Von Can Acun und Ömer Özkizilcik
Die Art der Operationen der syrischen Armee erinnert an die altbewährte russische Strategie der „verbrannten Erde“, die in den letzten Tschetschenien-Kriegen Anwendung fanden. Dazu gesellt sich die Praxis, Fassbomben auf Wohngebiete abzuwerfen, die mutmaßlich auf den berüchtigten syrischen General Suheil Hassan von den „Tigereinheiten“ zurückgeht.
Die Kombination beider Vorgehensweisen gepaart mit einer überlegenen Feuerkraft konnte den Widerstand in Ost-Aleppo schließlich brechen. Die Zerstörung von Infrastruktur des zivilen Lebens nimmt Damaskus in diesem Zusammenhang gezielt in Kauf. Darunter fallen der Beschuss von Märkten, Schulen, Elektrizitätsanlagen und Krankenhäuser. Das Handeln weist auf eine langfristige Strategie hin, derer sich al-Assad-treue Truppen bedienten. Mit der unnachgiebigen Bombardierungsstrategie steht das Kalkül, den Widerstandswillen der Rebellen stückweise zu brechen.
Anbei stellt Eurasia News eine ausführliche Karte von der umkämpften Stadt Aleppo zur Verfügung, die vom Analyse-Portal Suriye Gündemi erstellt wurde:
Zivilisten aus ihren Wohngebieten sukzessive zu vertreiben, ist kein Phänomen in Aleppo, sondern fand landesweit Anwendung. Auf die Strategie wurde immer dann zurückgegriffen, wenn die SAA im klassischen Kampf am Boden gegen Rebellen scheiterte. Damaskus entschied in Homs, Ghouta und jetzt Aleppo, die Rebellen samt feindlich gesinnter Zivilbevölkerung kurzerhand aus dem urbanen Gebieten heraus zu bomben. Mit der russischen Intervention 2015 wurde die Strategie der „verbrannten Erde“ umso tödlicher. Neben Fassbomben bestückte die SAA ihre Luftwaffe fortan auch mit Brandbomben und Streumunition.
Zwei Schritte zur Belagerung Aleppos
Die tatsächliche Belagerung der Rebellengebiete in Aleppo-Stadt wäre ohne russische Luftunterstützung nicht möglich gewesen. Auch machte eine gewisse Koordinierung der al-Assad-treuen Truppen mit der PKK-nahen Kurden-Miliz YPG und der Terrormiliz „Islamischer Staat“ am Boden erst eine Umschließung der Rebellen-Gebiete real.
Im Februar 2016 starteten die al-Assad-Loyalisten und Alliierten eine Offensive von Bashköy, um die Schiiten-Exklaven Nubbol und Zahra zu erreichen. Die Rebellenbelagerung von Nubbol und Zahra konnte ebenfalls nur mit Luftnahunterstützung aus Russland von der syrischen Armee durchbrochen werden. Die Rebellen belagerten zuvor die Schiiten-Siedlungsgebiete von drei Seiten. Im Norden grenzten sie an das von YPG-kontrollierte Gebiet von Efrin.
Mit einem Vorrücken nordwestlich konnte die syrische Armee die Hauptversorgungsroute der Rebellen nach Aleppo über die Türkei unterbrechen. Im Anschluss besetzte die kurdische YPG die von der Freien Syrischen Armee gehaltene Stadt Tell Rifaat. Auch diesmal setzte russische Luftunterstützung ein. Als faktische Gegenleistung schaffte die YPG eine Pufferzone zwischen den FSA-Rebellen im Norden und der syrischen Armee in Aleppo-Stadt. In der Zwischenzeit begann die Terrormiliz „Islamischer Staat“ eine eigene Offensive auf die FSA-gehaltene Stadt Marea an der türkischen Grenze. Das setzte die Rebellen in der Region ernsthaft unter Druck. Sie standen lange Zeit vor der endgültigen Vernichtung in Nord-Aleppo. Andernorts in Aleppo-Stadt machte sich der IS mit der Einnahme der Infanterieschule von den Rebellen Komplizen der al-Assad-Armee, die daraufhin die Möglichkeit wahrnahm, auf Baschköy vorzurücken. Baschköy war das Sprungbrett der SAA nach Nubbol und Zahra.
Nach erfolgreicher Verbindung mit Nubbol und Zahra folgte der zweite Schritt der Offensive auf Aleppo im Juni 2016. Die SAA schloss einen Ring um die Rebellen-Gebiete. Die Armee legte den Rebellen eine eigene Belagerung im Stadtkern der zweitgrößten Stadt des Landes auf. Die russische und syrische Luftwaffe bombten die letzte Versorgungsroute der Rebellen in die Stadt, auch als Castillo-Straße bekannt, zu. Die Luftwaffe und SAA-Loyalisten von Handarat und den Mallah-Farmen im Norden sowie die YPG von Scheich Maksud aus machten mit ihrem Vorrücken die Straße unpassierbar für Rebellen. Die Rebellen scheiterten mit einer Offensive gegen YPG-Positionen. Die faktische Belagerung von Aleppo wurde im Juli 2016 eingeleitet.
Gegenoffensive der Rebellen
Um die Belagerung aufzubrechen verbündeten sich zwei große Rebellen-Schirmorganisationen, Dschaisch el-Fatah und Fatah Halep. Sie starteten eine Offensive auf Südaleppo. Nach einer Woche konnten sie durch die SAA-gehaltenen Gebiete 1070 Siedlungskomplex, Artillerieschule, Ramousah und Muscherfah eine Schneise nach Ost-Aleppo schlagen. Die Rebellen durchbrachen die Belagerung.
Die Schneise sollte allerdings zu eng gewesen sein, um sie nachhaltig offen zu lassen. Die Oppositionskräfte scheiterten, die Schneise auf den 3000 Siedlungskomplex und die Zementfabrik im Westen und Osten auszuweiten. Eine neue Versorgungsroute konnte nicht etabliert werden. Wieder schlossen SAA-Artillerie und Luftwaffe mit Russland die Schneise. Am Boden leitete Damaskus eine Offensive ein.
Diese wurde maßgeblich mit ausländischen Schiiten-Kämpfern ausgeführt. In diesem Fall griff die Strategie der „menschlichen Wellen“, die sich für Teheran im Iran-Irak-Krieg bewährte. Die Rebellen verloren Ramousah, Muscherfah, die Artillerieschule und die Hälfte des 1070 Siedlungskomplexes.
Ende Oktober starteten Dschaisch el-Fatah und Fatah Halep einen zweiten Versuch. Diesmal berücksichtigten die Rebellen die Gefahr der Luft- und Artillerieschläge. Luftschläge sind in stärker urban besiedelten Regionen nicht so effektiv. Deshalb umgingen die Rebellen die Artillerieschule. Stattdessen griffen sie das Viertel Dhahiyat el-Assad im Südwesten des Stadtzentrums an. Dhahiyat el-Assad und das Viertel Minyan nahmen sie auch ein. Die Einheiten rückten wieder im 1070 Siedlungskomplex ein, aber die SAA und Alliierten wehrten Angriffe auf den 3000 Siedlungskomplex und den Bezirk Neu-Aleppo ab. Ein Angriff auf das Zahra-Distrikt brachte einige Ergebnisse ein. Sie waren nicht von Dauer. Während dieser Offensive verließ sich Dschaisch el-Fatah auf den Einsatz von Autobomben.
Insgesamt setzte der Rebellenschirm 17 Autobomben ein. Die Rebellen versuchten über diese Strategie das Fehlen einer eigenen Luftwaffe zu kompensieren. Diese Initiative reichte nicht aus, um das Schicksal der Rebellen in Ost-Aleppo zu ändern.
Damaskus und seine Verbündeten Kräften reagierten mit einer umfassenden Gegenoffensive. Nie zuvor setzten al-Assad-Loyalisten so viel Feuerkraft in der Stadt ein. Russische Spezialeinheiten, Iranische Revolutionsgardisten, die libanesische Hisbollah, die YPG und andere Schiiten-Milizen unterstützten die Angriffe. Die Kurden-Organisation griff Rebellen von Scheich Maksud aus an. Rebellen und Zivilisten flohen in den von ihr gehaltenen Süden in Ost-Aleppo auf ein Gebiet von nur 30 Quadratkilometer. Die Rebellen sollten in den kommenden Tagen all ihre Gebiete verlieren. Die Verteidigungsreihen der Rebellen kollabierten. Am 15. Dezember begannen erste Busse, die Bevölkerung und Kämpfer Ost-Aleppos aus die Stadt zu fahren.
Inzwischen tauchten Medienberichte auf, wonach die al-Assad-Armee begonnen hat, Oppositionsvertreter systematisch zu verhaften. In Ankara starteten Rebellen-Vertreter Verhandlungen mit Russland unter Vermittlung der Türkei über einen friedlichen Abzug aus der Stadt.
Nach dem Fall von Aleppo wird al-Assad versuchen seine Armee entweder nach Südsyrien vorrücken zu lassen oder die Rebellen-Provinz Idlib militärisch zu attackieren.
Die Entwicklungen in Aleppo sind militärisch für die Rebellen nicht mehr umkehrbar. Vielmehr scheinen die Zeichen auf Verhandlung zu stehen. Die Rebellen könnten einen Ausgleich mit Blick Idlib am Verhandlungstisch mit Damaskus suchen, was auch der gegenwärtigen Strategie der Türkei entspricht.
Außerdem ist die syrische Revolution in Gefahr zu zerbrechen, wenn sich die widerstreitenden Oppositionskräfte nicht unter einem einzigen oder deutlicht weniger Banner einander annähern.
Erschienen auf Eurasianews/Suriye Gündemi