder der Schirmorganisation sind zu Kräften unter der Kontrolle der Regierung in Bagdad geworden. Das Gesetz sagt kaum etwas Eindeutiges über das Verhältnis der einzelnen Milizgruppen in der Organisation und zum Staat aus. In keinem Artikel des Gesetzes wird der Status der einzelnen Milizgruppen geregelt, die offiziell direkt unter der Volkmobilmachung kämpfen, aber auch außerhalb der Haschd Schaabi agieren.
Das ist auch der Grund, warum sich eine genaue Anzahl der bewaffneten Gruppen und ihre Kämpfer nicht definieren lässt. Sie agieren innerhalb und außerhalb des Miliz-Schirmes Haschd Schaabi. Hinzu kommt, dass verschiedene Gruppen in verschiedenen Regionen aktiv sind. Die Aktivitäten und die Zahl der Gruppen variiert stark.
Der neue offizielle Status der Haschd Schaabi könnte ein entscheidender Schritt sein, um Komplikationen und Machtkämpfen künftig einen Riegel vorzusetzen. Der Ausschluss der Frage über die Zukunft der einzelnen Gruppen im Rahmen des neuen Gesetzes löst kritische Debatten aus. Es ist völlig unklar, welche Rolle diese teilweise sehr pro-iranisch und schiitisch-islamistisch geprägten Gruppen einnehmen werden. Zunächst wurde vermutet, dass die Gruppen mit ihrer Integration aufgelöst werden.
In erster Linie weckt die konfessionell ausgerichtete Identität der Haschd Schaabi Fragen über die Legitimität hervor, da die Organisation über eine Dschihad-Fetwa von Ayatollah el-Sistani operiert. Diese betont den schiitischen Charakter des Miliz-Schirmes. Die PR-Aktivitäten unterstreichen die schiitische Identität der Haschd. Darunter fallen Flaggen, Fotos, Slogans und Abzeichen. Dieser Umstand provoziert Teile der irakischen Bevölkerung dahingehend, über die Legitimität der Schiiten-Miliz nachzudenken, da sie trotz kleiner Anteile auf Operationsebene eben nicht das ethnisch und konfessionell diverse Bild Iraks widerspiegelt.
Gegenwärtig schlummern Konflikte nur unter der Oberfläche. In Kirkuk und Tuz Churmatu brachen sie kurz vereinzelt auf. Spannungen mit Kurden und sunnitischen Arabern können jederzeit in einem umfassenden Konflikt münden. Der Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ beherrscht die Öffentlichkeit gegenwärtig noch.
Trotz der Legalisierungsanstrengungen lässt sich argumentieren, die Möglichkeit besteht, dass Sunniten und Kurden von der bloßen militärischen Feuerkraft der Haschd Schaabi beunruhigt werden. Insbesondere Hardliner innerhalb der Organisation, die mit sektiererischen Aktivitäten gegen die Minderheiten des Landes auffallen, sorgen für Schlagzeilen.
Es muss anerkannt werden, dass die Schiiten-Miliz Bagdad im Kampf gegen den IS enorme Hilfen leistete. Die Organisation lässt sich auch als wichtiges Rettungsankar der irakischen Regierung gegen die asynchron agierenden IS-Kämpfer anerkennen.
Das darf aber nicht davon hinwegtäuschen, dass Nachforschungen von internationalen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch den Beleg erbrachten, dass einige Gruppen der Haschd Schaabi in Menschenrechtsbrüchen verwickelt waren. Die Gefahr ist, dass die Schiiten-Miliz faktisch das Verhalten einer Miliz beibehält und ihre teilweise unterdrückerischen Praktiken unter der Vollmacht des Staates und im Rahmen der Bagdader Regierungspolitik weiterführt. Die Regierung in Bagdad ist ihrerseits mehrheitlich schiitisch geprägt.
Die Umstände führen zum Schluss, dass die irakische Zentralregierung wegen der Haschd Schaabi ein Legitimitätsproblem kriegen könnte, auch wenn die Schiiten-Miliz zu einer abhängigen Organisation mit Verantwortung legalisiert wird. Der Fakt, dass die Regierung davon abhängig ist, Sicherheit und Ordnung mittels undurchsichtigen Miliz-Verbänden zu gewährleisten, ist nicht vertrauensfördernd. Stattdessen müsste die irakische Regierung daran festhalten, feste Strukturen zu bauen, indem bestehende Sicherheitsapparate wie die Armee oder Polizei gestärkt werden. Das eigenständige Miliz-System, das von der Haschd Schaabi verkörpert wird, schadet in der Regel den Institutionalisierungsprozessen im Staat.
Auf dem ersten Blick sieht es so aus, als wenn die Schiiten-Miliz als einheitliche Organisation agiert. Aber auf dem Kriegsplatz benutzt jede Haschd Schaabi-Gruppe eine eigene Fahne und folgt den individuellen Befehlen ihrer eigenen Kommandeure. Für die Regierung wird es nicht einfach, einen Verband, bestehend aus 60 unterschiedlichen Gruppen, erfolgreich zu kontrollieren. Unabhängig von der Kontrolle durch Bagdad haben besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Haschd Schaabi intern zersetzen könnte. Die großen Milizgruppen versuchen die kleineren zu dominieren, da die bewaffneten Gruppen auch außerhalb des Haschd Schaabi-Schirms Aktivitäten nachgehen. Unterm Strich bleibt festzuhalten, dass externe Konflikte um Macht und Einfluss die Dynamik der Haschd Schaabi intern beeinflussen könnte.
Trotz Integration der Schiiten-Miliz in die irakischen Sicherheitskräfte ist es wahrscheinlich, dass diese Miliz samt Untergruppen ihre ideologischen und politischen Verbindungen nach dem Sieg über den IS beibehalten werden.
Auch wenn die Haschd Schaabi nicht Teil der Regierung ist, könnte sie einen administrativen Anteil in jenen Regionen beanspruchen, die sie „beschützen“. Auf diesem Weg ist es nicht unwahrscheinlich, dass die bereits schwache Zentralregierung Bagdad weiter unterminiert wird und lokale, unabhängige Elemente Bagdads schwindenden Einfluss kompensieren. Die irakischen Staatsstrukturen müssten sich in einen schwierigen Kampf gegen Milizisierung begeben, der kaum zu gewinnen ist. Verliert die Terrormiliz IS ihre Bedeutung und wenn der Kampf um Staatspfründe sowie Parteienkonkurrenz zunimmt, werden diese Schiiten-Milizen unvermeidlich polarisiert.
Es ist bekannt, dass zahlreiche schiitische Parlamentarier Beziehungen zu Gruppen in der Haschd Schaabi pflegen. Das beste Beispiel dafür ist die Badr-Organisation. Sie ist als größte und einflussreichste Gruppe der Haschd. Sie trat bis 2003 als Miliz des Obersten Islamischen Rates von Irak (ISCI) auf. Ab dann agierte Badr als unabhängige Organisation und trennte sich vom ISCI. Hinweise ergeben, dass Parlamentarier in Bagdad der Badr-Organisation auf einer semi-offiziellen Ebene Bericht erstatten über das tägliche Politikgeschäft. Das erlaubt der Haschd Schaabi, Druck auf die Politik auszuüben.
Zusammenfassend ergibt sich, dass Unsicherheiten und Diskussionen über die Haschd Schaabi fortfahren werden, auch nachdem sie legalisiert und einen offiziellen Status erhielt. Ein erster Schritt, um die Haschd Schaabi gesetzlich kontrollieren zu wollen, ist positiv. Zahlreiche Fragen über die Rolle der Schiiten-Organisation im Sicherheitsapparat bleiben nach wie vor unbeantwortet.
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