Start Politik Ausland Gastbeitrag „Es wird nur einen Verlierer geben: PKK oder Schweden“

Gastbeitrag
„Es wird nur einen Verlierer geben: PKK oder Schweden“

Die unabhängige schwedische Abgeordnete Amineh Kakabaveh hält als einzige der insgesamt 349 Reichstagsabgeordneten das Schicksal Schwedens fest in der Hand. Doch wie lange kann das gutgehen?

(Foto: Selma Kar)
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Ein Gastbeitrag von Nabi Yücel

Die unabhängige schwedische Abgeordnete Amineh Kakabaveh hält als einzige der insgesamt 349 Reichstagsabgeordneten das Schicksal Schwedens fest in der Hand. Doch wie lange kann das gutgehen?

Über das Wochenende hinweg drohte die kurdischstämmige schwedische Abgeordnete Amineh Kakabaveh damit, den Misstrauensantrag gegen das Kabinettsmitglied der Sozialdemokraten, Justizminister Morgan Johansson, mitzutragen, sollte die Regierung den Deal mit ihr verletzen.

Der Deal beinhaltete die Zusage, dass die Sozialdemokraten die einzelne Stimme von Kakabaveh erhalten, um an die Regierung zu kommen. Im Gegenzug verpflichteten sich die Sozialdemokraten, die in Nordsyrien von der PYD gewaltsam aufgebaute kurdische Selbstverwaltung finanziell wie politisch zu unterstützen. Die PYD wurde 2003 von der Terrororganisation PKK in Syrien gegründet.

Damals, November 2021, ahnte noch keiner in Schweden, dass die russischen Truppen über die Ukraine herfallen, ja sogar Anstalten hegen, weiter nach Westen zu ziehen. Man hatte andere Sorgen, man musste innerpolitische Krisen meistern. Man hatte mit den Sorgen der Türkei, mit ihren eindringlichen Warnungen in Bezug zu nordsyrischen Organisationen nicht viel am Hut.

Die Sozialdemokraten unter der schwedischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson hatten auch keine Bedenken, Ankara auf die eine oder andere Art zu erzürnen. Wohl deshalb setzte man auch den Deal um und die Terrororganisation PKK konnte in Schweden diplomatische Luft einatmen und hoffen, fast 400 Millionen Euro an »humanitären Hilfen« zu erhalten.

Die Zeiten ändern sich rapide. Mit dem Einmarsch der Russen in die Ukraine, sieht sich das krisengeschüttelte Schweden in Gefahr und sucht seither den Beistand der NATO, die es nur mit der Zustimmung der Türkei gibt.

So trifft man sich also wieder. Nicht Schweden diktiert, welchen Organisationen sie „humanitär“ und politisch beistehen kann, sondern Ankara, die der NATO diktieren kann, wer in dieses Verteidigungsbündnis darf. Ankara hat die Bedingungen schriftlich festgelegt, mit der Schweden, aber auch Finnland, ihren Einzug in die NATO einleiten können, sofern sie ebenfalls schriftlich niederlegen, dass sie der Terrororganisation den Rücken wenden.

Die schwedische Regierung steckt nun in einem Dilemma. Einerseits haben sie einen Deal mit Amineh Kakabaveh. Anderseits wollen sie in die NATO und müssen dafür einen Deal mit Ankara eingehen. Nebenher müssen sie noch ein Misstrauensantrag überstehen und damit einen Regierungssturz.

Kakabaveh nutzt ihre einzelne Stimme, um die amtierende Regierung zu halten oder zu stürzen. Über das Wochenende hinweg warnte sie die Sozialdemokraten, sich mit Ankara einzulassen. Sie drohte, ihre einzelne Stimme für den Misstrauensantrag der Moderaten, Christdemokraten und Liberalen gegen Justizminister Johansson zu verwenden und damit den Sturz der Regierung einzuleiten.

Am Montag erklärte der Parteisekretär der Sozialdemokraten, Tobias Baudin, dass der Deal beibehalten werde. „Es gibt nichts Neues. Nichts ist passiert. Die Vereinbarung vom November letzten Jahres gilt nach wie vor.“ erklärte Baudin öffentlich. Damit verhinderte die Regierung, dass der Justizminister stürzt und, wie Premierministerin Magdalena Andersson für den Fall ankündigte, die gesamte Regierung zurücktritt.

Kurz danach gab Kakabaveh in einem Interview zu verstehen, dass sie zu ihrem Wort stehe. „Der Parteisekretär hat mir versprochen, dass sie zu dem stehen werden, was sie versprochen haben, und dass es aufgrund der NATO-Frage keine Änderungen geben wird“, erklärte Kakabaveh. Sie gab ferner zu verstehen, dass die Regierung beabsichtige, weitere Unterstützung für Frauenorganisationen und andere Organisationen in Syrien zu leisten, sowie eine Zusage der Sozialdemokraten, dass die Regierung die Türkei auffordern werde, den völkisch-kurdischen Oppositionspolitiker Selahattin Demirtas freizulassen.

Der nachfolgende Misstrauensantrag im Reichstag gegen Johansson scheiterte. Damit ist die x’ste Regierungskrise Schwedens zwar beendet, aber die nächste ist bereits in Anmarsch. Ministern mit Misstrauenserklärungen zu drohen, ist für die schwedische Opposition nämlich alltäglich geworden.

Ebba Busch, die schwedische Christdemokratin, warnte die Sozialdemokraten am Dienstag vor der Stimmabgabe für den Misstrauensantrag eindringlich, sich von Johansson zu trennen, um die Regierung bis zu nächsten Wahl in Ruhe zu lassen und damit handlungsfähig zu belassen. Nach der Abstimmung über den Misstrauensantrag erklärte Busch, man hätte jetzt viel mehr verloren, weil man wisse, wie der Justizminister das Votum überstanden hätte. Busch zufolge sei Kakabaveh nun nicht nur ein „Bremsklotz für die NATO-Verhandlungen“, sondern eine, die auch über einen Misstrauensantrag allein entscheide.

Kurzum: Eine kurdischstämmige Abgeordnete entscheidet über die Geschicke der schwedischen Regierung. Für Ankara, für Recep Tayyip Erdogan, gibt es keinen Grund die NATO-Verhandlungen zu beschleunigen. Die Rolle, die Kakabaveh dabei eingenommen hat, das Bild, das die schwedische Regierung abgibt, ist nicht ideal für weitere Verhandlungen mit Ankara.

Diese Position der schwedischen Regierung wird bis zu den Wahlen in diesem Herbst andauern. Warum sollte Erdogan also versuchen, mit einer so schwachen schwedischen Regierung eine Lösung zu finden? Ankara hat Zeit. Ankara könnte gut damit leben, bis nach den Wahlen im September zu warten, um dann über einen schwedischen NATO-Beitritt zu entscheiden. Bis dahin wird die Verachtung des schwedischen Volkes für die schwedische Politik sich erhöhen und dann verlieren alle Parteien, erklärt die schwedische Politikwissenschaftlerin Marja Lemne.


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar


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