Ein Gastkommentar von Michael Thomas
Im Zuge meiner Leidenschaft für die Ägyptologie wurde mir ab und zu erlaubt, Dinge zu betrachten, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind.
Also rutschte ich auf dem Hosenboden durch tiefe Gänge oder kletterte auf steilen Rampen hinunter, betrat bröckelige oder aus stärkstem Granit ausgeführte Kammern und blickte in zumeist leere Steinsärge. Darunter waren welche für Herrscher mit klangvollen Namen.
Niemand hätte es in der Zeit der Grabherren für möglich gehalten, dass all das einmal ins Nichts versinken würde. Aber so kam es.
Heute ziehen wir mühevoll löffelweise und mit feinsten Pinselchen winzige Bruchstücke ihres einstigen Lebens aus dem Wüstensand.
Ja und?
Kinder flitzen durch Museen und hinterlassen eher gelangweilt pommesfettige Fingerspuren auf den Vitrinen, deren Inhalt sie kaum bis gar nicht interessiert.
Wir haben heute eine bunte Mischung an möglichen Ursachen für unseren eigenen Untergang angerichtet bzw. vorbereitet. Einer davon wird es mit ziemlicher Sicherheit gelingen, in späteren Zeiten irgendwann einmal begeisterte Archäologen nach unseren Hinterlassenschaften und Knochen graben zu lassen.
Vielleicht liegt dann eine durch Radioaktivität belastete Leiche vor ihnen oder eine verhungerte oder durch Bombenwirkung stark fragmentierte.
Ob der weitere wie ungebremste Eintrag von Plastik in die Weltmeere die Ursache sein wird oder der Umstand, dass die heiß geführten Kriege irgendwann eskaliert sein werden, wird in vier- oder fünfhundert Jahren Gegenstand universitärer Untersuchungen und Analysen sein.
Studenten werden in den Hörsälen der Zukunft verständnislos den Kopf über unsere heutige Untätigkeit, unser Desinteresse an den Geschehnissen schütteln, die uns ins Grab gebracht haben werden.
Aber sehen wir es pragmatisch und leidenschaftslos: in der Menschheitsgeschichte fanden viele Epochen und Großmächte ein gewaltsames, abruptes Ende – und die Erde hat all das recht schadlos überlebt. Sie wird auch uns überleben.
Natürlich tragen wir selbst die Schuld am sicherlich unabwendbaren Ende unserer eigenen Epoche. Immerhin lassen wir uns willenlos wie Schafe von den Hunden und auf Befehl der Regierenden voran in Richtung des Schlachters treiben.
Wir merken ja nichts mehr.
Dass der kommende, deutsche Bundeskanzler aktiv auf einen atomar geführten Weltkrieg zusteuert, weil er die unmissverständliche Drohung Russlands einfach ignoriert, wenn wir das Schlachten in Gaza achselzuckend hinnehmen und in den USA pathologische Dummheit und Aggressivität regiert, ist kaum ein anderer Ausgang als ein „Big Bang!“ vorstellbar, der aus einer dieser Quellen entspringen wird.
Aber das macht nichts, nicht wahr?
Wir markieren nur einen von vielen Punkten auf dem Zeitstrahl, auf dessen Ruinen jeweils etwas Neues errichtet wird. Selbst in der Urzeit führten diverse globale Phänomene zu Massensterben und manche vorangegangene Arten auf dem Weg zur Menschwerdung starben aus. Keine der alten Hochkulturen konnte bestehen; noch nicht einmal die Kultur des Alten Ägyptens, die immerhin beinahe 6000 Jahre Bestand hatte, konnte ihren Untergang abwenden.
Natürlich wird es hässlich werden. Hässlich und extrem unkomfortabel. Kriege sind nicht schön, wenn sie sich gegen einen selbst wenden und nicht mehr nur feingruseliges Popcornkino in den Nachrichten sind. Viele von uns werden, wie manche Ukrainer heute bereits, ihre toten Angehörigen improvisiert in den Trümmern ihrer Häuser begraben.
Das altbekannte Jammerlied: „Das haben wir nicht gewusst! Das haben wir nicht gewollt!“ wird gesungen werden, während diejenigen, denen wir den Krieg zu verdanken haben, bei angenehm gekühlten Champagner in ihren gemütlich eingerichteten Bunkern oder auf abgeschirmten Karibikinselchen leben.
Mancher von uns wird Pech haben und im Vorfeld neben materieller Not auch noch die letzten, panischen Aktionen seiner Regierenden zu spüren bekommen. So wie viele Ukrainer etwa, die derzeit auf offener Straße schreiend vor Angst eingefangen und an die Waffe gepresst werden. Das sind keine schönen Bilder. Aber es soll doch geschossen werden.
Wir merken das ja ebensowenig wie der „kleine Ägypter“ vor mehr als 2000 Jahren nicht ahnte, dass er bald tot und sein Dorf in Flammen aufgegangen sein würde. Er hatte Geschichten von toten Kindern in der Nachbarschaft genauso desinteressiert zur Kenntnis genommen wie wir heute Bilder von verkohlten Kinderkörpern in Gaza. Wir entfernen diese Bilder aus dem Blick unserer Kinder und feiern ein schönes Osterfest mit vielen bunten Eiern.
Meine Güte. Bloß ein weiterer Untergang. Ja und?
Noch nicht einmal die Atomwaffen werden das ganze Leben auf der Erde töten können. Die Wissenschaft der „Extremophilen“, der Wesen auf der Erde, die unter lebensfeindlichsten Bedingungen existieren können, gibt uns die Hoffnung, dass das Leben auf unserem Planeten nicht ausgelöscht werden kann.
Es ist extremst unwahrscheinlich, dass die Menschheit den eingeschlagenen Kurs der größtmöglichen Selbstvernichtung noch verlassen kann. Auf Sicht werden wir an unseren Umweltsünden sterben, von denen wir wissen, die wir sehr wohl kennen, aber gegen die wir nichts unternehmen.
Oder einer der derzeit angeheizten und aktiv geführten Kriege eskaliert, wie möglicherweise der brandneue Konflikt zwischen Pakistan und Indien, die beide Atomwaffen besitzen. Kreischende Extremisten drängen überall an die Macht und säen Hass, Gewalt und Zorn. Wir lassen sie gewähren.
Vielleicht ist es einfach wieder mal an der Zeit.
Wir nehmen uns viel zu wichtig, denke ich. Als wenn es der Erde darauf ankäme, uns überleben zu lassen! Die Toten in all den Gräbern, die ich gesehen habe, sind alle Geschichte und nicht wirklich viele erinnern sich überhaupt an ihre Namen, auch wenn sie Millionen von Tonnen Stein auf den Bau ihres Grabmales verwendet und geradezu tatsächlich Berge versetzt hatten.
Bedauerlich wird es sein, dass viele von uns nicht in Westernmanier „Peng! Du bist tot!“ sterben, sondern sehr wahrscheinlich noch über lange Zeit ihr Verenden erleben müssen. Aber wenn wir doch endlich „kriegstüchtig“ geworden sein werden, wie es bereits die Nazis angestrebt hatten, um genug menschlichen Nachschub zu haben, zählt auch das im Großen und Ganzen nicht.
Jeder von uns wird nur noch eine „Verlustziffer“ sein, wenn überhaupt. Denn niemand kennt die Zahl der Toten, die in den Trümmern Gazas liegen – und Gaza könnte bald überall sein. Russische Raketen können jeden unserer liebevoll gepflegten Vorgärten erreichen. Aber was macht das schon, denn diese konkrete Gefahr interessiert ja niemanden. Achtzig Jahre Frieden sind einfach mal genug.
Geben wir es doch einfach zu: wir sind nicht die, die wir glauben zu sein. Wenn uns auch die Schöpfung mit dem besten Verstand ausgestattet hat, der zumindest in unserem Sonnensystem zu finden ist, sind wir einfach zu dumm, ihn auch zu benutzen. Und was ein Problem hat, wird früher oder später beseitigt. Im vorliegenden Fall trifft es ironischerweise uns selbst.
Die Wissenschaft bezeichnet uns als „Homo sapiens sapiens“, was soviel heißt wie „der weiseste weise Mensch“, aber wenigstens ein „sapiens“ ist doch wohl übertrieben. Wir sind höchstens ein „Homo erectus“, ein „aufrechtgehender Mensch“, aber aufrecht zu gehen gelingt selbst Schimpansen.
Wenn irgendwann einmal alles vorbei ist, wird es einen neuen Anfang geben. Ein neuer Garten Eden wird entstanden sein, in welchem sich eine neue Intelligenz bildet oder gar Reste unserer Menschheit überlebt haben.
Es geht dann alles wieder von vorn los.
„Jedem Ende wohnt ein neuer Anfang inne!“ bleibt demjenigen, der sich ein „sapiens“ verdient hat, lakonisch festzustellen übrig.
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.
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