
Ein Gastkommentar von Özgür Çelik
Die geopolitische Landkarte der Welt befindet sich im Umbruch – und mit ihr die Prioritäten der europäischen Außenpolitik. Während der Krieg in der Ukraine nach wie vor den Fokus der EU bindet, rückt eine Region verstärkt ins Blickfeld, die jahrzehntelang kaum Beachtung fand: Zentralasien.
Die wachsende Bedeutung dieser Region ist kein Zufall. Angesichts der geopolitischen Spannungen mit Russland und der strategischen Abhängigkeit von China sucht die EU nach Alternativen – sowohl wirtschaftlich als auch politisch.
Mit über 40 Prozent der ausländischen Investitionen in Zentralasien ist Europa bereits ein entscheidender Akteur. Doch nun geht es um mehr: eine strategische Partnerschaft, die über bloßen Handel hinausgeht.
📍We are in Samarkand for the first ever EU-Central Asia Summit.
Tomorrow we will launch a new Strategic Partnership with Central Asia.
It means we can rely on each other.
And in today’s world, this matters more than ever. pic.twitter.com/1PgS5HIVsU
— Ursula von der Leyen (@vonderleyen) April 3, 2025
Europas neue strategische Chance?
Der EU-Zentralasien-Gipfel in Samarkand im April 2025 war ein Signal, dass Brüssel bereit ist, diese Region als eigenständigen Player ernst zu nehmen. Längst ist klar, dass Zentralasien nicht mehr nur ein Transitgebiet für Energieressourcen oder eine geopolitische Pufferzone zwischen Russland und China ist.
Die Staaten der Region haben begonnen, ihre Interessen selbstbewusster zu vertreten, alte Konflikte beizulegen und ihre wirtschaftlichen Optionen zu diversifizieren.
Ein Beispiel dafür ist der „Mittlere Korridor“, ein gigantisches Infrastrukturprojekt, das Zentralasien als zentrale Verbindung zwischen Asien und Europa positionieren soll. Die EU hat bereits zehn Milliarden Euro in den Ausbau zugesagt – eine Investition in die eigene geopolitische Handlungsfähigkeit.
Doch es gibt Herausforderungen: bürokratische Hürden, mangelnde Infrastruktur und nicht zuletzt die Unsicherheiten des transatlantischen Verhältnisses, das für eine koordinierte Strategie entscheidend wäre.
Dennoch ist die Botschaft klar: Die EU will und muss in Zentralasien präsenter werden. In einer Welt, die zunehmend von Blockbildung und geopolitischen Machtkämpfen geprägt ist, könnte eine verstärkte Zusammenarbeit mit den zentralasiatischen Staaten nicht nur wirtschaftliche Vorteile bringen, sondern auch als Modell für eine neue Form geopolitischer Konkurrenz dienen – eine, die auf Kooperation statt Konfrontation setzt.
Die kommenden Jahre werden zeigen, ob Europa diese Chance nutzt. Doch eines steht fest: Die Zeit der außenpolitischen Vernachlässigung Zentralasiens ist vorbei.
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.
Zum Autor
Özgür Çelik studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie an der Universität Duisburg-Essen. Seine Fachgebiete sind die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sowie zwischen der EU und der Türkei, türkische Politik, die türkische Migration und Diaspora in Deutschland
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