Ein Gastbeitrag von Kemal Bölge
Heute werde ich mich mit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 in der Türkei beschäftigen. Ich werde über das Ereignis selbst und auf mögliche Hintergründe des Putschversuchs eingehen. In den meisten hiesigen Medien wird nicht der Putschversuch selbst thematisiert, sondern immer wieder darauf hingewiesen, dass Präsident Erdoğan den in den „USA lebenden Prediger Fetullah Gülen“ für den Putschversuch verantwortlich macht.
Ich habe mich immer gefragt, weshalb die „Mainstream-Medien“ Terrorchef Gülen als Prediger ansehen, obwohl dieser seit Jahrzehnten die Religion für seine eigenen Zwecke missbraucht hat. Außerdem ist er 1999 unter dem Vorwand einer medizinischen Untersuchung in die USA geflohen, um sich einem Gerichtsverfahren in der Türkei zu entziehen.
Weshalb interessiert es diese Medien nicht, dass Gülens Gefolgsleute in der türkischen Armee 2016 die verfassungsmäßige Ordnung der türkischen Republik beseitigen wollten und dabei, ohne mit der Wimper zu zucken, über 250 türkische Zivilisten ermordet haben, weil diese Bürger sich heldenhaft gegen den Putsch gestellt haben?
Das türkische Parlament in Ankara wurde von den Putschisten bombardiert, aber das kommt bei der Berichterstattung in den meisten deutschen Medien nicht vor. Das Netzwerk, das von Gülen aufgebaut wurde, also die systematische Unterwanderung des türkischen Staates, gab es auch vor der Regierungsübernahme der AKP 2002, nur konnte die Organisation von Gülen erst danach ihren Einfluss erheblich ausbauen.
Ein weiterer Aspekt ist die Mitgliedschaft der Türkei in der NATO seit 1952. Die USA waren stets darauf bedacht, dass Regierungen an der Macht waren, die ihre Interessen berücksichtigt bzw. verteidigt. Das gilt aber nicht nur für die Türkei, sondern auch für andere Länder. Der Einfluss der USA blieb nicht nur auf die Regierungen beschränkt, sondern zeigte sich auch deutlich bei den Streitkräften. Es wäre nicht übertrieben zu behaupten, dass die Militärputsche in der Türkei von 1960, 1971 und 1980 unter der Ägide und Mitwirkung der USA zustande kamen, aber der damalige Ost-West-Konflikt sollte dabei als Faktor mitberücksichtigt werden.
Der 15. Juli 2016 ist ein warmer Sommertag in der Hauptstadt Ankara, Stadtteil Yenimahalle. Gegen 14:30 Uhr Ortszeit tritt ein Pilot mit dem Dienstgrad Major der türkischen Heeresflieger an den schwer bewachten Eingang des zentralen Nachrichtendienstes (MİT) und erklärt, er wolle wichtige Informationen weitergeben. Die Mitteilung, die dieser Major macht, sollte für den späteren Putschversuch von entscheidender Bedeutung sein.
Er wird von verschiedenen Bediensteten des Nachrichtendienstes verhört und die Glaubwürdigkeit seiner Aussagen überprüft. In seinen Schilderungen berichtet er den Nachrichtendienstlern unter anderem von einem Angriff mit Kampfhubschraubern auf das Gebäude des MİT in Ankara und der Entführung des Präsidenten des Nachrichtendienstes.
Zunächst wird der stellvertretende Chef des Nachrichtendienstes zum Generalstab vorgeschickt und gegen 16 Uhr fährt Präsident Hakan Fidan selbst zum Generalstab vor und trifft sich dort mit dem damaligen Generalstabschef Hulusi Akar. Der Generalstabschef schickt daraufhin Heeresgeneral Salih Zeki Çolak zu den Heeresfliegern und lässt gleichzeitig den türkischen Luftraum für militärische Flüge sperren. Die Putschisten in der Armee bekommen dieses wichtige Detail mit und der Umsturzversuch, der eigentlich gegen 3 Uhr morgens beginnen sollte, wird vorverlegt.
Es ist 20:09 Uhr, im Dienstzimmer des Generalstabschefs bemerkt der Personalchef des Generalstabs, Generalleutnant Ilhan Talu, Nachrichtendienstchef Fidan. Talu sollte die Namen von mutmaßlichen Mitgliedern des Gülen-Netzwerks bei den Heeresfliegern dem Generalstabschef vorlegen, damit diese festgenommen werden können. Doch dabei gibt es ein Problem, denn Ilhan Talu ist selbst Mitglied des Gülen-Netzwerks und gilt als Schlüsselfigur bei der Vorverlegung des Putschversuchs von 2016 und wurde letztes Jahr von einem Gericht in Ankara wegen des bewaffneten Umsturzversuchs zu lebenslanger Haft verurteilt.
Was an jenem Abend des 15. Juli noch ins Auge fällt: Die US-amerikanische Denkfabrik (Think-Tank) Stratfor veröffentlicht auf ihrer Internetseite und in den sozialen Medien die genauen Flugdaten des Flugzeugs vom türkischen Präsidenten Erdoğan, der sich zu einem Kurztrip in Marmaris aufhält. Die Veröffentlichung der Flugdaten des türkischen Präsidenten läuft bis Mitternacht 00:02 Uhr.
Doch dann passiert etwas Merkwürdiges. Plötzlich bricht die Veröffentlichung der Flugdaten ab. Was war der Grund? Was Stratfor und andere NATO-Verbündete nicht wussten: Die türkischen Sicherheitsbehörden verfolgen zu diesem Zeitpunkt ebenfalls die Publizierung der Flugdaten Erdoğans und fanden heraus, dass die Flugdaten des türkischen Präsidenten von der NATO an die US-amerikanische Denkfabrik Stratfor weitergegeben wurden.
Daraufhin erteilt der damalige Ministerpräsident Binali Yıldırım dem Luftwaffenstützpunkt in Eskişehir die Weisung den türkischen Luftraum für NATO-Flugzeuge zu sperren. Man muss sich das noch einmal kurz vergegenwärtigen. Die Türkei, die seit 1952 Mitglied der NATO ist, sperrt am 15. Juli 2016 ihren Luftraum für verbündete NATO-Flugzeuge, weil Informationen über die Flugdaten von Präsident Erdoğans Flugzeug an die Denkfabrik Stratfor weitergeleitet wurden. Präsident Erdoğans Flugzeug landet gegen 00:25 Uhr sicher auf dem Atatürk-Flughafen in Istanbul.
Zuvor veröffentlichte Stratfor eine Falschmeldung, die von verschiedenen Medien aufgegriffen und verbreitet wurde. Nach Angaben von Stratfor habe Erdoğan um politisches Asyl in Deutschland gebeten. Diese Information ist keine Behauptung von mir, sondern ist nachlesbar auf der Website von Stratfor. Auch in Deutschland wurde diese Falschmeldung durch verschiedene Medien wiedergegeben, ohne die Richtigkeit zu überprüfen. Ich habe zwar Falschmeldung geschrieben, aber die Verfasser dieser Falschmeldung wussten natürlich warum sie diese Fake-News in die Welt gesetzt haben.
In der Putschnacht bombardierten F-16 Kampfflugzeuge, die vom Luftwaffenstützpunkt in Diyarbakır starteten, das Parlamentsgebäude in Ankara, das zentrale Polizeipräsidium der Türkei, den Stützpunkt der Sondereinheiten der Polizei, die unmittelbare Umgebung des Präsidentenpalastes, das Luftfahrtamt usw. Die Frage wäre, wer diese Kampfflugzeuge betankt hat, wenn der türkische Luftraum gesperrt war.
Hier die Antwort:
In der Putschnacht starteten vom Luftwaffenstützpunkt Incirlik (NATO-Stützpunkt) mehrere Tankflugzeuge, die die F-16 Kampfflugzeuge in der Luft betankten und dann die türkische Hauptstadt bombardierten. Bei der Koordinierung des Putschversuchs gilt Incirlik nach Angaben der Ermittler und der Gerichte mittlerweile als Hauptstelle. Noch in der Putschnacht wurde die Luftwaffenbasis von der türkischen Armee und Sondereinheiten der Polizei umstellt und die Putschisten anschließend festgenommen.
Nach dem Putschversuch eröffnete die Generalstaatsanwaltschaft in Adana gegen die beschuldigten Fetö-Mitglieder in der türkischen Armee Gerichtsverfahren. Von den US-amerikanischen Mietern der Luftwaffenbasis forderte das Gericht in Adana im September 2016 die Übermittlung der Telekommunikationsdaten aus der Putschnacht. Wenn die Amerikaner in der Luftwaffenbasis die Telekommunikationsdaten aus der Putschnacht dem Gericht übergeben hätten, wäre das ganze Ausmaß der Verstrickung eines verbündeten NATO-Mitglieds offen zutage getreten.
In einer kurzen Antwort erklärte das Kommando der US-amerikanischen Luftwaffenbasis gegenüber dem Gericht, dass die Telekommunikationsdaten „leider nur 45 Tage aufgezeichnet“ würden und danach automatisch gelöscht und wieder neu aufgenommen würde. Die Antwort des US-amerikanischen Kommandos in Incirlik verwundert kaum, denn für solche Operationen wie der Putschversuch vom 15. Juli 2016, werden „Bauern“ benutzt und das ist in diesem Fall das Terrornetzwerk von Gülen.
Wie zerknirscht und ratlos die US-amerikanischen Verantwortlichen nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei waren, zeigen Aussagen des Oberbefehlshabers des US-Zentralkommandos, General Joseph Votel. Der vier Sterne General erklärte damals beim Aspen Security Forum in Colorado, einige engste Verbündete des US-Militärs in der türkischen Armee [Votel meint die Mitglieder des terroristischen Gülen-Netzwerks] seien nach dem Putschversuch im Gefängnis. Er sei besorgt bzw. beunruhigt über die Situation in der Türkei.
Ähnlich äußerte sich der damalige Direktor des National Intelligence (Nationaler Nachrichtendienst), James Clapper. Der gescheiterte Putschversuch und die Reaktionen der türkischen Regierung darauf beträfen alle Bereiche des Sicherheitsapparates. Viele der „Gesprächspartner“ der US-Amerikaner seien „gesäubert“ oder festgenommen worden. Achtung, jetzt kommt der entscheidende Satz von James Clapper. Er gibt freimütig zu, dass dies die Nahost-Strategie der USA erschweren bzw. zurückwerfen würde.
Die Aussagen des US-amerikanischen Generals Votel oder des Direktors des Nachrichtendienstes, James Clapper, sind exemplarisch für die Reaktionen von Verantwortlichen der US-Administration und des US-Militärs, aber auch der NATO.
Interessanterweise sah sich der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, genötigt dem Spiegel zum Putschversuch in der Türkei in der Ausgabe vom 18. März 2017 ein Interview zu geben.4
Darin bezweifelt er die Verwicklung von Mitgliedern des Gülen Netzwerks in der türkischen Armee in den Putschversuch. Es ist offensichtlich, dass Kahl seine Aussagen ohne die Zustimmung der Bundesregierung nicht machen konnte und vielleicht auf deren Weisung diese Aussagen getätigt hat. Die Aufsicht und Kontrolle über den BND obliegt der Bundesregierung.
Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.
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