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Nahostkonflikt
Kommentar: „Israel ist kein jüdischer Staat“

Der Anspruch Israels, ein „jüdischer Staat“ sein zu wollen, ist mit dem deutschen Grundgesetz absolut unvereinbar

Der Felsendom in Jerusalem (Foto: AA)
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ein Gastkommentar von Michael Thomas

Da bis heute mehr als zwanzig Prozent aller israelischer Staatsbürger nicht jüdischen Glaubens sind, kollidiert die Idee eines „jüdischen Staates“ schon hier mit den Wertevorstellungen der internationalen, rechtsstaatlichen Wertegemeinschaft.
Wie alle rechtsgerichteten Regierungen Israels bereits feststellten, wäre eine jüdische Regierung des Staates Israel keinesfalls garantiert, wenn die nichtjüdische Bevölkerung nicht entrechtet wird.

Die Schaffung eines Zweiklassenstaates, der „berechtigte“ von „unberechtigten“ Bürgern unterscheidet, war also zwingend zu erwarten und gewissermaßen eine Voraussetzung. Die Frage, ob Israel nicht „nur“ ein Staat sein könne, der vielleicht nicht jüdisch regiert, aber Juden verfassungsmäßig gleiche Rechte, Sicherheit und Schutz bieten würde, ist niemals diskutiert worden.

Die augenblickliche Rechtslage in Israel, die in Israel gilt, kollidiert infolgedessen vollständig mit dem Deutschen Grundgesetz. Ich zitierte aus Artikel 3:

  1. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
  2. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
  3.  Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Dennoch zeigt die Praxis, dass Israel sehr deutlich zwischen Menschen und Menschen unterscheidet und während es den einen, den „guten, jüdischen Bürgern“ vollständige Rechte verleiht, schlägt sie andere, die „schlechten, nichtjüdischen Nichtbürger“ mit einer perfiden Form von Militärrecht im Westjordanland. (1)

Anspruch Israels, ein „jüdischer Staat“ sein zu wollen, ist  mit  deutschem Grundgesetz absolut unvereinbar

Der Anspruch Israels, ein „jüdischer Staat“ sein zu wollen, ist demnach mit dem deutschen Grundgesetz absolut unvereinbar. Diese Tatsache wird durch das in 2018 von der Knesset trotz vielstimmiger, weltweiter Kritik im Vorfeld verabschiedete „Nationalstaatsgesetz“ noch verdeutlicht. Ich zitiere (2):

Erster Artikel:

„Das Land Israel, in dem der Staat Israel gegründet wurde, ist die historische Heimat des jüdischen Volkes. Dieser Staat Israel ist der Nationalstaat des jüdischen Volkes, in dem es sein Recht auf nationale, kulturelle, historische und religiöse Selbstbestimmung ausübt. Das Recht auf nationale Selbstbestimmung ist im Staat Israel einzigartig für das jüdische Volk.“

Das Nationalstaatsgesetz steht gewissermaßen im Rang einer Verfassung, über die Israel bis heute nicht verfügt. Es reduziert den Staat Israel einzig und allein auf das „jüdische Volk“, ohne dies jedoch näher zu spezifizieren. Auch hier finden wir eine schwere Kollision zum deutschen Grundgesetz, vgl. oben. Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) fasst den Fokus der internationalen Kritik wie folgt zusammen (3):

„Kritiker machen geltend, das Gesetz diskriminiere Minderheiten, richte sich gegen demokratische Werte und unterschlage insbesondere das Prinzip der Gleichheit.“

Es ist nicht ansatzweise zu verstehen, wie u.a. deutsche Politiker auf die Idee verfallen können, dass Israel angeblich Werte mit uns teile. Wie die Dinge liegen, missachtet Israel genau die Werte, die für europäische Staaten essentiell und mit vielen, weitergehenden Gesetzen bewehrt sind.

Von der reinen Grundlage der jüdischen Religion her wäre ein solcherart gegründeter Staat mit diesem Selbstverständnis durchaus akzeptabel. Die Ethik der jüdischen Religion wird u.a. geprägt vom hohen Wert der Nächstenliebe, die, wie bei den beiden anderen, abrahamitischen Religionen auch, universellen Charakter hat. Die Grundlage der jüdischen Religion beruht auf den zentralen Werten der Nächstenliebe und des Friedens.

Auf der page „liberale Juden“ findet sich dies prägnant zusammengefasst (4):

„Unter Wahrung der Besonderheit des Judentums ist dabei das Bewusstsein von der Einheit aller Menschen als Gottes Geschöpfe zu vertiefen – entsprechend dem Ideal der Propheten: Gerechtigkeit und Liebe zu üben und im Dialog mit Gott weiterzugehen.“

Und wenn die Weltgemeinschaft die Thora hinzuzieht, würde ein tatsächlich „jüdisches Israel“ keineswegs in irgendeinem Widerspruch oder gar Gegnerschaft zu anderen, rechtsstaatlichen Nationen stehen. Denn (5):

„Vor der Unterdrückung der Fremden warnt die Tora mehrfach (Ex 22,20–23; 23,6.9). Sie werden den „Witwen und Waisen“, das heißt den mittellosen Randgruppen ohne Versorger, an die Seite gestellt und erhalten wie diese die Zusage, dass JHWH ihr Schreien erhören werde. Sie zu kleiden, zu speisen und zu lieben wird gesondert geboten (Dtn 10,19). Die Ernteabgabe des Zehnten soll alle drei Jahre an die Fremden, die Witwen und Waisen im Land fließen (Dtn 14,28 f).“

EU-Staaten stellen Israel keine substanziellen Fragen

Allerdings stellt die Weltgemeinschaft, insbesondere die mächtigsten EU-Staaten, Israel keine substanziellen Fragen und akzeptiert frag- und kritiklos die Behauptungen aller jeweiligen, israelischen Regierungen, Israel sei angeblich ein „jüdischer Staat“. Es werden auch nur langsam Stimmen von Juden in der Welt laut, die sich von der Politik Israels distanzieren und ihr jeden jüdischen Charakter absprechen.

Die Weltgemeinschaft verlangte überzeugende Beweise gegen Fanatismus, Extremismus und Solidaritätsbekundungen von den Muslimen in Bezug auf den „Islamischen Staat“; sie hat Inhalte und Sinn des Quran global leidenschaftlich diskutiert. Monatelang waren solche Diskussionen themenführend in Zeitungen und Talk-Shows.

Im Falle des Judentums werden solche Überlegungen schlichtweg unterdrückt, sie finden nicht statt. Es wird geradezu gebetsmühlenartig nur auf die Ideen, alle aggressiven und zerstörerischen Akte Israels im Westjordanland und im Gaza-Streifen seien angeblich nur „Verteidigung“ und die Politik Israels handele im Einklang mit der jüdischen Religion abgehoben.

Juden wenden sich aus spirituellen Gründen von diesem Israel ab

Zu schweigen von der völligen Ignoranz aller jüdischen Stimmen und Gelehrten, die in ihren Schriften geradezu ein Verbot der Gründung eines Israels finden und geltend machen wollen. Sie werden nicht publiziert, nicht diskutiert, nicht gehört. Hunderttausende von Juden allein in den USA wenden sich aus spirituellen Gründen von diesem Israel ab; eine Vereinigung von 330 Rabbinern, die wegen der Handlungen der israelischen Regierung Verbote aussprechen, ihre Politiker einzuladen, bleibt ebenso ungehört (6).

Dieses Israel ist infolgedessen keineswegs ein „Staat der Juden“, sondern lediglich ein „Staat, der von jüdischen Sektierern“ bewohnt ist, denn seine schiere Existenz wird von Juden zurückgewiesen (7):

„An einer Stelle in der Tora heißt es: Wenn die Juden im Exil Reue zeigen und die Gebote wieder mit ihrem ganzen Herzen befolgen, wird der Allmächtige sie in das Land Israel zurückführen, aus dem sie vertrieben wurden. Das bedeutet nach der Erklärung der Propheten: Wenn der Messias erscheint. Im Talmud heißt es im Traktat Ketubot in Anlehnung an einen Vers aus dem Hohelied, dass der Allmächtige den Juden einen Eid abverlangt habe: Erstens – sie sollen sich nicht selbst aus dem Exil zu einem eigenen Staat aufmachen vor der Ankunft des Messias. Und zweitens: Sie sollen sich nicht gegen die Völker der Welt erheben.“

(Screenshot/Deutschlandfunkkultur)

Es bleibt also festzustellen, dass es tatsächlich keinen „jüdischen Staat“ gibt, da er zwar vielleicht von Juden bewohnt, jedoch nicht jüdisch regiert wird. Eine in der jüdischen Welt tatsächlich recht kleine Sekte von Zionisten nimmt eben diese jüdische Welt zur Geisel und oktroyiert ein Verständnis des jüdischen Glaubens, wie es nur von dieser verschwindend kleinen Schar von Extremisten geteilt wird.

Denn nirgendwo würde irgendeine, maßgebliche jüdische Schrift Passagen enthalten, nach welchen Land geraubt, Menschen erschlagen zu werden hätten. Nirgendwo fänden sich Textstellen, nach welchen der Gott der Juden dies auch nur tolerierte, geschweige denn geböte.

Jedes tote Kind, jeder tote Unbeteiligte, jeder Quadratmeter geraubten und besetzten Landes zeigt und beweist, dass Israel weder jüdisch ist, noch jüdisch regiert wird.

Die Weltgemeinschaft wird diese Frage niemals stellen. Denn all die vielen Toten, all das unsagbare Leid, dass allein nur bereits die Gründung Israels mit sich brachte, würde sie anklagen. Sie würde sich, wenn sie diese Fragen zuließe, abschließend fragen lassen müssen: „Warum habt ihr dem Wahnsinn so lange zugesehen? Warum habt ihr ihn unterstützt?“

Für heute muss uns einfach nur völlig klar werden, dass Israel weder ein „jüdischer Staat“ ist, noch von Juden regiert wird.


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.


Zum Autor 
Michael Thomas ist Privatier, Fotograf, leidenschaftlich an Ägyptologie und Literatur interessiert, mit der er vor vielen Jahren als Autor regional einige Beachtung fand. Er verfolgt interessiert das Weltgeschehen durch Beobachtung internationaler Presse. Seinen Fokus legt er insbesondere auf die Palästinafrage und auf die islamische Welt.

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